Berlin/Rom. Ein Premier ohne Erfahrung und neue Milliardenausgaben: Die Koalition in Rom will alles anders machen – und verfällt in alte Fehler.

Giuseppe wer? Das fragten sich selbst viele Italiener, als die ersten Meldungen mit dem Namen des designierten Regierungschefs durchsickerten. Dass die Wahlsieger von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der Lega einen politisch komplett unerfahrenen Jura-Professor an der Spitze ihrer Koalition installieren wollen, lässt nichts Gutes hoffen für die künftige Politik in Rom.

Die „führende Rolle in der Politik“, die dem Ministerpräsidenten in der italienischen Verfassung zugeteilt wird, werden andere ausfüllen. Giuseppe Conte, so viel ist klar, wäre nicht mehr als ein Strohmann, ferngesteuert von den beiden starken Figuren des neuen Bündnisses in Rom.

Conte – Ein Strohmann der Spitze

Luigi Di Maio, dessen populistische Fünf-Sterne-Bewegung als stärkste Partei aus den Wahlen hervorging, und Matteo Salvini, der mit der fremdenfeindlichen Lega immer mehr an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnt, blockierten sich in der Frage des künftigen Premiers gegenseitig - und einigten sich auf Conte als dritten Mann. Die Fäden aber werden die beiden Parteichefs ziehen, zumal beide am Kabinettstisch sitzen dürften.

Ob Staatspräsident Sergio Mattarella diesem seltsamen Spielchen zustimmen und Conte mit der Regierungsbildung beauftragen wird, ist noch nicht ausgemacht. Mattarella hat offenbar noch Gesprächsbedarf angesichts der ungewöhnlichen Personalie. Der knorrige Sizilianer gilt als eigenwillig und als ehemaliger Verfassungsrichter dürfte ihm das Vorgehen des Duos Di Maio/Salvini nicht eben gefallen. Die Frage ist, ob er eine realistische Alternative zu Conte hat.

Die Stärke der beiden Koalitionäre M5S und Lega erwächst vor allem aus der Schwäche der anderen Parteien. Die Sozialdemokraten verstrickten sich in internen Machtkämpfen und die Konservativen können sich nicht vom Schatten ihres Übervaters Silvio Berlusconis befreien. Beide bieten ein Bild des Jammers.

