Prag. Tschechien wählt ein neues Staatsoberhaupt. Trotz primär zeremonieller Aufgaben könnte er entscheidend für die Zukunft des Landes sein.

Als die dritte Runde Bier und Schnaps auf dem der blassblauen Tischdecke landet, als das Rauchverbot in der Dorfkneipe längst ausgehebelt ist, entfaltet die Propaganda ihre Wirkung. Die Antenne auf dem Blechdach ist defekt, und so beugen sich vier Gäste über ein Smartphone, aus dem die aufgeheizte Debatte der Präsidentschaftskandidaten scheppert.

Der amtierende Präsident Miloš Zeman bläst zum Angriff – dazu reichen zwei Worte: „illegale Migranten“. Das Studiopublikum johlt, die Kneipengäste haben genug gehört. Denn der Herausforderer Jiří Drahoš, so erzählt man es sich hier, will Hunderttausende muslimische Asylbewerber in das Land holen.

David, ein Mittzwanziger mit biermüden Augen und Schuldensorgen, sagt: „Auf Zeman ist Verlass. Der lässt die hier nicht rein.“ Dass der Präsident kaum Einfluss auf die Migrationspolitik des Landes hat, und dass auch Zemans Gegenkandidat in der TV-Debatte gerade einen harten Kurs in der Migrationspolitik ausbreitet, interessiert hier keinen. Auch nicht, dass Zeman seit einigen Jahren eine kremlnahe Linie fährt.

Die Kandidaten können unterschiedlicher nicht sein

Bis Sonnabendnachmittag wählen die Tschechen in einer Stichwahl ihr Staatsoberhaupt. Der Sieg in der erste Runde ging mit 38 Prozent an den Amtsinhaber. Der 73-jährige Zeman ist Ex-Premierminister, Freund der politisch inkorrekten Altherrenwitze, stolzer Trinker, starker Raucher, begnadeter Rhetoriker.

Sein Herausforderer heißt Jiří Drahoš, 68 Jahre, Polit-Neuling, Chemiker und über Jahre Leiter der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Die Haare schneeweiß, das Lächeln gequält. Sein Slogan: „Anstand ist Stärke.“ In der ersten Runde holte Drahoš knapp 27 Prozent – und die Unterstützung mehrerer unterlegener Kandidaten.

Für die entscheidende Wahl an diesem Wochenende sagen alle Umfragen ein sehr knappes Ergebnis voraus. Am Ende könnten wenige Tausend Stimmen entscheiden. Aber was eigentlich?

Laut Verfassung ist der Präsident politisch weitgehend machtlos

Die Verfassung sieht vor allem repräsentative Funktionen für den Präsidenten vor. Jiří Drahoš sagt: „Es geht darum, Teil der zivilisierten Welt zu bleiben, teil der EU und der nordatlantischen Allianzen.“ Zeman sagt, es gehe um die Souveränität Tschechiens.

Beobachter wie die Politologin Vladimíra Dvořáková meinen: „Wir entscheiden, ob wir einen ähnlichen Weg wie Polen oder Ungarn einschlagen wollen. Einen Weg in die illiberale Demokratie.“

Abstinenzlern und Vegetariern wünschte Zeman den Tod

2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, sagte Präsident Zeman: „Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir es mit einer organisierten Invasion zu tun haben, nicht mit einer spontanen Bewegung von Flüchtlingen.“ Die Landesgrenzen wolle er vor den Einwandern zur Not persönlich, mit der Waffe in der Hand verteidigen.

Bei einem Besuch bei Winzern wünschte Zeman Abstinenzlern und Vegetariern den Tod und bei einem Treffen mit Russlands Präsidenten Putin in China blickte er auf die vielen anwesenden Journalisten und schlug mit einem Grinsen vor, das man einige davon „liquidieren“ sollte.

emans Nähe zu Putin hat ihn in der EU isoliert

Es ist seine Nähe zum Kreml, die ihn in der EU isoliert hat. Zeman fordert seit Jahren die Aufhebung der Russlandsanktionen, und de facto eine Anerkennung der Krim-Annexion. Sicherheitskreise sehen gar ein mögliches Schlupfloch für russische Agenten auf der Burg: Zemans Wirtschaftsberater. Der heißt Martin Nejedlý und war einst Geschäftsführer eines tschechischen Ablegers des russischen Ölgiganten Lukoil.

