Berlin. Die Union sichert sich zehn Kabinettsposten, die SPD sechs – darunter die wichtigen Ressorts Finanzen, Auswärtiges und Arbeit/Soziales.

Martin Schulz könnte bald wieder ein richtig beliebter Mann sein. Außenminister sind meist populär. Sogar der umstrittene Sigmar Gabriel fand in dem Amt Fortune. Nun also Schulz.

Für Gabriel ist kein Platz mehr im Kabinett, und wie ein Hans im Glück sieht auch SPD-Chef Schulz nicht aus, als er am Mittwochnachmittag mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer vor die Presse tritt. Während die Kanzlerin berichtet, dass man sich – nach einer letzten Sitzung, die mehr als 24 Stunden gedauert hat – auf einen Koalitionsvertrag geeinigt habe, guckt der designierte Außenminister fast grimmig in die Runde, die Augenbrauen zusammengezogen. Als bereite er sich darauf vor, sich zu rechtfertigen.

Die Hanseaten haben eine Tradition im Finanzressort

Nach der Wahl hatte Schulz kategorisch ausgeschlossen, Teil einer Regierung unter Merkel werden. Nun strebt er doch ins Kabinett, auf Augenhöhe mit den anderen Parteichefs, aber darauf kommt es nicht mehr an. Seine Tage als SPD-Chef sind gezählt, stattdessen soll Andrea Nahles an die Parteispitze rücken. Schulz tauscht Macht gegen das Prestigeamt eines Chefdiplomaten.

Nicht nach seinem Plan läuft auch, dass die Kabinettsbesetzung sofort bekannt wurde. Eigentlich sollten die SPD-Mitglieder unabhängig vom Kabinettstableau über die Fortsetzung des Bündnisses mit den Unionsparteien befinden und damit auch unabhängig vom Karrieredesign ihres Vorsitzenden.

Merkel bekommt große Koalition

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    Kanzleramtschef Peter Altmaier wollte erstmal duschen

    Auch für die anderen Ressorts kursierten bald Namen. Einer davon: Olaf Scholz. Der Hamburger Bürgermeister soll Finanzminister werden. In der Hansestadt haben sie einen Ruf zu verteidigen: Helmut Schmidt, Hans Apel, Peer Steinbrück, allesamt Sozialdemokraten, Hamburger, Finanzminister. Scholz wird obendrein Vizekanzler. Sechs Ministerien hat die SPD ergattert, wie bisher Außen, Soziales, Familie, Justiz, Umwelt. Und eine Aufwertung dazu: das wichtigere Finanzressort statt des klangvollen Wirtschaftsministeriums.

    Um die Verteilung der Ministerien unter den drei Partnern war lange gerungen worden. Die Verhandler, die am Vormittag das Adenauer-Haus verlassen, sind erschöpft. Doch das Wichtigste ist geschafft, die Bedürfnisse naheliegend. „Duschen“, antwortet Peter Altmaier (CDU), bisher Kanzleramtschef, künftig wohl Wirtschaftsminister und der Einzige, der an diesem Morgen sichtlich gute Laune hat. Und einer der wenigen CDU-Vertreter, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt etwas sagen. Jens Spahn, Finanzstaatssekretär, geht wortlos an den Journalisten vorbei, Thomas de Maizière ebenso.

    De Maizière spricht von einem „Amt auf Zeit“

    Um sein Innenministeriums war zäh gerungen worden. „Ein Ministeramt ist immer ein Amt auf Zeit“, sagt de Maizière, und dass er stolz und dankbar sei, dass er dem Land in drei schwierigen Ressorts habe dienen können. Chef des Kanzleramts war der 64-Jährige schon sowie Verteidigungs- und Innenminister. Er gehört jetzt nicht mehr dazu, es traf ihn jäh und unvermittelt. Seine Personalie war ein Härtefall.

    Seit Monaten schon machte sich die CSU Hoffnungen auf das Sicherheitsressort. So trägt die bayrische Partei Sorge, dass sich „eine Situation wie 2015 nicht wiederholt“. Seehofer wird Minister und damit Garant dafür, dass die Zuwanderung begrenzt wird; so, wie er und seine Partei es seit Langem fordern.

