Peking/Berlin. Die USA üben in der Atompolitik Druck auf Nordkorea aus. Doch wie weit können die USA mit der Strategie gegenüber Kim Jong-un gehen?

Es ist ein nervenaufreibender Zickzackkurs: Vier Wochen vor dem geplanten Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber, Kim Jong-un, schürt Pjöngjang Zweifel am Zustandekommen des historischen Treffens.

Sollten die USA weiter darauf bestehen, dass Nordkorea sein Atomprogramm aufgibt, müsse über die Begegnung noch einmal nachgedacht werden, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur KCNA den ersten Vize-Außenminister, Kim Kye-gwan. Für Mittwoch angesetzte Gespräche mit ranghohen Vertretern Südkoreas ließ Nordkorea unter Verweis auf ein gemeinsames US-südkoreanisches Militärmanöver bereits platzen.

Womit droht Pjöngjang – und was steckt dahinter?

Eben noch schien die Annäherung an Nordkorea der größte außenpolitische Erfolg für US-Präsident Trump zu werden. Nun stellt Nordkoreas Machthaber Kim das für den 12. Juni in Singapur angesetzte Gipfeltreffen wieder infrage.

„Wenn uns die US-Regierung in die Enge treibt und einseitig fordert, dass wir Atomwaffen aufgeben, haben wir kein Interesse mehr an Gesprächen“, erklärte der stellvertretende Außenminister. Anders gesagt: Nordkorea ist bereit, den mit Spannung erwarteten Gipfel platzen zu lassen, sollten die USA zu hart auf atomare Abrüstung drängen.

Die Aussicht auf ein Spitzentreffen ist möglich geworden, weil Kim sich in seiner Neujahrsrede plötzlich zu Gesprächen bereit erklärt hatte. Eine Unterredung mit dem südkoreanischen Präsidenten, Moon Jae-in, im April war aus Sicht beider Seiten erfolgreich gelaufen. Doch bei diesem Treffen ging es nur um Symbole, nicht um Inhalte.

Kim hat bereits viele Zugeständisse gemacht

Kim dürfte es keineswegs ernsthaft um einen Abbruch der Gespräche mit den USA gehen. Denn dafür hat er bereits zu viele Zugeständnisse gemacht. Zum Beispiel gab es die Zusage, noch im Mai das Atomtestgelände stillzulegen. Zudem wurden drei US-Bürger, die in Nordkorea inhaftiert waren, freigelassen. Kim dürfte es in erster Linie darum gehen, den Verhandlungsdruck auf Trump zu erhöhen und so viele Konzessionen wie möglich herauszuschlagen.

Etwa beim Zeitraum des Abbaus der Kernwaffen, bei den internationalen Kontrollen oder beim Wegfall der Sanktionen und der Wirtschaftshilfe für Nordkorea. Nicht unbedingt. Das Weiße Haus hat das neueste Rückzieher-Signal Nordkoreas heruntergespielt. Man werde die Berichte prüfen. Aber: „Wir sind weiterhin hoffnungsvoll, dass das Treffen stattfinden wird“, unterstrich die Regierungssprecherin Sarah Sanders am Mittwoch.

„Wenn es stattfindet, wird der Präsident bereit sein.“ Trump hat ein großes Interesse an einem Abkommen mit Nordkorea. Er möchte mit dem Eintrag in die Geschichtsbücher, dass ihm gelungen ist, woran sich seine Vorgänger die Zähne ausgebissen haben: die Zähmung der Atommacht Nordkorea. Die Welt soll sehen, dass sich seine Strategie des „maximalen Drucks“ ausgezahlt hat.

Trump hat bei seiner Strategie kaum Spielraum

Die Frage ist, wie viele Zugeständnisse der US-Präsident bei dem Polit-Poker mit Pjöngjang machen will. Viel Spielraum hat er nicht. Er will als harter Hund in den Gesprächen erscheinen, der Kim in die Knie zwingt. Gelingt ihm dies nicht, dürfte er lieber mit spektakulärem Knall vom Verhandlungstisch aufstehen, mit der Botschaft: „Nicht mit uns!“ Klar ist aber auch, dass Trump den Nordkoreanern etwas anbieten muss. Die Drähte zwischen Washington und Seoul sowie Pjöngjang dürften deshalb in den kommenden Wochen heißlaufen.

Was hatte Kim tatsächlich zugesagt?

Die Drohung mag wie ein Sinneswandel aussehen. Doch sie kommt keineswegs überraschend. Nordkoreas Machthaber hatte sich bei seinem Gipfeltreffen mit dem südkoreanischen Präsidenten, Moon Jae-in, Ende April zwar generell zu einer „kompletten Denuklearisierung“ bereit erklärt. Er ist aber unklar geblieben, wie und bis wann sie erfolgen soll. Eine sofortige vollständige Abrüstung hat er nicht zugesagt. Er hat lediglich davon gesprochen, von weiteren Atomtests abzusehen.

