Berlin. Verbissen, gestresst, erschöpft: Laut einer neuen Gesundheitsstudie leiden immer mehr 18- bis 25-Jährige unter psychischen Störungen.

Der Leistungsdruck ist hoch, die eigenen Ansprüche dazu oft brutal: „Ich sehe ja, wie hart manche Studenten heute sogar um Drittelnoten kämpfen.“ Joachim Szecsenyi ist Sozialwissenschaftler und Medizinprofessor an der Uni Heidelberg. Er hat sie täglich um sich: gestresste, verbissene, erschöpfte junge Leute. „Das Studium fordert den jungen Menschen heute sehr viel ab.“ Hoher Zeitdruck, ständiger Prüfungsstress, Geldsorgen und die Angst, am Ende doch keinen guten Job abzubekommen – das überfordert viele nicht nur, das macht etliche inzwischen auch ernsthaft krank. 2016 diagnostizierten Ärzte bei jedem sechsten Studenten eine psychische Erkrankung.

Experten beunruhigt die hohe Zahl, denn: Galten Studenten unter den jungen Erwachsenen bislang als besonders gesunde Gruppe, leiden inzwischen fast eine halbe Millionen der angehenden Akademiker unter Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken.

Blickt man auf die gesamte Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen, liegen die Zahlen sogar noch deutlich höher: Bundesweit diagnostizierten Ärzte zuletzt bei jedem vierten jungen Erwachsenen psychische Erkrankungen, wie der „Arztreport 2018“ der Barmer Krankenkasse zeigt. Zwischen 2005 und 2016 stieg die Zahl der Diagnosen in diesem Bereich damit um fast 40 Prozent an, bei den Depressionen sogar um knapp 80 Prozent.

Jeder dritte junge Berliner hat psychische Probleme

Deutliche Unterschiede gibt es dabei zwischen den einzelnen Bundesländern. In Berlin lag die Zahl der Diagnosen in dieser Altersgruppe am höchsten – hier stellten Ärzte bei fast jedem dritten jungen Hauptstadtbewohner (30,2 Prozent) psychische Probleme fest. In Hamburg waren es immerhin 29 Prozent, in Niedersachsen und Thüringen gut 27 Prozent. Die niedrigste Diagnose-Quote verzeichneten die Forscher in Nordrhein-Westfalen (24,2 Prozent). Bundesweit sind psychische Krankheiten bei jungen Erwachsenen inzwischen nach Schwangerschaften der zweithäufigste Anlass für eine stationäre Behandlung: Im Jahr 2016 meldeten die Kliniken immerhin fast 85.000 Behandlungsfälle.

Unklar ist dabei, welche Faktoren im Einzelnen für die Zunahme der Diagnosen und die regionalen Unterschiede verantwortlich sind. Denkbar ist etwa, dass in Großstädten wie Berlin und Hamburg junge Menschen geringere Hemmungen haben, mit psychischen Problemen zum Arzt zu gehen. Generell gilt: Wo Depressionen, krankhafte Ängste oder Panikanfälle weniger stigmatisiert sind, steigt in der Regel die Nachfrage nach professioneller Hilfe. Gleichzeitig dürften Ärzte, die häufiger Patienten mit psychischen Problemen behandeln, auch insgesamt offener für solche Diagnosen werden. Eine wichtige Rolle spielt auch die Facharzt-Dichte.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Freie Therapieplätze bei Therapeuten sind selten

Doch ein Besuch beim Arzt führt noch längst nicht zu einer angemessenen Behandlung. Freie Therapieplätze bei niedergelassenen Therapeuten sind rar. Beispiel NRW: Während es nach Angaben der Bundes-Psychotherapeutenkammer im Rheinland 41 Psychotherapeuten pro 100.000 Einwohner gibt und im Rhein-Main-Gebiet sogar 43, sind es im Ruhrgebiet nur 20. Psychisch kranke Menschen würden deshalb zwischen Dortmund und Duisburg durchschnittlich acht Monate auf eine Behandlung warten, zwei Monate länger als im Bundesdurchschnitt. Der Arztreport der Barmer zeigt, welche Folgen das haben kann: In 45 Prozent der Fälle gab es nach der Erstdiagnose keine weitere Behandlung – zumindest keine, die in den Kassendaten nachweisbar wäre.

Als Ursache für den starken Anstieg bei den psychischen Krankheiten vermuten Experten jedoch nicht nur den wachsenden Leistungsdruck und die gleichzeitig geringer werdende Scheu vor Stigmatisierung. Ein weiterer Grund sind geänderte Lebensgewohnheiten: Die Generation der 18- bis 25-Jährigen hat schlicht verlernt, zur Ruhe zu kommen: Das Smartphone ist der Taktgeber des Lebens, und der Takt kennt oft keine Pause.

Forscher befürchten einen weiteren Anstieg

Welche Folgen ein Leben im Online-Modus auf die psychische Gesundheit hat, untersucht eine weitere aktuelle Barmer-Studie. Das Ergebnis: Es gibt zwei Gruppen von Nutzern. Die einen erleben die digitalen Möglichkeiten als Entlastung, und sie schaffen es auch, ihren Online-Konsum zu kontrollieren. Den anderen dagegen entgleitet die Kontrolle. Sie gelten als gefährdet – auch mit Blick auf psychische Erkrankungen.

„Vieles spricht dafür, dass es künftig noch deutlich mehr psychisch kranke junge Menschen geben wird“, warnte Christoph Straub, Vorstandschef der Barmer bei der Vorstellung des Reports am Donnerstag in Berlin. Nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden Depressionen im Jahr 2020 die zweithäufigste Volkskrankheit sein.