Berlin. Die Union will IS-Kämpfern mit Doppelpass die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen. Doch das ist umstritten – sogar in der Koalition.

Das Jauchzen der afghanischen Soldaten ist laut zu hören. „Holy shit“, rufen sie. Mit seinem Handy filmt einer der Spezialkräfte den Mann mit dem roten Bart und dem schwarzen Turban. „Ich kann Deutsch sprechen“, sagt der Mann den Afghanen.

Die Soldaten haben gerade einen mutmaßlichen deutschen Taliban-Kämpfer in der Provinz Helmand festgenommen. Mittlerweile ist Thomas K. von Kabul nach Deutschland ausgeliefert worden, er sitzt in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft wirft Thomas K. vor, spätestens seit März 2014 in einer Kampfeinheit der Terrorgruppe aktiv gewesen zu sein. Thomas K., so die Justiz, sei 2012 für den „Heiligen Krieg“ in Richtung Pakistan aus Deutschland ausgereist. Er besitzt zwei Staatsbürgerschaften: die deutsche und die polnische.

Tote und Verletzte bei Attacken in Kabul

weitere Videos

    Geht es nach Unionspolitikern, sollen radikale Islamisten wie K. bald keine Deutschen mehr sein. Seite 128 im Koalitionsvertrag hält fest: Ein neues Gesetz soll künftig möglich machen, einer Person die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn sie sich nachweislich an terroristischen Kampfhandlungen im Ausland beteiligt. Und sofern der verurteilte Dschihadist neben der deutschen noch einen weiteren Pass besitzt. Denn niemand darf staatenlos gemacht werden.

    Diese neue Anti-Terror-Maßnahme sei „ein vordringliches Ziel“, hatte der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer, dieser Redaktion gesagt. Er rechne mit einem Gesetzentwurf noch im ersten Jahr der Regierung, also bis Frühjahr 2019.

    Kritik auch von der SPD

    Doch an dem Vorstoß der Union gibt es deutliche Kritik. Aus der Opposition – und vom Koalitionspartner SPD. „Das ist mehr Symbol als nützliche Politik“, sagt SPD-Innenexperte und Mitglied des Bundesvorstands, Uli Grötsch, dieser Redaktion. Die SPD habe eine andere Haltung als CDU und CSU. Kämen Dschihadisten aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurück, brauche es Strafverfolgung und Deradikalisierung. „Wer auf Passentzug setzt, macht es sich zu einfach.“

    Und doch unterzeichnete die SPD diese Passage mit dem Koalitionsvertrag mit. Innenexpertin der Linke-Fraktion, Ulla Jelpke, spricht von „reiner Symbolpolitik“ und „purer Augenwischerei“. Zudem halte Jelpke ein solches Gesetz für „verfassungswidrig“.

    Derzeit liegen den deutschen Sicherheitsbehörden zu „mehr als 1000 Islamisten aus Deutschland“ Informationen über ihre Ausreise vor, um Terrorgruppen in Syrien und Irak zu unterstützen. Die Zahl steigt weiter, jedoch deutlich langsamer als noch vor zwei Jahren. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf Anfrage der Linke-Fraktion hervor, die dieser Redaktion vorliegt. Vor knapp einem Jahr waren es rund 930. Eine Analyse des BKA von 2016 zeigt: Von knapp 800 ausgereisten IS-Anhängern hatten 27 Prozent eine doppelte Staatsbürgerschaft – die meisten waren Deutsch-Türken, Deutsch-Marokkaner und Deutsch-Tunesier.

    Scharfes Schwert

    Wer die Werte der Bundesrepublik nachhaltig nicht teile, könne die Staatszugehörigkeit verlieren, so die Befürworter. Wichtig sei zudem: Ein rückkehrender Dschihadist, der nicht mehr Deutscher ist, könne an der Grenze zurückgewiesen werden, sagt CDU-Innenexperte Armin Schuster dieser Redaktion.

    Der Entzug der Staatsbürgerschaft ist eines der schärfsten rechtlichen Schwerter eines Staates – und durch das Gesetz besonders geschützt. Aus „sicherheitspolitischen“ Gründen dürfe einem Deutschen nicht der Pass aberkannt werden, heißt es in einem nicht-öffentlichen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2015, das dieser Redaktion vorliegt. Schon damals bastelte das Innenministerium an einem Gesetzentwurf. Ein solcher „politischer Entzug“ widerspreche der Verfassung.