Silvio Berlusconi in Bildern

Sex-Skandale, markige Sprüche, Gerichtsprozesse: Das ist Silvio Berlusconi. Wir zeigen Szenen eines erstaunlichen Politikerlebens des italienischen Ex-Ministerpräsidenten.
Sex-Skandale, markige Sprüche, Gerichtsprozesse: Das ist Silvio Berlusconi. Wir zeigen Szenen eines erstaunlichen Politikerlebens des italienischen Ex-Ministerpräsidenten. © dpa | Epa Ansa Di Meo
Jubelnd lässt sich Berlusconi bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2011 in Taranto von Anhängern tragen: Trotz der Feierlaune steht es zu diesem Zeitpunkt schon politisch schlecht für den Cavaliere. Im November tritt er vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Mario Monti folgt.
Jubelnd lässt sich Berlusconi bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2011 in Taranto von Anhängern tragen: Trotz der Feierlaune steht es zu diesem Zeitpunkt schon politisch schlecht für den Cavaliere. Im November tritt er vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Mario Monti folgt. © dpa | Epa Ansa Caricato
Trotzdem präsentiert sich der nur 1,64 Meter große Ex-Regierungschef auch im Jahr 2016 noch lächelnd mit seinen Anhängern, gerne auch mit Anhängerinnen. Der 1936 in Mailand geborene Berlusconi startete seine Karriere zunächst als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen.
Trotzdem präsentiert sich der nur 1,64 Meter große Ex-Regierungschef auch im Jahr 2016 noch lächelnd mit seinen Anhängern, gerne auch mit Anhängerinnen. Der 1936 in Mailand geborene Berlusconi startete seine Karriere zunächst als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen. © dpa | Angelo Carconi
Kein Politiker regierte Italien so lange wie der Medienmogul: Insgesamt 3340 Tage führte er die Geschicke der Italienischen Republik. Lange Zeit waren mehrere Gerichtsverfahren gegen Berlusconi anhängig.
Kein Politiker regierte Italien so lange wie der Medienmogul: Insgesamt 3340 Tage führte er die Geschicke der Italienischen Republik. Lange Zeit waren mehrere Gerichtsverfahren gegen Berlusconi anhängig. © dpa | Andrew Medichini
Im August 2013 verurteilten ihn Richter wegen Steuerbetrugs. Die Folge: Zwei Jahre durfte er keine öffentlichen Ämter bekleiden.
Im August 2013 verurteilten ihn Richter wegen Steuerbetrugs. Die Folge: Zwei Jahre durfte er keine öffentlichen Ämter bekleiden. © dpa | Stefano Porta
Der gebürtige Mailänder war seit 1986 Besitzer des Fußballclubs AC Mailand. Mehrere Jahre war er auch Präsident des Vereins – die Verstrickung in Interessenskonflikte führte aber dazu, dass er das Amt niederlegen musste. Dieses Foto zeigt den Cavaliere mit dem Champions-League-Pokal bei der Siegesfeier des Clubs im Jahr 1990.
Der gebürtige Mailänder war seit 1986 Besitzer des Fußballclubs AC Mailand. Mehrere Jahre war er auch Präsident des Vereins – die Verstrickung in Interessenskonflikte führte aber dazu, dass er das Amt niederlegen musste. Dieses Foto zeigt den Cavaliere mit dem Champions-League-Pokal bei der Siegesfeier des Clubs im Jahr 1990. © dpa | Epa Apa
Berlusconi hat auch abseits der Politik ungezählte Schlagzeilen gemacht. Zum Beispiel mit dem Fall „Rubygate“.
Berlusconi hat auch abseits der Politik ungezählte Schlagzeilen gemacht. Zum Beispiel mit dem Fall „Rubygate“. © dpa | Alessandro Di Meo
Die Staatsanwaltschaft lastete dem damals 75-Jährigen sexuelle Kontakte zu dem minderjährigen marokkanischen Escortgirl Karima el-Marough (l.), genannt „Ruby“, an. Da Berlusconi das Mädchen mit einem Anruf bei der Polizei aus deren Gewahrsam befreite, sollte er sich auch wegen Amtsmissbrauchs verantworten. Die höheren Gerichtsinstanzen sprachen ihn frei.
Die Staatsanwaltschaft lastete dem damals 75-Jährigen sexuelle Kontakte zu dem minderjährigen marokkanischen Escortgirl Karima el-Marough (l.), genannt „Ruby“, an. Da Berlusconi das Mädchen mit einem Anruf bei der Polizei aus deren Gewahrsam befreite, sollte er sich auch wegen Amtsmissbrauchs verantworten. Die höheren Gerichtsinstanzen sprachen ihn frei. © REUTERS | REUTERS / STAFF
Einer der zahlreichen politischen Skandale: Als Kandidatinnen der Regierungspartei für die Europawahl 2009 schlug Berlusconi drei junge Schönheiten vor. Eine ehemalige TV-Ansagerin, eine Fernsehschauspielerin und eine Sängerin. „Schamlose Luder im Dienst der Macht“, beschimpfte damals seine Noch-Ehefrau Veronica Lario die Damen. Lario (auf dem Bild) reichte 2009 die Scheidung ein.
Einer der zahlreichen politischen Skandale: Als Kandidatinnen der Regierungspartei für die Europawahl 2009 schlug Berlusconi drei junge Schönheiten vor. Eine ehemalige TV-Ansagerin, eine Fernsehschauspielerin und eine Sängerin. „Schamlose Luder im Dienst der Macht“, beschimpfte damals seine Noch-Ehefrau Veronica Lario die Damen. Lario (auf dem Bild) reichte 2009 die Scheidung ein. © dpa | Epa Ansa Danilo Schiavella
Von 2012 bis 2020 war der Milliardär mit der fast 50 Jahre jüngeren Francesca Pascale liiert.
Von 2012 bis 2020 war der Milliardär mit der fast 50 Jahre jüngeren Francesca Pascale liiert. © dpa | Luca Turi
Das Bild zeigt den Cavaliere im Jahr 2003 in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident vor Beginn des EU-China-Gipfels in Peking.
Das Bild zeigt den Cavaliere im Jahr 2003 in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident vor Beginn des EU-China-Gipfels in Peking. © dpa | Epa Ansa Monteforte
Nach einer Herzoperation im Jahr 2016 spürte der fünffache Vater laut eigener Angaben auf einmal das Alter. „In meinem Leben habe ich nie an das Älterwerden gedacht. Im Gegenteil, ich habe immer gelebt, als sei ich 40 Jahre alt, denn so habe ich mich gefühlt: voller Neugier, voller Tatendrang“, sagte Berlusconi zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2017 der Zeitschrift „Chi“. Aber dann sei er plötzlich krank geworden. „Und mit der Operation ist das Bewusstsein gekommen, dass ich ein Mann von 80 Jahren bin.“
Nach einer Herzoperation im Jahr 2016 spürte der fünffache Vater laut eigener Angaben auf einmal das Alter. „In meinem Leben habe ich nie an das Älterwerden gedacht. Im Gegenteil, ich habe immer gelebt, als sei ich 40 Jahre alt, denn so habe ich mich gefühlt: voller Neugier, voller Tatendrang“, sagte Berlusconi zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2017 der Zeitschrift „Chi“. Aber dann sei er plötzlich krank geworden. „Und mit der Operation ist das Bewusstsein gekommen, dass ich ein Mann von 80 Jahren bin.“ © REUTERS | REUTERS / REMO CASILLI
Corona-Pandemie: Berlusconi steckte sich 2020 mit dem Virus an. Hier verlässt er nach der überstandenen Infektion das Krankenhaus.
Corona-Pandemie: Berlusconi steckte sich 2020 mit dem Virus an. Hier verlässt er nach der überstandenen Infektion das Krankenhaus.
Parlamentswahl in Italien: Silvio Berlusconi von der rechten Forza Italia kommt Hand in Hand mit Lebensgefährtin Marta Fascina zur Stimmabgabe in Mailand.
Parlamentswahl in Italien: Silvio Berlusconi von der rechten Forza Italia kommt Hand in Hand mit Lebensgefährtin Marta Fascina zur Stimmabgabe in Mailand. © Claudio Furlan/LaPresse/Zuma Press/dpa
Berlusconi schaffte 2022 neben Matteo Salvini und Giorgia Meloni ein neuerliches Comeback.
Berlusconi schaffte 2022 neben Matteo Salvini und Giorgia Meloni ein neuerliches Comeback. © AFP | ALBERTO PIZZOLI
Am 12. Juni 2023 starb Berlusconi im Alter von 86 Jahren in Mailand. Er hatte zuletzt an Leukämie gelitten.
Am 12. Juni 2023 starb Berlusconi im Alter von 86 Jahren in Mailand. Er hatte zuletzt an Leukämie gelitten. © Gregorio Borgia/AP/dpa
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Es droht der Crash mit der Realität

