Berlin. Horst Seehofer soll künftig als Bundesminister für Heimat die ländlichen Regionen fördern und das Land einen. Kann das funktionieren?
Heimat. Alle reden davon. Horst Seehofer will, wiewohl nur im Nebenamt, sogar Bundesminister für Heimat werden. Neben Innen und Bau. Ein Superministerium. Der CSU-Chef zahlt auf sein Narzissmus-Konto ein. Die Aufgabe motiviert, reizt ihn und manche Nutzer im Netz zum Spott: „Heimat-Horst“.
„Der ländliche Raum ist Herz und Seele Bayerns“ – so beginnt der bayerische „Heimatbericht“. Mit Romantik. Auf einem Foto grünt eine saftige Wiese, Hügellandschaft mit blauem Himmel. Am Horizont ein Dorf mit Kirchturm.
Designierter Innenminister soll gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen
Im Freistaat gibt es das Heimatressort seit 2013, dort ist es in Wahrheit ein verkapptes Ministerium für Infrastruktur. Es geht um die Förderung abgehängter Regionen, den Anschluss an die Moderne, etwa um eine Versorgung mit Breitbandinternet. Wenn man die Aufgabe auf den Bund überträgt, geht es für den designierten Innenminister um gleichwertige Lebensverhältnisse, bisher eine Querschnittsaufgabe im Kabinett, die viele Ressorts betrifft.
„Gleichwertige Lebensverhältnisse innerhalb Deutschlands zu schaffen, ist in meinen Augen dringende Notwendigkeit“, erläutert der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer unserer Redaktion. „Angesichts des demografischen Wandels und der damit verbundenen Herausforderungen für ländliche Räume wird dies keine leichte Herausforderung.“
Thema Heimat sei Seehofers Steckenpferd
Heimat sei ein Thema, das Seehofer seit Langem umtreibt, erzählt ein Vertrauter, „ein Steckenpferd“ von ihm. In Bayern hatte er es persönlich eingeführt; seither macht das Modell Schule. Im Koalitionsvertrag heißt es, „wir werden die Strukturschwächen in ländlichen Räumen, in Regionen, Städten und Kommunen in allen Bundesländern wirkungsvoll bekämpfen und die Kommunen beim demografischen Wandel unterstützen“.
Das sind die möglichen neuen Minister
Sind Union und SPD dabei, ein Ministerium für Kommunales zu schaffen, obwohl der Bund nicht zuständig ist? Welche Kompetenzen wird Seehofer bekommen? Wie viel Geld? „Basis für alles ist das Geld“, sagt Markus Söder, Bayerns Heimatminister.
Nur 14 Prozent bezeichnen Deutschland als „Heimat“
Heimat – das ist laut einer Umfrage des Statistikamts für 45 Prozent der Befragten vor allem die Familie, nur für 16 Prozent der Wohnort oder der Ort, an dem sie geboren sind. Nur 14 Prozent nennen Deutschland als „Heimat“.
Die Frage ist, ob ein Heimatministerium ausgerechnet auf Bundesebene funktionieren kann. Seehofer beteuert, er wolle mit seiner Heimatpolitik das Land einen, nicht spalten. Was zu beweisen wäre. Denn Heimat ist auch ein Kampfbegriff. „Sehnsucht nach Heimat“ betitelte Außenminister Sigmar Gabriel einen Essay über den Umgang mit Rechtspopulisten.
Unbefangen über Heimat zu reden, ist schwer
„Ich bin sehr dafür, dass wir ‚Grüne Begriffe‘ wie Heimat und Deutschland nicht der AfD überlassen. Wir müssen sie mit unseren Geschichten füllen“, sagt auch der neue Grünen-Chef Robert Habeck und konnte sich dabei auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier berufen, der auf der Feier zum Einheitstag gesagt hat, „ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern“.
Es ist schwer, unbefangen über Heimat zu reden. Rechtsextreme haben den Begriff gekapert, eine der schlimmsten Gruppierungen im NSU-Skandal nannte sich „Thüringer Heimatschutz“. Allein mit der Bezeichnung Heimatministerium bediene sich die CSU einer Sprache, die in der extremen Rechten beliebt sei, sagt die Linken-Abgeordnete Martina Renner dieser Redaktion. Für sie sei Heimat ein Ort, an dem alle, die hier leben, gleiche Rechte und Pflichten hätten. „Unabhängig von Herkunft oder sexueller Orientierung.“
Heimat-Begriff sein kein Mittel, um Rechtspopulismus zu bekämpfen
Auch Wissenschaftler melden Zweifel an. Zwar sei es sinnvoll, die ländlichen Regionen zu stärken, so Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. „Die Vernachlässigung durch die Politik sowie die Abwanderung vieler vor allem junger Menschen haben auch den Rechtspopulisten etwa von der AfD in diesen ländlichen Regionen zu Erfolgen verholfen“, sagt Quent.
Nur: Der Begriff Heimat sei nicht das Mittel, um Rechts-außen zu bekämpfen. „Die Gefahr ist, dass in den Heimatbegriff uneinlösbare Erwartungen projiziert und damit nationalistische Ressentiments angerufen werden.“
Wissenschaftler warnt vor Verklärung des Heimat-Begriffs
Der Historiker Paul Nolte warnt vor einer Verklärung des Begriffs. „Heimat ist für mich an dieser Stelle ein Euphemismus für Grenzkontrolle und Immigrationspolitik, wahrscheinlich sogar ein Codewort für Immigrationsabwehr“, sagte der Professor der FU Berlin.
Nolte verwies auf den ähnlichen Namen beim Department of Homeland Security, dem Ministerium für innere Sicherheit in den USA. „Das ist ein Nachmachen von institutionellen Entwicklungen im angelsächsischen Ausland“, sagte Nolte.
Schnittstelle zwischen Nostalgie und Fremdenfeindlichkeit
Bedient werden solle eine kulturelle Sehnsucht nach Heimat. „Das US-Ministerium beschäftigt sich aber nicht in erster Linie mit Programmen wie ,Unser Dorf soll schöner werden‘“, sagte Nolte. „Sondern da geht es um Grenzkontrolle und Immigration.“ Der Begriff Heimat bewege sich damit an der Schnittstelle von Nostalgie und Fremdenfeindlichkeit, so Nolte.
In Bayern gibt es seit 2013 auch den Heimatminister. Söder hat es aber nicht geschafft, der AfD den Boden zu entziehen. Sie hat eine Heimat gefunden.