Rom. Wettert gegen Brüssel und gegen Flüchtlinge: Der 31-jährige Luigi Di Maio macht die Fünf-Sterne-Partei zur stärksten Kraft in Italien.

Sieht so ein Revoluzzer aus? Eher nicht. Luigi Di Maio ist eher der Typ netter Schwiegersohn: adretter Anzug und Krawatte, weiße Zähne, schwarzes Haar. Der 31-Jährige kommt sanft herüber.

Gerade hat er mit seiner linkspopulistischen Fünf-Sterne-Partei einen Triumph bei der italienischen Parlamentswahl errungen: mehr als 30 Prozent der Stimmen, stärkste politische Kraft im Land.

Maio wäre jüngster Ministerpräsident in der Geschichte des Landes

Doch statt lautstarker Parolen tritt der 31-Jährige nach dem Wahl-Triumph eher leise auf. Bloß sieben Minuten dauert seine Ansprache. Als jüngster Ministerpräsident in der Geschichte des Landes will er in den Regierungspalast einziehen. Und das, obwohl viele Wähler ihn für einen Mann mit unklarem Profil hielten.

Ihm steht nun die schwierige Aufgabe bevor, die als Oppositionsbewegung gegründete Partei auf Mainstream-Kurs zu bringen. Di Maio ist das komplette Gegenteil des schrillen Parteigründers und Kabarettisten Beppe Grillo. Moderat und nicht auf Krawall gebürstet. Das große „V“ im italienischen Originalnamen MoVimento5Stelle steht für „Vaffanculo“ - „Leck mich am Arsch“. Doch Fluchen ist Di Maios Sache nicht.

Junge Italiener können sich gut mit Di Maio identifizieren

Scharen enttäuschter Wähler von links bis rechts setzten ihre Hoffnungen auf Veränderung in den smarten jungen Mann, der in seiner Biografie das Leben vieler junger Italiener mit trüben Zukunftsaussichten widerspiegelt.

Der Sohn einer Lehrerin und eines Bauunternehmers brach ein Jurastudium ab. Über Wasser hielt er sich mit Kurzzeit-Jobs als Steward im Stadion von Neapel für 30 Euro pro Spiel und als Webmaster, bevor er in die Politik ging. Das Drittel der jungen Italiener, die vergeblich nach Arbeit suchen, aber auch solche, die sich mit zeitlich befristeten Jobs durchschlagen, kann sich gut mit Di Maio identifizieren. (72 Jahre, 64 Regierungen: Lesen Sie hier, wie Politik in Italien funktioniert.)

Unternehmer, die unter der hohen Steuerlast ächzen, stimmten ebenso für die Fünf-Sterne-Partei wie Studenten, die sich in Italien keine Berufschancen ausrechnen. Umweltschützer reagierten enttäuscht über die Regierungspartei der Demokraten.

Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi tritt zurück

Diese war plötzlich für eine Privatisierung der Wasserversorgung und für umstrittene Gasbohrungen in der Adria. Dass der demokratische Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi sich nach der krachenden Niederlage bei der Volksbefragung über seine Verfassungsreform im Dezember 2016 nicht wie angekündigt zurückzog, bestätigte sämtliche negativen Erwartungen an italienische Politiker.

Zwei seiner engsten Weggenossen ließ er überdies im Kabinett seines Nachfolgers Paolo Gentiloni, obwohl sie wegen der Vermischung von privaten und politischen Interessen hoch umstritten waren. Am Montagabend trat Renzi dann zurück.

