London/Moskau. Großbritannien bringt westliche Führungsmächte gegen Russland in Stellung. Merkel, Macron und Trump stellen sich hinter Theresa May.

Wladimir Putin hat sich diesmal wohl verrechnet. Noch am Donnerstagvormittag glaubte der russische Präsident offenbar, er könne sich mit Großbritannien einen überschaubaren Schlagabtausch liefern: Nach dem Nervengas-Attentat auf den früheren russischen Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter hatte London entschieden, 23 russische Di­plomaten auszuweisen – Moskau parierte dies am Donnerstag mit der Ankündigung, man werde nun zügig britische Diplomaten ebenfalls ausweisen. Zug um Zug eben. Doch am Mittag musste Putin erkennen, dass ihm die britische Premierministerin Theresa May ein paar Züge voraus war.

Im Eiltempo hat May eine Allianz der westlichen Partner geschmiedet, die für Russland viel unangenehmer werden kann als die Heimreise von ein paar Diplomaten: Deutschland, Frankreich und die USA stellten sich in einer gemeinsamen Erklärung klar hinter Großbritanniens Einschätzung, dass Russland „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Verantwortung für den Anschlag im britischen Salisbury trage.

Merkel, Macron und Trump halten zu den Briten

Eine andere plausible Erklärung gebe es nicht, betonten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Donald Trump und May selbst. Zudem gebe Russlands Weigerung, auf berechtigte Fragen Londons einzugehen, „einen zusätzlichen Anhaltspunkt für seine Verantwortlichkeit“. Es handele sich um „einen Übergriff gegen die Souveränität Großbritanniens“ und eine eindeutige Verletzung des Chemiewaffenübereinkommens und des Völkerrechts. Die Staats- und Regierungschefs äußerten sich „besorgt“ und erklärten: „Es bedroht unser aller Sicherheit.“

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Die Erklärung kam überraschend, weil Trump und anfangs auch Macron mit Schuldzuweisungen an Russland gezögert hatten. Nun erklärte Trump in Washington: „Es sieht sicherlich so aus, als steckten die Russen dahinter.“ Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wurde in Brüssel ebenfalls deutlich: Russland wolle den Westen destabilisieren, warnte er. Der Anschlag in Salisbury passe in ein Muster, das Russland seit Jahren anwende und zudem auch hybride Taktiken gehörten. „Wir werden angemessen reagieren“, versicherte er. Aus Washington kam für Putin gleich noch eine schlechte Nachricht: Wegen der mutmaßlichen russischen Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl verhängte Trumps Regierung Sanktionen gegen Moskau. Die Strafmaßnahmen richten sich gegen 19 Personen und fünf Organisationen. Die russische Regierung drohte umgehend mit Vergeltung.

Britischer Minister: „Russland soll das Maul halten“

Weitere Konsequenzen für Russland bleiben zunächst offen. Was die Nato genau unternehmen will, ist genauso unklar wie die Folgen, die die Erklärung von Trump, Macron und Merkel haben wird. Doch es zeichnet sich ab, dass sich das Nervengas-Attentat zu einer internationalen Krise ausweiten könnte – der Westen stuft den Anschlag als „ersten offensiven Chemiewaffeneinsatz auf dem Nato-Gebiet“ ein. Die Nato stellte allerdings klar, Großbritannien habe nicht beantragt, dass die Attacke als ein militärischer Angriff auf alle Alliierten eingestuft werde. Das Bündnis leiste deswegen bislang lediglich starke politische Unterstützung, sagte Stoltenberg.

Weitere Schritte sollen spätestens beim Nato-Gipfel im Juli beraten werden; als denkbar gilt etwa eine Ausweitung der Nato-Präsenz an der Ostgrenze des Bündnisses. Die EU-Regierungschefs werden beim Gipfeltreffen kommende Woche über die neuen Spannungen mit Russland sprechen – ob sich die EU zu neuen Sanktionen entschließen kann, ist noch unklar.

Britische Soldaten sollen gegen Milzbrand geimpft werden

Russlands Präsident Wladimir Putin.
Russlands Präsident Wladimir Putin. © REUTERS | SPUTNIK

Das britische Verteidigungsministerium kündigte unterdessen an, Tausende Soldaten gegen Anthrax, auch als Milzbrand bekannt, impfen zu lassen. Die Erreger von Anthrax gelten als potenzielle Biowaffen. Zudem wird London ein hochmodernes Zentrum zur Verteidigung gegen Chemiewaffen errichten. „Wenn wir an der Bedrohung für unsere Bevölkerung durch Russland zweifeln, dann müssen wir nur auf das schockierende Beispiel der rücksichtslosen Attacke in Salisbury schauen“, sagte Verteidigungsminister Gavin Williamson. Auf die Frage nach russischen Vergeltungsmaßnahmen fügte er hinzu, Russland solle „weggehen und das Maul halten“. Es sei „total grauenhaft und abscheulich, was Russland in Salisbury getan hat. Wir haben darauf reagiert.“

In Moskau bezeichnete Außenminister Sergej Lawrow dagegen die Vorwürfe, Russland sei für den Anschlag verantwortlich, als falsch und „völlig rüpelhaft“. Die russische Regierung wies zudem die Darstellung zurück, dass das bei dem Anschlag verwendete Nervengas in Russland oder der Sowjetunion entwickelt worden sei.