Afrin/Essen. Protürkische Kämpfer verwüsten Kurdenstadt und zerstören religiöse Statuen. Präsident Erdogan kündigte weitere Vorstöße in Syrien an.

Die Milizionäre tragen kistenweise Beute davon, einer hat den Anhänger eines Traktors mit Mopeds beladen, ein anderer schleppt einen Mercedes ab.

Nach der Eroberung der kurdischen Stadt im Nordwesten Syriens haben protürkische Islamisten-Milizen dort offenbar exzessiv geplündert und Verwüstungen angerichtet, darauf deuten Aufnahmen aus Afrin und Berichte von Beobachtern hin. Der türkische Präsident drohte unterdessen mit einem Einmarsch in den Irak.

YPG wollte einen blutigen Häuserkampf vermeiden

Afrin war am Sonntag von den protürkischen Milizen und der türkischen Armee eingenommen worden. Die Kurden-Miliz YPG, die sich im Umland seit dem 20. Januar gegen die türkische Invasion gestemmt hatte, hatte die Stadt nahezu kampflos verlassen.

Die Kurden seien Hals über Kopf geflohen, behauptet die türkische Regierung. Die YPG habe einen blutigen Häuserkampf, viele zivile Opfer und eine Zerstörung der Stadt verhindern wollen und sich deshalb zurückgezogen, sagen die Kurden.

Lachende Männer posieren mit ihrer Beute auf Fotos

Die türkische Regierung hat immer wieder behauptet, ihre Soldaten und die mit ihnen verbündeten Milizionäre kämen als Befreier, nicht als Besatzer.

Die protürkischen Milizionäre führen sich nicht so auf. Sie gehen bei ihren Plünderungen ungeniert vor: Auf vielen Bildern sind lachende Männer zu sehen, die mit ihrer Beute posieren, das Victory-Zeichen machen oder den Zeigefinger heben, als Zeichen für den einen Gott Allah.

Türkei erobert nordsyrische Stadt Afrin

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    Unterschiedliche Quellen berichten, dass Häuser, Verwaltungsgebäude und Läden geplündert worden seien. Laut der in London ansässigen Beobachtungsstelle für Menschenrechte haben die islamistischen Gruppen auch in einer „großen Anzahl“ von Dörfern landwirtschaftliche Werkzeuge und Maschinen gestohlen und Häuser ausgeraubt.

    200.000 Menschen sind bereits vor den Kämpfen geflohen

    YPG-Sprecher Brossik al-Hassaka sagte, die Milizionäre hätten in Afrin genau wie früher die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auch Gebäude angezündet und religiöse Statuen zerstört.

    Rund 200.000 Menschen sind bereits vor den Kämpfen geflohen. Auch Lena, die Schwester des Übersetzers Jihag Makho. Er lebt seit 18 Jahren in Deutschland. Makho ist Jeside, er stammt aus dem Dorf Xeziwe in der Nähe Afrins.

    Milizionäre kassieren von Flüchtlingen Geld für die freie Passage

    „Lena hat sich mit ihren drei Kindern nach Nubl retten können, da sind jetzt Tausende kurdische Flüchtlinge“, berichtet Makho. Schiitisch-arabische Milizionäre hätten an den Checkpoints von den Flüchtlingen Geld für die freie Passage kassiert.

    Lenas Ehemann Mustafa ist in Afrin geblieben. „Er ist Agraringenieur und hat sich ein Kaltpresswerk für Olivenöl gebaut. Das ist alles, was er hat, er will das nicht den Angreifern überlassen“, erzählt Makho. „Erdogan will in den Gebieten, die die Menschen verlassen, Araber und Turkmenen ansiedeln.“

    Erdogan will drei Millionen Flüchtlinge in „befreiten Gebieten“ ansiedeln

    Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass die türkische Regierung ein kurdenfreies Gebiet plant. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach mehrfach davon, die Region ihren „rechtmäßigen Besitzern“ zurückzugeben.

    Er hat immer wieder betont, einen Teil der drei Millionen Flüchtlinge in den „befreiten Gebieten“ anzusiedeln. Am Montag kündigte er an, seine Armee werde bis in die kurdischen Gebiete im Nordosten Syriens vorrücken und womöglich sogar in die irakische Shingal-Region, in der die YPG kleine Gebiete kontrolliert.

    Die YPG gilt in der Türkei als Terrormiliz, für den Westen ist sie engster Partner im Kampf gegen den IS.Westliche Regierungen lassen das Nato-Partnerland Türkei derzeit weitgehend unbehelligt agieren. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn allerdings kritisierte am Montag das türkische Vorgehen scharf. Er sagte „Spiegel Online“: „Das hat nichts mehr mit Selbstverteidigung zu tun.“