Silvio Berlusconi in Bildern

Sex-Skandale, markige Sprüche, Gerichtsprozesse: Das ist Silvio Berlusconi. Wir zeigen Szenen eines erstaunlichen Politikerlebens des italienischen Ex-Ministerpräsidenten.
Sex-Skandale, markige Sprüche, Gerichtsprozesse: Das ist Silvio Berlusconi. Wir zeigen Szenen eines erstaunlichen Politikerlebens des italienischen Ex-Ministerpräsidenten. © dpa | Epa Ansa Di Meo
Jubelnd lässt sich Berlusconi bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2011 in Taranto von Anhängern tragen: Trotz der Feierlaune steht es zu diesem Zeitpunkt schon politisch schlecht für den Cavaliere. Im November tritt er vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Mario Monti folgt.
Jubelnd lässt sich Berlusconi bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2011 in Taranto von Anhängern tragen: Trotz der Feierlaune steht es zu diesem Zeitpunkt schon politisch schlecht für den Cavaliere. Im November tritt er vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Mario Monti folgt. © dpa | Epa Ansa Caricato
Trotzdem präsentiert sich der nur 1,64 Meter große Ex-Regierungschef auch im Jahr 2016 noch lächelnd mit seinen Anhängern, gerne auch mit Anhängerinnen. Der 1936 in Mailand geborene Berlusconi startete seine Karriere zunächst als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen.
Trotzdem präsentiert sich der nur 1,64 Meter große Ex-Regierungschef auch im Jahr 2016 noch lächelnd mit seinen Anhängern, gerne auch mit Anhängerinnen. Der 1936 in Mailand geborene Berlusconi startete seine Karriere zunächst als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen. © dpa | Angelo Carconi
Kein Politiker regierte Italien so lange wie der Medienmogul: Insgesamt 3340 Tage führte er die Geschicke der Italienischen Republik. Lange Zeit waren mehrere Gerichtsverfahren gegen Berlusconi anhängig.
Kein Politiker regierte Italien so lange wie der Medienmogul: Insgesamt 3340 Tage führte er die Geschicke der Italienischen Republik. Lange Zeit waren mehrere Gerichtsverfahren gegen Berlusconi anhängig. © dpa | Andrew Medichini
Im August 2013 verurteilten ihn Richter wegen Steuerbetrugs. Die Folge: Zwei Jahre durfte er keine öffentlichen Ämter bekleiden.
Im August 2013 verurteilten ihn Richter wegen Steuerbetrugs. Die Folge: Zwei Jahre durfte er keine öffentlichen Ämter bekleiden. © dpa | Stefano Porta
Der gebürtige Mailänder war seit 1986 Besitzer des Fußballclubs AC Mailand. Mehrere Jahre war er auch Präsident des Vereins – die Verstrickung in Interessenskonflikte führte aber dazu, dass er das Amt niederlegen musste. Dieses Foto zeigt den Cavaliere mit dem Champions-League-Pokal bei der Siegesfeier des Clubs im Jahr 1990.
Der gebürtige Mailänder war seit 1986 Besitzer des Fußballclubs AC Mailand. Mehrere Jahre war er auch Präsident des Vereins – die Verstrickung in Interessenskonflikte führte aber dazu, dass er das Amt niederlegen musste. Dieses Foto zeigt den Cavaliere mit dem Champions-League-Pokal bei der Siegesfeier des Clubs im Jahr 1990. © dpa | Epa Apa
Berlusconi hat auch abseits der Politik ungezählte Schlagzeilen gemacht. Zum Beispiel mit dem Fall „Rubygate“.
Berlusconi hat auch abseits der Politik ungezählte Schlagzeilen gemacht. Zum Beispiel mit dem Fall „Rubygate“. © dpa | Alessandro Di Meo
Die Staatsanwaltschaft lastete dem damals 75-Jährigen sexuelle Kontakte zu dem minderjährigen marokkanischen Escortgirl Karima el-Marough (l.), genannt „Ruby“, an. Da Berlusconi das Mädchen mit einem Anruf bei der Polizei aus deren Gewahrsam befreite, sollte er sich auch wegen Amtsmissbrauchs verantworten. Die höheren Gerichtsinstanzen sprachen ihn frei.
Die Staatsanwaltschaft lastete dem damals 75-Jährigen sexuelle Kontakte zu dem minderjährigen marokkanischen Escortgirl Karima el-Marough (l.), genannt „Ruby“, an. Da Berlusconi das Mädchen mit einem Anruf bei der Polizei aus deren Gewahrsam befreite, sollte er sich auch wegen Amtsmissbrauchs verantworten. Die höheren Gerichtsinstanzen sprachen ihn frei. © REUTERS | REUTERS / STAFF
