Brüssel. EU-Kommissar Günther Oettinger über Donald Trumps Strafzoll-Drohung, den italienischen Patienten und die Gefahr einer neuen Euro-Krise.

Seine letzten Jahre in der Politik sind seine turbulentesten. Günter Oettinger denkt nicht viel darüber nach, was nach seinem Ausscheiden aus der EU-Kommission im Herbst 2019 kommt. Der 64-Jährige will noch einige Jahre dranhängen in der ‚echten Privatwirtschaft’. Er sei ‚örtlich völlig unabhängig‘ und könne sich auch eine Tätigkeit außerhalb Europas vorstellen, sagt der gebürtige Stuttgarter im 12. Stock des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes der EU-Kommission.

Kommissar Oettinger, reißt Italien den Euro in den Abgrund?

Günther Oettinger: Ich rate dazu, nicht allein auf die Koalitionstexte der beiden italienischen Regierungsparteien zu schauen. Entscheidend ist, wie 5 Sterne und Lega tatsächlich regieren. Wir sollten in Europa jedes Ergebnis einer demokratischen Wahl akzeptieren.

Was erwarten Sie von Rom?

Oettinger: Die Regeln innerhalb der Währungsunion sind glasklar: Die Kriterien der Neuverschuldung und der Gesamtverschuldung sind einzuhalten. Geschieht dies nicht, werden wir ernsthafte Gespräche führen. Auch die griechische Regierung hat sich am Ende an die Rechte und Pflichten in der Eurozone gehalten.

Was geschieht im schlimmsten Fall?

Oettinger: Der Rettungsmechanismus ESM könnte eine so große Volkswirtschaft wie Italien kaum stabilisieren. Daher hoffe ich sehr, dass die Regierungsparteien eine große Lernkurve machen. Lega und 5 Sterne haben ja kein Interesse daran, dass es zum Schlimmsten kommt. Bei einer neuen Eurokrise wäre Italien nicht außen vor, sondern mittendrin. Die Märkte reagieren ja schon. Die italienischen Staatsanleihen verteuern sich, der Euro wird schwächer.

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    Wie wahrscheinlich ist ein Austritt Italiens aus der Eurozone?

    Oettinger: Ein Italexit ist überhaupt nicht wahrscheinlich. Europa ist insgesamt auf einem guten Weg, das zeigt auch die Entwicklung in Krisenländern wie Griechenland, Portugal und Irland. Wir müssen aber Vorsorge treffen für ein deutlich schwächeres Wachstum, vielleicht sogar für Stagnation. Wann diese Phase kommt, weiß keiner. Aber dass sie kommt, ist sicher.

    Warum eigentlich?

    Oettinger: Das ist ein Gesetz der Weltwirtschaft. Auch in Europa hatten wir nie über längere Zeit eine stabile Wirtschaftslage. Die gute Entwicklung kann sich noch zwei oder auch fünf Jahre fortsetzen. Aber dann wird es wieder zu Stagnation oder Rezession kommen. Strafzölle und Handelsstreitigkeiten könnten die Phase der Stabilität sehr rasch beenden.

    US-Präsident Donald Trump droht mit Strafzöllen – jetzt auch auf Autos. Steht ein Handelskrieg unmittelbar bevor?

    Oettinger: Ein Handelskonflikt würde die Wachstumsperspektiven der gesamten Weltwirtschaft eintrüben. Dass Präsident Trump jetzt auch den deutschen Autobauern droht, war zu erwarten. Er stört sich am deutschen Außenhandelsüberschuss gegenüber den USA, der wiederum sehr stark auf die Autoproduktion zurückgeht. Dabei wird übersehen, dass das größte Werk von BMW nicht in Deutschland, sondern in den USA steht. Auch Mercedes-Benz produziert nennenswert in den Vereinigten Staaten. Daher halte ich Trumps Vorgehen nicht für gerechtfertigt.

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      Washington hat den Europäern eine Frist bis zum 1. Juni gesetzt. Welchen Vorschlag werden Sie präsentieren?