    Was das Gesetz erlaubt: Jedem, der sich ohne Zustimmung des Verteidigungsministeriums einer Armee eines ausländischen Staates anschließt, kann der deutsche Pass entzogen werden. Doch zu Terrormilizen wie dem IS gehört kein Staat, auch wenn sie das in ihrer Propaganda so darstellen. Ein IS-Dschihadist entscheidet sich nicht für das Leben in einem anderen Staat – sondern für eine nicht-staatliche Terrororganisation.

    Allerdings hat die Zahl der Konflikte deutlich zugenommen, in denen Armeen von Staaten gegen nicht-staatliche Milizen und paramilitärische Truppenverbände kämpfen. Und bricht ein IS-Ausreisender nicht auch mit der Loyalität zu Deutschland, wenn er in Syrien gegen den Westen kämpft?

    Wenig Kenntnisse aus dem Kriegsgebiet

    Das Gutachten des Bundestags hebt dagegen hervor, dass jeder Deutsche laut Verfassung gleich behandelt werden muss. Hat jemand noch eine zweite Staatsbürgerschaft, darf sein deutscher Pass daher nicht weniger wert sein. Wer als Deutscher eine Straftat begehe, gehöre er bestraft, so Linke-Politikerin Jelpke. „Und zwar möglichst von einem deutschen Gericht.“ Egal, ob Doppelpass oder nicht.

    Neben den verfassungsrechtlichen Hürden für einen Passentzug für Dschihadisten zeigt sich jedoch ein weiteres Hindernis: Die deutschen Sicherheitsbehörden wissen oftmals kaum, was ein Islamist nach seiner Ausreise in Richtung Syrien dort genau macht. Im Zusammenhang mit den mittlerweile etwa 300 aus Syrien und Irak zurückgekehrten mutmaßlichen Dschihadisten zählt das Bundeskriminalamt (BKA) bundesweit 35 Urteile.

    In diesen Fällen konnten Staatsanwälte nachweisen, dass die Islamisten eine Terrororganisation unterstützt haben. 13 davon waren beim IS. Zu etwa einem Drittel der 1000 ausgereisten Islamisten haben die Sicherheitsbehörden zumindest „Anhaltspunkte“ dafür, dass die meist jungen Menschen Terroristen in Syrien oder Irak unterstützt haben.

    Viele IS-Rückkehrer auf freiem Fuß

    Doch das Innenministerium schreibt auch: „Der Bundesregierung liegen in der Regel keine gerichtsverwertbaren Erkenntnisse darüber vor, ob, inwieweit und mit welchem Tatbeitrag sich die ausgereisten Personen im Kampfgebiet strafbar gemacht haben“, eine Beweiserhebung sei „aktuell nur sehr eingeschränkt möglich“. Viele IS-Rückkehrer sind frei. Denn noch immer sind weite Teile Syriens für Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden unzugänglich, Informanten in Terrorgruppen vor Ort nur schwer zu gewinnen.

    Selbst für westliche Militärs sind die Zugänge begrenzt. Videos von IS-Verbrechen sind rar. Vor allem das US-Militär sammelt mit Spezialeinheiten derzeit DANN-Spuren und andere Hinweise in der Konfliktregion, die bei Ermittlungen gegen IS-Leute helfen können. Für das Vorhaben der Koalition bedeutet die dünne Informationslage jedoch eine heikle Frage: Kann man einen Entzug von Staatsbürgerschaft nur auf „Anhaltspunkten“ für eine Terror-Hilfe begründen?

    243 Kurden in den Kampf gezogen

    Zu 100 Personen liegen der Bundesregierung zudem Anhaltspunkte auf eine Ausbildung an Waffen und Kriegsgerät im IS-Gebiet vor. Das betrifft nicht nur Dschihadisten, sondern auch Kurden aus Deutschland, die sich der Anti-IS-Koalition angeschlossen haben.

    Seit 2013 zählten die Sicherheitsbehörden 243 Personen, die sich an die Seite der in der EU noch immer als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei PKK und der ihr nahestehenden PYD gestellt haben. Unter ihnen ist möglicherweise auch eine beträchtliche Zahl an Anhängern mit deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft. Auch sie wären von einem neuen Gesetz zum Passentzug betroffen – obwohl sie gegen die Dschihadisten kämpfen.

    Bis jetzt, so schreibt die Bundesregierung allerdings auch, sei in der Koalition „noch keine Meinungsbildung über die Ausgestaltung“ eines neuen Gesetzes erfolgt, dass den Passentzug erlaubt. Ein Rechtsgutachten habe die Regierung nicht eingeholt. Möglicherweise kommt eine juristische Entscheidung zu dieser umstrittenen Maßnahme im Kampf gegen Terroristen erst vom Bundesverfassungsgericht. Der mutmaßliche Taliban Thomas K. steht bald vor einem deutschen Gericht.