Die US-Regierung hingegen hat die vollständige Zerstörung aller Atomwaffen schon vor Beginn der Verhandlungen vorausgesetzt. „Kim ist bedacht, eine starke Verhandlungsposition aufrechtzuerhalten“, sagt Go Myong-hyun, Politikwissenschaftler am Asan Institute for Policy Studies in Seoul. Während die USA also einen schnellen und unumkehrbaren Ausstieg aus allen Atom-Aktivitäten im Sinn haben, will Kim sein Arsenal nur langsam abbauen. In der Geschichte der atomaren Abrüstung habe noch nie ein Land plötzlich freiwillig auf seine Waffen verzichtet, betont Go. Es sei unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Diktator Kim hier den Anfang mache.

Was erwartet Trump von Nordkorea?

Kims Versprechen einer „Denuklearisierung“ der koreanischen Halbinsel heißt für Trump: vollständige Verschrottung des atomaren Arsenals Nordkoreas. Darüber hinaus erwartet der US-Präsident Kims Zustimmung zu einem lückenlosen Inspektions-Regime. Außenminister Mike Pompeo, der in den vergangenen Wochen Nordkorea zweimal besucht hatte, stellte Pjöngjang im Falle einer umfassenden atomaren Abrüstung schon mal Wirtschaftshilfe in Aussicht. „Wenn Nordkorea die mutige Maßnahme ergreift, schnell zu entnuklearisieren, sind die USA bereit, mit Nordkorea zusammenzuarbeiten, um Wohlstand zu erreichen“, versprach der amerikanische Chefdiplomat. Die Forderung nach der Einführung von Menschenrechten oder zumindest einer Lockerung des diktatorischen Regimes haben die Amerikaner bislang nicht erhoben.

Was droht, wenn die Annäherung scheitert?

Der Atom-Streit mit Nordkorea würde erneut aufflammen. Kim dürfte sein Nuklearwaffen-Programm wieder anfahren und als Erpressungs-Potenzial gegen die Nachbarländer Südkorea und Japan einsetzen. Tokio hatte für diesen Fall bereits signalisiert, ebenfalls Kernwaffen zum eigenen Schutz anzustreben. Trump, der im vergangenen Jahr Kim „Feuer und Zorn“ angedroht hatte, wird nicht tatenlos zusehen. Sicherheitsberater John Bolton hatte vor wenigen Wochen in einem Gastbeitrag für das „Wall Street Journal“ für einen militärischen Erstschlag plädiert.

Welche Versprechungen hat Nordkorea in der Vergangenheit gemacht – und nicht gehalten?

Der Streit um Nordkoreas Atomprogramm ist von Beginn an von Vertragsbrüchen und nicht eingehaltenen Zusagen gekennzeichnet. 1969 hatte Pjöngjang nach offiziellen chinesischen Angaben erstmals damit begonnen, Atomwaffen zu entwickeln. Moskau war dies nicht geheuer. Es brachte Nordkorea 1985 dazu, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Dieser regelt das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen. Im Gegenzug lieferten die Sowjets den Nordkoreanern vier Leichtwasserreaktoren. Ein Jahr später ging das Kernkraftwerk Yongbyon in Betrieb. Mit ihm konnte waffenfähiges Plutonium produziert werden.

1993 stritt sich Nordkorea mit der Internationalen Atomaufsichtsbehörde IAEA über die Offenlegung seines Atomprogramms. Noch unter Kim Il-sung, dem Staatsgründer und Großvater des jetzigen Machthabers, trat es erstmals einseitig aus dem Atomwaffensperrvertrag aus. Den USA gelang es allerdings schon ein Jahr später, Nordkorea wieder den Kontrollen der IAEA zu unterstellen. Im Gegenzug erhielt Pjöngjang zwei Leichtwasserreaktoren.

Doch dieses Abkommen von 1994 brach 2002 zusammen – damals unter Staatschef Kim Jong-il, dem Vater von Kim Jong-un. Die USA stellten Öllieferungen ein, weil ihre Geheimdienste Vertragsverletzungen auf nordkoreanischer Seite festgestellt hatten. Pjöngjang nahm im Gegenzug sein Atomprogramm offiziell wieder auf. Daraufhin verließ Nordkorea 2003 erneut den Atomwaffensperrvertrag.

2005 unternahm Nordkorea seinen ersten Atomtest. Der UN-Sicherheitsrat verhängte Sanktionen, die es Pjöngjang auch verbieten, ballistische Raketentechnologie zu entwickeln oder zu erwerben. Seitdem hat Nordkorea völkerrechtswidrig wahrscheinlich sechs Atomversuche durchgeführt und Dutzende ballistischer Raketen testweise ins All gefeuert. Der massivste Nukleartest fand im September 2017 statt.