      Oettinger: Allein schon diese Fristsetzung hat mit Partnerschaft und gutem Willen wenig zu tun. Unsere Erwartung ist, dass Amerika die angedrohten Strafzölle auf Stahl und Aluminium vom Tisch nimmt, damit wir die Handelsbeziehungen zwischen Europa und den USA neu austarieren können. Dabei müssen alle Wirtschaftssektoren und alle Zölle untersucht werden. Auf dem Weg des gegenseitigen Gebens müssen wir zu einem neuen Handelsvertrag kommen.

      Was bedeutet das für die deutsche Autoindustrie?

      Oettinger: Ich kenne viele Amerikaner, die sich einen Porsche oder einen Mercedes der S-Klasse auch dann kaufen würden, wenn er teurer würde.

      Strafzölle wären also doch verkraftbar?

      Oettinger: Wenn Trump die bestehenden Vereinbarungen einseitig kündigen würde, wäre dies in einer fairen Vertragspartnerschaft nicht akzeptabel. Die Begründung Trumps, die Zölle aus Sicherheitsüberlegungen zu verhängen, halte ich für abwegig. So kann man vielleicht noch bei Aluminium argumentieren. Aber Autos haben mit der nationalen Sicherheit überhaupt nichts zu tun. Strafzölle auf Autos würden auch klar gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verstoßen. Trump handelt rechtswidrig.

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      Wie reagieren Sie?

      Oettinger: Wir würden Beschwerde bei der WTO einlegen.

      Das wird Trump wenig beeindrucken.

      Oettinger: In der Tat braucht dieser Rechtsweg viel Zeit. Aber er könnte sich auf Trumps Wiederwahl auswirken. Wir breiten uns auf verschiedene Entwicklungen vor. Europa kann auch als Schutzmaßnahme ein Paket von Zöllen auf Produkte erheben, die aus den USA kommen. Außerdem wollen Teile der amerikanischen Wirtschaft – etwa die Händler und Servicestellen für europäische Autos – keine Eskalation. Das sind wichtige Arbeitgeber, die Sturm laufen würden.

      Der US-Präsident setzt Deutschland auch bei den Verteidigungsausgaben unter Druck. Ebenfalls ungerechtfertigt?

      Oettinger: Der Druck ist nicht nur von Trump da, sondern auch von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg – im Ton nur versöhnlicher. Es gibt Nato-Mitglieder, die ihrer Verpflichtung bereits nachkommen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Wenn Deutschland in der Nato glaubwürdig sein will, muss die Regierung bis zum Ende der Wahlperiode dem Zwei-Prozent-Ziel erheblich näher kommen. 1,5 Prozent bis 2021 wären ein angemessenes Zeichen. Deutschland sollte sich keine Blöße geben. Trumps Kritik ist in vielem ungerecht. Aber beim Verteidigungsetat hat er nicht Unrecht.

      Ihr deutscher Amtskollege, Finanzminister Olaf Scholz, sieht das anders. Wie bewerten Sie den Start des Nachfolgers von Wolfgang Schäuble?

      Oettinger: Ich kenne Olaf Scholz seit vielen Jahren privat aus Hamburg. Dass er die Linie von Wolfgang Schäuble fortsetzt, ist ein Gebot der Klugheit – auch wenn er sich in der SPD damit Ärger einhandelt.

      Scholz sperrt sich gegen Ihren Vorschlag für die EU-Finanzplanung, der Deutschland für die nächsten Jahre einen größeren Beitrag abverlangt...

      Oettinger: Im Koalitionsvertrag heißt es, Deutschland sei bereit, einen höheren Beitrag zu leisten. Ich verlasse mich auf diese Zusage. Was Olaf Scholz sagt, kann ich als Ausgangsposition akzeptieren. Es sollte in jedem Fall berücksichtigt werden, dass der EU-Haushaltsrahmen für die nächsten sieben Jahre nicht so einfach mit dem bisherigen zu vergleichen ist. Wir müssen Wachstum und Inflation ausgleichen – das macht in den sieben Jahren schon eine nominale Steigerung um 30 Prozent aus. Da haben wir real noch keinen Cent mehr für neue Aufgaben wie Migration oder Grenzschutz bekommen. Darüber hinaus müssen wir den Austritt Großbritanniens verkraften.

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        Sie wollen Fördermittel beschneiden, auch für strukturschwache Regionen. Können Sie den Protest dagegen nicht verstehen?