Einer der zahlreichen politischen Skandale: Als Kandidatinnen der Regierungspartei für die Europawahl 2009 schlug Berlusconi drei junge Schönheiten vor. Eine ehemalige TV-Ansagerin, eine Fernsehschauspielerin und eine Sängerin. „Schamlose Luder im Dienst der Macht“, beschimpfte damals seine Noch-Ehefrau Veronica Lario die Damen. Lario (auf dem Bild) reichte 2009 die Scheidung ein.
Einer der zahlreichen politischen Skandale: Als Kandidatinnen der Regierungspartei für die Europawahl 2009 schlug Berlusconi drei junge Schönheiten vor. Eine ehemalige TV-Ansagerin, eine Fernsehschauspielerin und eine Sängerin. „Schamlose Luder im Dienst der Macht“, beschimpfte damals seine Noch-Ehefrau Veronica Lario die Damen. Lario (auf dem Bild) reichte 2009 die Scheidung ein. © dpa | Epa Ansa Danilo Schiavella
Von 2012 bis 2020 war der Milliardär mit der fast 50 Jahre jüngeren Francesca Pascale liiert.
Von 2012 bis 2020 war der Milliardär mit der fast 50 Jahre jüngeren Francesca Pascale liiert. © dpa | Luca Turi
Das Bild zeigt den Cavaliere im Jahr 2003 in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident vor Beginn des EU-China-Gipfels in Peking.
Das Bild zeigt den Cavaliere im Jahr 2003 in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident vor Beginn des EU-China-Gipfels in Peking. © dpa | Epa Ansa Monteforte
Nach einer Herzoperation im Jahr 2016 spürte der fünffache Vater laut eigener Angaben auf einmal das Alter. „In meinem Leben habe ich nie an das Älterwerden gedacht. Im Gegenteil, ich habe immer gelebt, als sei ich 40 Jahre alt, denn so habe ich mich gefühlt: voller Neugier, voller Tatendrang“, sagte Berlusconi zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2017 der Zeitschrift „Chi“. Aber dann sei er plötzlich krank geworden. „Und mit der Operation ist das Bewusstsein gekommen, dass ich ein Mann von 80 Jahren bin.“
Nach einer Herzoperation im Jahr 2016 spürte der fünffache Vater laut eigener Angaben auf einmal das Alter. „In meinem Leben habe ich nie an das Älterwerden gedacht. Im Gegenteil, ich habe immer gelebt, als sei ich 40 Jahre alt, denn so habe ich mich gefühlt: voller Neugier, voller Tatendrang“, sagte Berlusconi zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2017 der Zeitschrift „Chi“. Aber dann sei er plötzlich krank geworden. „Und mit der Operation ist das Bewusstsein gekommen, dass ich ein Mann von 80 Jahren bin.“ © REUTERS | REUTERS / REMO CASILLI
Corona-Pandemie: Berlusconi steckte sich 2020 mit dem Virus an. Hier verlässt er nach der überstandenen Infektion das Krankenhaus.
Corona-Pandemie: Berlusconi steckte sich 2020 mit dem Virus an. Hier verlässt er nach der überstandenen Infektion das Krankenhaus.
Parlamentswahl in Italien: Silvio Berlusconi von der rechten Forza Italia kommt Hand in Hand mit Lebensgefährtin Marta Fascina zur Stimmabgabe in Mailand.
Parlamentswahl in Italien: Silvio Berlusconi von der rechten Forza Italia kommt Hand in Hand mit Lebensgefährtin Marta Fascina zur Stimmabgabe in Mailand. © Claudio Furlan/LaPresse/Zuma Press/dpa
Berlusconi schaffte 2022 neben Matteo Salvini und Giorgia Meloni ein neuerliches Comeback.
Berlusconi schaffte 2022 neben Matteo Salvini und Giorgia Meloni ein neuerliches Comeback. © AFP | ALBERTO PIZZOLI
Am 12. Juni 2023 starb Berlusconi im Alter von 86 Jahren in Mailand. Er hatte zuletzt an Leukämie gelitten.
Am 12. Juni 2023 starb Berlusconi im Alter von 86 Jahren in Mailand. Er hatte zuletzt an Leukämie gelitten. © Gregorio Borgia/AP/dpa
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Lange Schlangen mit stundenlangen Wartezeiten vor den Wahllokalen wegen einer neuen Regelung gegen Stimmenkauf überzeugten viele Italiener zusätzlich davon, dass die herrschende politische Klasse schlicht unfähig sei. Wer nicht ohnehin wütend auf Politik als Selbstbedienungsladen für Volksvertreter war, hatte durch diese Schwierigkeiten einen Grund mehr, für Protestparteien zu stimmen.