Als er wegen millionenschwerer Schulden beim Staat fast seinen Beraterposten räumen musste, sprang Lukoil ein, zahlte mehr als eine Million Euro. Der hat bis heute keine Sicherheitsprüfung durchlaufen und arbeitet weiter in einem Büro direkt neben dem des Präsidenten.

Einflussversuche Russlands gäbe es genug, sagen Experten

„Russlands Geheimdienste haben nie aufgehört, Mittelosteuropa als ihre Einflusssphäre zu begreifen“, sagt der frühere Chef des tschechischen Auslandsgeheimdienstes Karel Randák. Ob Nejedlý oder tschechische Politiker mit dem russischen Geheimdiensten zusammenarbeiten, will Randák nicht beurteilen.

Aber Versuche von russischer Seite, Agenten und Informanten in der tschechischen Politik zu gewinnen, gäbe es genug – auch erfolgreiche. Und: „Nejedlý würde sich für russische Agenten geradezu anbieten, um Einfluss auf den Präsidenten auszuüben.“

Über den Konkurrenten Drahoš werden „Fake News“ verbreitet

Präsidentschaftskandidat Jiří Drahoš hat es nicht einfach. „Alternative Medien“ verbreiten „Fake News“ über ihn. Wer will, kann nach deren Lektüre glauben, dass Drahoš für die tschechoslowakischen Staatssicherheit gearbeitet hat oder dass er mit Angela Merkel längst die massenhafte Ansiedlung muslimischer Flüchtlinge plant. Einer Studie zufolge glaubt jeder vierte Tscheche solchen Portalen.

Miloš Zeman greift das dankbar auf. Vor der Stichwahl druckten mehrere Tageszeitungen Anzeigen mit Zemans Konterfei. Daneben war zu lesen: „Stoppt die Immigranten und Drahoš. Dieses Land gehört uns. Wählt Zeman.“ Die Kampagne prangt auch auf zahlreichen Werbetafeln im ganzen Land.

Der „Verein der Freunde von Miloš Zeman“ sponsert den Amtsinhaber

Fragt man auf der Burg nach der Finanzierung, wird man auf das transparente Wahlkampfkonto verwiesen. Aber dort taucht als Sponsor ein „Verein der Freunde von Miloš Zeman“ auf. Dem steht unter anderem Zemans Berater Martin Nejedlý vor.

Woher das Geld kommt? Keine Auskunft. Erst einen Tag vor der Wahl liest Zeman in einer weiteren TV-Debatte eine Sponsorenliste vor. Zu spät, um seine Angaben zu überprüfen.

Mit Hetze lassen sich vor allem auf dem Land Stimmen sammeln

Vor allem in den ländlichen Regionen wirkt die Angstkampagne. Das haben auch die Parlamentswahlen gezeigt, bei der Anti-System-Parteien teils mit Hetze Stimmen sammeln konnten. Darunter die rechtsextreme „Freiheit und direkte Demokratie“ und die Protestpartei des Milliardärs und Wahlgewinners Andrej Babiš.

Der hat gerade seine Immunität als Abgeordneter verloren – die Polizei ermittelt wegen EU-Subventionsbetrugs. Sollte Zeman verlieren, will er Babiš noch vor der Amtsübergabe dennoch erneut zum Premierminister ernennen. Im Gegenzug empfiehlt Babiš Zeman als Präsidenten.

Künstler, Schauspieler und Musiker unterstützen Drahoš

Jiří Drahoš steht auf der Bühne eines Kinosaals in Prag. Das Ende seiner Kampagne lässt er unter seinen Unterstützern ausklingen. Gekommen sind Künstler, Schauspieler, Musiker – und drei Kandidaten, die es nicht in die zweite Runde geschafft haben. Drahoš streckt die Daumen in die Höhe, begrüßt so viele er kann mit Handschlag, wird mit Herr Professor angesprochen. Laut Meinungsforschern treffen die Tschechien bei der stark personalisierten Präsidentschaftswahl eine emotionale Entscheidung. Nicht gerade die Stärke des Professors.