Berlin. Sowohl Eltern als auch Schüler haben mit dem G8-Abitur gefremdelt. Eine Studie belegt nun jedoch, dass das Turbo-Abi auch Vorteile hat.

Es gibt viele Reizwörter, die Eltern von Schulkindern in Rage bringen können. „Unterrichtsausfall“ oder „Schultoiletten“ zum Beispiel. Keines aber entfaltet so viel politische Wucht wie „G8“. Die Frage, ob Kinder nach acht oder neun Jahren das Abitur machen sollten, hat eine ganze Schülergeneration verfolgt und etliche Landtagswahlen bestimmt.

Inzwischen haben einige Bundesländer sogar die Reform der Reform eingeleitet, sprich: Erst haben sie G8 eingeführt, jetzt schaffen sie es wieder ab. Doch wie wirkt sich das Turbo-Abitur eigentlich auf die Leistungen der Schüler aus?

Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bei der PISA-Daten ausgewertet wurden, zeigt jetzt: Neuntklässler schneiden durch die G8-Reform beim Lesen, in Mathe und in den Naturwissenschaften besser ab als Neuntklässler im G9-System. Bei den Abiturnoten aber gibt es am Ende kaum Unterschiede.

Wöchentliche Unterrichtszeit steigt bei G8 an

Dazu muss man wissen: Durch die Verkürzung der Schulzeit um ein Jahr steigt gleichzeitig die wöchentliche Unterrichtszeit, zudem werden Unterrichtsinhalte vorverlagert, um den Wegfall des letzten Schuljahres zu kompensieren. Bis zur neunten Klasse absolvieren Schüler im G8-System daher mehr Unterrichtszeit als Gleichaltrige im G9-System.

Das scheint weitgehend zu fruchten, denn im Schnitt verbessern sich die Leistungen im internationalen Vergleich. Insbesondere gilt das für leistungsstärkere Schüler, während sich die Kompetenzen leistungsschwächerer kaum oder gar nicht verbessern. Die Forscher erklären sich das mit der konkreten Verwendung der zusätzlichen Unterrichtszeit.

„Die Ausweitung der Wochenstunden dient nicht primär der Vertiefung und Wiederholung des bisherigen Lernstoffs, sondern der Vermittlung von zusätzlichen Lerninhalten“, heißt es in der Studie. Würde die zusätzliche Zeit eher für vertiefendes Lernen verwendet, wäre zu erwarten, dass schwächere Schüler mehr profitieren, so die Autoren der Studie.

Daten von über 33.000 Schülern ausgewertet

Die Unterschiede zwischen leistungsschwächeren und leistungsstärkeren Schülern infolge der G8-Reform seien im mathematischen und im naturwissenschaftlichen Bereich größer als bei den Lesekompetenzen. „Eine mögliche Erklärung für diesen Befund ist, dass in diesen beiden Bereichen ein solides Verständnis vorangegangener Konzepte besonders wichtig für das Erlernen neuer Konzepte ist.“

Klar: Wer die binomischen Formeln nicht verstanden hat, hat später Probleme, komplizierte Gleichungen zu lösen. Für die Studie, die unserer Redaktion vorab vorlag, werteten die Forscher PISA-Daten von mehr als 33.000 Neuntklässlern aus.

Ältere DIW-Untersuchungen zeigen, dass der Anteil der Schüler, die im Gymnasium sitzenbleiben, durch die G8-Reform leicht gestiegen ist, den stärksten Anstieg gab es in der Oberstufe. Der Anteil an Schülern, die ihre Laufbahn am Gymnasium mit dem Abitur abschließen, blieb von der G8-Reform unberührt.

Bildungsunterschiede durch Herkunft nicht verstärkt

Und, das zeigt die neue Studie: Leistungsunterschiede, die sich über die sozioökonomische Herkunft der Schüler erklären lassen, wurden durch das Turbo-Abitur nicht verstärkt. „Kinder aus sozial bessergestellten Haushalten profitieren genauso davon wie Kinder aus sozial weniger gut gestellten Haushalten“, sagt Studienautor Jan Marcus.

Die Analyse zeigt allerdings auch: Der Vorsprung bei den PISA-Leistungen, den die Neuntklässler im G8-System gegenüber gleichaltrigen Mitschülern mit G9 erreicht haben, reicht nicht aus, um das wegfallende 13. Schuljahr vollständig auszu-gleichen: Im Vergleich der Abiturnoten liegen die G8-Abiturienten mit 0,04 Notenpunkte ganz leicht hinter den G9-Abiturienten. Sie sind also am Ende nicht besser, aber ein Jahr früher mit der Schule fertig.

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    Viele Länder reformieren jetzt die Reform

    Die Debatte über die Schulzeitreform geht unterdessen weiter: Gerade in den alten Bundesländern, die erst vor wenigen Jahren die Schulzeit bis zum Abitur von neun auf acht Jahre verkürzt hatten, hält die Mehrheit diesen Schritt für falsch – weil er Schüler und Lehrer ohne Not unter Druck setze und die Freizeit unnötig verkürze.

    In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben die neuen Regierungskoalitionen deswegen im letzten Jahr eine weitgehende Abkehr vom Turbo-Abitur beschlossen – in NRW brachte die schwarz-gelbe Koalition den Gesetzentwurf letzte Woche in den Landtag ein. Hier war die Schulzeitverkürzung zum Schuljahr 2005/06 von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung eingeführt worden.

    Für G8 hatten sich aber alle Landtagsparteien ausgesprochen. Inzwischen sind alle Fraktionen für eine Reform der Reform. Schon 2014 brach Niedersachsen mit G8. Dort wird die Umstellung zurück zum neunjährigen Gymnasium bereits umgesetzt. Auch Bayern hat eine flächendeckende Rückkehr zu G9 angekündigt. In Berlin, Hamburg und den östlichen Bundesländern dagegen gilt noch G8.

    Unmut der Eltern über Reform hat nicht abgenommen

    Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, ist nicht überrascht von der Wende zurück zum Abitur in neun Jahren, die viele Länder jetzt vollziehen. „Bildungspolitik braucht Kontinuität“, sagt er. „Aber bei G8 kam seit der Einführung einfach keine Ruhe rein.“ Der Unmut der Eltern über die Reform habe über die Jahre nicht abgenommen, sondern sei gewachsen. „Diese Klagen haben dazu geführt, dass die Politik immer wieder eingegriffen und verändert hat.“

    Doch nicht überall ist das achtjährige Abitur ein Streitthema: In Thüringen und Sachsen legen Gymnasiasten selbstverständlich das Abitur nach acht Jahren ab – und zwar schon seit dem Jahr 1949.