    CSU tauscht Landwirtschaft gegen Innenministerium

    Ursprünglich war sein Parteifreund Joachim Herrmann für den Job vorgesehen, anders als Seehofer ein Mann vom Fach. Dann gab es in der CSU eine kleine Palastrevolte, und Seehofer, bayrischer Ministerpräsident, lässt seine Karriere im Bund ausklingen; dort, wo für ihn einst alles angefangen hat. Die meiste Zeit seiner Karriere verbachte Seehofer in der Bundespolitik. Für ihn wird das Ressort getunt, veredelt: Er wird auch Minister für „Heimat“. Obendrein wird der Zuschnitt den Wohnungsbau umfassen, eigentlich ein Fremdkörper.

    Die CSU behält die Ministerien für Verkehr und Entwicklungshilfe, wo der bisherige Amtsinhaber Gerd Müller offenbar ausscheidet, und tauscht das Landwirtschaftsministerium gegen das Innenressort. Das Verkehrsministerium bekommt die Zuständigkeit für Digitalisierung. Zweifellos eine Aufwertung. Für den Ministerposten dort ist der bisherige Generalsekretär Andreas Scheuer im Gespräch, für Entwicklungshilfe Dorothee Bär.

    CDU: „Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt“

    „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt!“, twittert ihr Abgeordneter Olav Gutting. Pure Ironie. Nicht zu kaschieren ist, dass die Partei der Kanzlerin sich personell unter Wert verkauft. Die CDU verliert zwei Klassiker, Finanzen und Innen. Sie besetzt neben der Wirtschaft die Ressorts für Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft und Verteidigung – Ursula von der Leyen macht weiter. Sie gehört nach derzeitigem Stand zusammen mit Barbara Hendricks (Umwelt, SPD), Katarina Barley (Familie, SPD) und Heiko Maas (Justiz, SPD) zu den wenigen Kabinettsmitgliedern, die wahrscheinlich in ihren bisherigen Ämtern bleiben dürfen. Alle andere wechseln den Posten oder sind erstmals Minister.

    Wie es heißt, soll die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner Landwirtschaftsministerin werden, Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz könnte Gesundheitsministerin werden. Dazu zeichnet sich ab, dass Helge Braun, im Kanzleramt bislang Staatsminister, die Regierungszentrale leiten könnte. Ein Aufstieg. Zusammen besetzen die Unionsparteien alle Sicherheitsressort und ferner alle Häuser, die für Digitalisierung entscheidend sind, eine Schlüsselkompetenz.

    Drängt Spahn auf einen Generationenwechsel?

    „Inhalte gegen Personen“, so reimt sich ein CDU-Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen eine Logik zusammen. Denn: In der Gesundheitspolitik und bei der Frage der sachgrundlosen befristeten Arbeitsverträge hat die CDU in der Verhandlungsnacht die Forderungen der SPD weitgehend abgeblockt. Nach der Lesart hat Merkel die SPD mithilfe von Posten vernascht. Trotz der Erzählung rumort es bei den Christdemokraten, speziell im größten Landesverband. Wo bleibt die NRW-CDU? Hermann Gröhe muss angeblich vom Gesundheits ins Bildungsressort wechseln.

    Dobrindt: "Sie sehen uns zufrieden"

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      Die Merkel-Garde hat ihren Bestand gesichert – für die sogenannten Erneuerer in der CDU ist der nächste Stichtag die Wahl des Unionsfraktionschefs im September. Gut möglich, dass der umtriebige Spahn, ein Mann aus NRW, dann auf einen Generationenwechsel drängen wird. Der bisherige Chef Volker Kauder gilt als Merkelianer.

      Streng genommen waren die Verhandlungen am Morgen unterbrochen worden. Mittags kommen die Unterhändler zusammen und klären Details. Danach wird der 177 Seiten lange Vertrag abgesegnet, den Medien und den Abgeordneten erläutert. Dass er unter dem Vorbehalt steht, dass die SPD-Mitglieder zustimmen, ist bekannt und erklärt vieles: die langen Verhandlungen und die personellen Zugeständnisse. Mit Union und SPD machen zwei Parteien weiter, die von den Wählern abgestraft worden waren. Minus mal minus gibt nicht nur in der Mathematik, sondern auch in der Politik plus. Es sei denn, die SPD-Mitglieder machen Merkel einen Strich durch die Rechnung.