        Oettinger: Wir müssen das ganze Bild betrachten: Bei der Regionalförderung geht es um Solidarität – und Deutschland ist in den vergangenen Jahren wirtschaftlich stark gewachsen. Wir sollten alle bereit sein, das Wohlstandsgefälle in Europa auch durch Haushaltspolitik zu verringern. Von Strukturförderung in Osteuropa profitiert auch die deutsche Industrie durch größere Aufträge. Und die meisten Mittel zur Forschungsförderung fließen ohnehin in die Bundesrepublik. Deutschland ist der größte Nutznießer des europäischen Etats.

        Aus dem Europäischen Parlament kommt der Vorwurf, Sie hätten getrickst – und die Kürzungen fielen stärker aus als angegeben...

        Oettinger: Der Vorwurf ist abwegig. Das Parlament will einen größeren Haushalt. Aber mit 27 EU-Mitgliedern haben wir eine andere Lage als mit 28. Nehmen Sie diesen Vergleich: Sie haben eine Großfamilie mit 28 Mitgliedern und kaufen 28 Koteletts und 28 Bier. Wenn aber einer das Haus verlässt, brauchen Sie nur noch 27 Koteletts und 27 Bier. Das 28. Kotelett als Nachtisch unter den 27 aufzuteilen – das geht nicht. Ich bin aber alt genug, das Ringen um den Haushalt als sportlichen Wettstreit zu begreifen.

        Ihre Amtszeit als Kommissar endet im kommenden Jahr. Machen Sie sich Gedanken, was danach kommt?

        Oettinger: Im bin im Augenblick voll beschäftigt mit diesem Haushaltsrahmen und nicht auf der Suche nach einem anderen Job. Ich will gesund bleiben, um noch einige Jahre dranhängen zu können.

        In der Wirtschaft?

        Oettinger: Ja, aber nicht im Lobbying oder als Frühstücksdirektor, sondern in der echten Privatwirtschaft.

        Wollen Sie Vorstandsvorsitzender werden wie Ihr Parteifreund Roland Koch, den es in die Bauwirtschaft zog?

        Oettinger: Ich glaube, für einen Vorstandsvorsitzenden für ein grosses Unternehmen bin ich zu alt. Aber ich bin bereit, eine wichtige Aufgabe zu übernehmen. Nehmen Sie nur meinen verstorbenen Freund Lothar Späth, der nach seiner Zeit als baden-württembergischer Ministerpräsident ein glänzender Sanierer von Jenoptik war. Ich bin örtlich völlig unabhängig und werde im Lauf des Jahres mal ein, zwei Ideen entwickeln. Die Entscheidung fällt frühestens in einem Jahr, und ich kann mir auch eine Tätigkeit außerhalb Europas vorstellen.

        Auch in Russland?

        Oettinger: Meine Überlegungen haben noch gar nicht richtig begonnen.

        Altkanzler Gerhard Schröder (re.) Anfang Mai als Gratulant nach der Vereidigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml.
        Altkanzler Gerhard Schröder (re.) Anfang Mai als Gratulant nach der Vereidigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml. © dpa | Alexei Druzhinin

        Wie bewerten Sie die Kritik an Altkanzler Gerhard Schröder, der in den Dienst des russischen Staates getreten ist?

        Oettinger: Das sehe ich gelassen. Putin und Schröder – da ist über viele Jahre ein Vertrauensverhältnis entstanden. Die Energieunternehmen Rosneft und Gazprom gehören mehrheitlich dem russischen Staat. Gerhard Schröder kennt deutsche und europäische Interessen. Er kann für Deutschland und Europa auch positiv wirken. Und dass er viel Geld verdient – da bin ich liberal. Schröder versteuert es ja in Deutschland. (lacht)

        Ein ehemaliger Bundeskanzler, der für den russischen Präsidenten arbeitet – das stört Sie nicht?

        Oettinger: Rosneft und Gazprom sind wichtige Partner der europäischen Energieversorgung. Das ist keine Grauzone, in der sich Gerhard Schröder bewegt. Er ist kein Geheimagent gegen deutsche Interessen. sondern bemüht sich etwa um einen Ausgleich der Interessen zwischen den europäischen Unternehmen und Russland.