Eine Ausgangslage wie geschaffen für die skrupellosen Populisten, die mit dem Feindbild Europa (M5S), dem Konfliktthema Zuwanderung (Lega) und ihrer Propaganda gegen „die da oben“ (beide) leichtes Spiel beim Wähler hatten. Die große Frage ist nun, was das Bündnis – einmal an der Macht angekommen – tatsächlich umsetzen wird. Und da droht der künftigen Koalition schon bald ein Crash mit der Realität.

Vor allem in der Finanz- und Sozialpolitik tun sich M5S und Lega mit vollmundigen Ankündigungen hervor: weniger Steuern, Mindesteinkommen, früheres Rentenalter. Bezahlen ließe sich das nur mit neuen Schulden. Davon hat Italien aber schon mehr als genug – das Land hat die Zeit, die ihm Mario Draghi durch seine Null-Zins-Politik erkaufte, nicht zur Konsolidierung der Staatsfinanzen genutzt.

Tadel aus Berlin ist wie ein Ritterschlag

Zusätzliche Schulden zur Finanzierung von Wahlgeschenken würden die drittgrößte Volkswirtschaft des Euroraums Richtung Staatsbankrott driften lassen – ein Alarmzeichen für die gesamte EU. Die Mahnungen und Warnungen aus Brüssel – und auch aus Berlin - werden immer lauter.

Das aber dürfte der neuen Regierung eher noch in die Karten spielen. Die EU gilt für viele Italiener als die eigentliche Schuldige an der Misere. Die strengen Verschuldungsgrenzen halten viele zwischen Südtirol und Sizilien für unnötig oder gar für Schikane, hinter der in erster Linie die Oberlehrer aus Deutschland steckten, die mit ihrem Handelsüberschuss auf Kosten der anderen EU-Länder ihren wirtschaftlichen Höhenflug genießen. Tadel aus Brüssel und Berlin gleicht für italienische Politiker einem Ritterschlag.