Berlin. Der katalanische Separatistenführer Puigdemont wartet in Berlin den Ausgang seines Verfahrens ab. Von dort macht er Druck auf Spanien.

Es wirkt improvisiert, über Nacht arrangiert, buchstäblich. Am Vortag war Carles Puigdemont in Neumünster freigelassen worden, nun ist er in Berlin. Als erstes vernimmt man seine Bugwelle, den Beifall seiner Anhänger. Für sie ist er nicht der katalanische Separatistenführer – er ist der „President“.

Und da ist er, schätzungsweise 1,75 Meter groß, anthrazitfarbene Jacke, hellblaues Hemd, den Schlips farblich passend, nur dunkler. Er betritt die vier mal zwei Meter große Bühne, setzt sich auf einen grauen Stuhl, schlägt die Beine übereinander und balanciert darauf das Tabloid, aus dem er sein Statement ablesen wird, in Katalanisch, Englisch und Spanisch – in dieser Reihenfolge. Der Dauer nach zu urteilen, bekommen seine spanischen Zuhörer eine Kurzform.

45 Minuten lang wird er sich in Berlin den Fragen den Journalisten stellen, entspannt, lächelnd, nie um eine Antwort verlegen. Die Hafttage in Neumünster haben dem 54-Jährigen nicht zugesetzt. Er sei ordentlich „professionell“ behandelt worden. Dass einer wie er im Knast landet, betrachtet er als Teil seiner Aufgabe, als Berufsrisiko. Das seien „die Realitäten, die Umstände“.

Puigdemont darf das Land vorerst nicht verlassen

Solange die deutsche Justiz nicht über seine Auslieferung nach Spanien entschieden hat, darf er das Land nicht verlassen. Er betrachte es als seine Pflicht, den Behörden zur Verfügung zu stehen. Das ist die Auflage, daran hängt auch die Kaution von immerhin 75.000 Euro.

Bis zum Ende der Verfahrens will er in Berlin bleiben, in einer Stadt, die er seit Jahrzehnten kennt und „spannend“ findet. Wo genau er sich aufhalten wird, verrät er nicht, nur so viel: „Die Polizei weiß es.“ Vor der Tür steht ein Streifenwagen. Wie viele spanische Geheimdienstleute den Auftritt im „Aquarium“ am Kottbusser Tor verfolgen, wüsste man auch gern; angeblich waren ihm zwölf in Skandinavien auf den Fersen.

Das „Aquarium“ ist ein Nachbarschaftsforum, ein Raum für Feste, Seminare, Workshops, aber an diesem Tag, für diesen Anlass hoffnungslos unterdimensioniert. Die Journalisten drängen und schieben, lehnen an der Wand, stehen, knien und sitzen, auf Stühlen, auf dem Boden, auf der Bühne, wo neben Puigdemont ein grauer, etwa ein Meter hoher Bistrotisch aufgestellt wird, auf dem jetzt mindestens 40 Mikrofone stehen, dicht aneinander und bunt wie ein Blumenstrauß.

Neben seinen Anhängern, die man an den gelben Schleifen am Revers erkennt – Zeichen der Solidarität –, ist die Weltpresse da, fast 100 Leute. Um zwölf Uhr sind gut und gern 30 Kameras auf ihn gerichtet. High Noon am Kottbusser Tor. Der Auftritt ist schon die Botschaft: Ein Ausweis katalanischen Selbstbehauptungswillens.

Die spanische Regierung betrachtet den Katalanen als Kriminellen

Respekt, Augenhöhe, Dialog, das sind – im Stakkato – seine Botschaften. Puigdemont beteuert, dass Unabhängigkeit zwar seine, aber nicht die einzige Lösung sei, „wir sind bereit, zuzuhören“. Er wolle reden, verhandeln, nur unter einer Bedingung: „Keine Bedingungen.“ Auf das Wortspiel scheint er stolz zu sei, denn er lächelt verschmitzt.

Puigdemont will wie ein Politiker behandelt werden, die spanische Regierung betrachtet ihn als Kriminellen. Er will den Streit internationalisieren, sie verbittet sich jede Einmischung. Umso mehr konzentriert er sich darauf, Druck auszuüben, überall in Europa für die „katalanische Sache“ zu werben, in Finnland, Dänemark, in der Schweiz, „das ist meine Aufgabe“.

Sein neuer Mittelpunkt ist Brüssel. Dort sitzen seine Anwälte und „Experten“, wie Puigdemont sie nennt. In Finnland hatte ihn das Auslieferungsbegehren der Spanier ereilt. Für Ostern hatten sich seine Frau und seine zwei Töchter angesagt, sie wollten von Girona nach Belgien reisen. Als er in Finnland festsaß, erschien ihm der Landweg nach Brüssel sicherer als der direkte Rückflug ins Exil. Der Rest der Geschichte ist bekannt: In Schleswig-Holstein wurde er auf der Autobahn gefasst und in Gewahrsam genommen, aber das Oberlandesgericht in Schleswig entschied, ihn nicht wegen „Rebellion“ auszuliefern, allenfalls wegen Untreue.

Puigdemont respektiert Verfahren und Entscheidung. Mehrmals beteuert er, dass er den europäischen Institutionen und Regierungen vertraue. Vor allem bekräftigt er, dass der Konflikt um Katalonien einer parlamentarischen Lösung bedürfe. Er müsse mit politischen „Tools“, mit Werkzeugen, gelöst werden. Im Subtext liest man: nicht vor Gericht. Der Katalane hofft, dass die Regierung in Madrid ihr Vorgehen überdenkt.

Kein Strategiewechsel ín Spanien in Sicht

In Wahrheit ist kein Strategiewechsel in Sicht. Seit der Neuwahl am 21. Dezember gab es drei Anläufe zur Regierungsbildung: Puigdemont, Jordi Turull, Jordi Sànchez – sie alle sitzen entweder im Gefängnis oder werden per Haftbefehl gesucht. Für die spanischen Behörden ist Puigdemont jemand, der ein verfassungswidriges Referendum durchgesetzt und Gewalt ins Kalkül gezogen hat, schlicht ein Gesetzesbrecher.

Nach Freilassung ruft Puigdemont Madrid zum Dialog auf

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    Spanien will nicht beidrehen. Seine Justizbehörde erwäge, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, um überprüfen zu lassen, ob das Auslieferungsrecht in Schleswig ordnungsgemäß angewandt wurde. Zu den juristischen kommen erstmals politische Irritationen, nachdem Justizministerin Katarina Barley (SPD) die Entscheidung der Richter in Schleswig in der „Süddeutschen Zeitung“ als „absolut richtig“ bezeichnet hat. Mehr noch: Spanien müsse erklären, warum sich Puigdemont der Untreue schuldig gemacht haben soll.

    „Das wird nicht einfach sein.“ Wenn die Erklärung nicht überzeugend sei, werde der Haftbefehl aufgehoben, „dann ist Puigdemont ein freier Mann in einem freien Land – nämlich in der Bundesrepublik“. Zudem forderte Barley, dass man „jetzt miteinander auch über die politischen Komponenten reden“ müsse. In Madrid wiesen sie den Kommentar als „unpassend“ und „unglücklich“ zurück. Keine Einmischungen, bitte. Puigdemont ist hingegen mehr denn je überzeugt, dass ein internationaler Mediator helfen würde. Das Land brauche „jemanden, der als Vermittler auftritt“.