Parteien wollen abgelehnte Flüchtlingsbewerber abschieben

Die jüngsten Skandale um Parlamentarier der Fünf-Sterne-Partei von Diätenbetrug bis hin zu verschwiegenen Vorstrafen beeindruckten die Wähler dagegen offensichtlich nicht. Vor allem auf der Welle der Angst vor Migranten ritt die Fünf-Sterne-Partei. Noch mehr Ressentiments gegen Flüchtlinge schürte die rechtsnationale Lega, der zweite große Wahlgewinner.

Beide Parteien überbieten sich mit dem Versprechen, abgelehnte Flüchtlingsbewerber schnell abzuschieben. Auch die anderen Forderungen, den Grenzschutz zu stärken und Wirtschaftsmigranten kompromisslos zurückzuführen, stießen bei vielen Italienern auf Resonanz.

Matteo Salvini, der Vorsitzende der Lega, ist jedoch in der Tonlage deutlich schärfer als Di Maio. Der Bewunderer von Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National in Frankreich, will Italien „von Prekariat und Unsicherheit befreien, die Renzi und Brüssel per Gesetz für Flüchtlingsboote und Bankenpleiten beschlossen haben“.

Beide Parteiführer reklamieren den Wahlsieg für sich

Von der Forderung nach einem Austritt aus der Eurozone sind die Fünf-Sterne-Partei und die Lega gleichermaßen abgerückt. Beide wollen lieber mit teuren sozialen Wohltaten das „Brüsseler Spardiktat“ brechen.

Zudem soll es erlaubt sein, Milliarden Euro öffentliches Geld für Investitionen lockerzumachen. Das Drei-Prozent-Limit bei der Neuverschuldung wird zur frei verfügbaren Gummi-Regelung. Beide Parteiführer reklamieren den Wahlsieg für sich. Dabei kann die Fünf-Sterne-Partei trotz ihres guten Abschneidens allein keine Regierung bilden.

Fünf Sterne und Lega streiten um Regierungsbildung in Italien

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    Die Lega hat den 81-jährigen Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi als bisheriges Zugpferd des Mitte-rechts-Bündnisses zwar deutlich überrundet. Dennoch verfehlte die Allianz die zum Regieren notwendige Marke von 40 Prozent der Stimmen.

    Stabiler wäre eine Koalition der beiden Wahlgewinner: Fünf-Sterne-Partei und Lega. Beide Gruppierungen hatten zwar bislang eine Koalition ausgeschlossen. Bei den wichtigsten Themen des Wahlkampfs gab es jedoch Übereinstimmungen: in der rigorosen Flüchtlingspolitik, der ausgabefreudigen Sozialpolitik und der harschen Kritik an der EU. Doch bis eine Regierung steht, dürften Monate vergehen.