Berlin. Volker Kauder fordert schnelle Verhandlungen mit der SPD. Und der Unionsfraktionschef beharrt weiter auf dem Sondierungsergebnis.

Am Morgen danach steht Volker Kauder noch unter dem Eindruck des SPD-Sonderparteitages. Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag ahnt: Der Weg zur nächsten großen Koalition ist schwer zu überschauen.

„Es ist offenkundig, dass die SPD auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig ist“ – sprach Kanzlerin Merkel nach der Bundestagswahl. Haben Sie beim jüngsten Sonderparteitag der Sozialdemokraten auch diesen Eindruck bekommen?

Volker Kauder : Die SPD hatte einen schwierigen Parteitag. Aber ich bin froh, dass am Ende der Weg für Verhandlungen über eine Regierungsbildung freigemacht wurde.

Der Parteitag hat denkbar knapp für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt, die Zweifel bleiben erheblich…

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    Kauder: Die Sondierungsgespräche haben gezeigt, dass wir genügend Gemeinsamkeiten haben, um dem Land eine gute Regierung zu stellen. Nun müssen wir unsere Absprachen vertiefen und konkretisieren. Dabei muss der Wille deutlich werden, dass wir zum Wohl der Bürger und des Landes zusammenarbeiten wollen. Am Ende der Verhandlungen müssen wir eine gemeinsame Vorstellung entwickelt haben, wie wir das Land voranbringen wollen. Die Herausforderungen sind ja riesengroß. Parteien sollten da nicht in erster Linie auf sich blicken.

    Das wird nicht reichen, um die nächste Hürde zur großen Koalition zu nehmen: die Befragung der SPD-Mitglieder…

    Kauder: Ich finde, dass die SPD in den Sondierungsverhandlungen doch einiges für sich verbuchen kann, wie auch wir für uns. Trotzdem ist die SPD uneins. Die Nein-Sager dort argumentieren aber gar nicht mit dem Sondierungsergebnis. Sie meinen vielmehr, dass die SPD derzeit grundsätzlich nicht in ein Bündnis mit der Union gehen sollte – egal, was in den Gesprächen herausgekommen ist. Die Union, selbst wenn sie es wollte, könnte die Jusos doch nie mit mehr Zugeständnissen überzeugen. Das ist doch eine Fundamentalkritik, die da in der SPD geäußert wird.

    Die SPD will „verhandeln, bis es quietscht“, hat Fraktionschefin Nahles ankündigt. Wann quietscht es denn?

    Kauder: Wir werden mit der SPD respektvoll reden. Aber in den Sondierungsgesprächen haben wir bereits die wichtigsten Grundsatzentscheidungen getroffen. Schauen sie sich einmal die Präambel des Papiers an, wo mehrfach von „Wir wollen“ gesprochen wird. Das Papier ist die Grundlage für einen Koalitionsvertrag. Das war unser gemeinsames Verständnis vor zehn Tagen. Auch die Union hat in den Sondierungen schmerzliche Dinge zugestanden, zum Beispiel bei der Rente. Das war nur vertretbar, weil die Wirtschaft sich weiter gut entwickelt. Auch die Einführung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung ist schwierig, weil dies zu einer Erhöhung der Arbeitskosten führt.

    Ist das Sondierungsergebnis ein vorgezogener Koalitionsvertrag? Oder sind Nachbesserungen möglich?

    Kauder: Das Sondierungsergebnis ist ausgewogen. Da kann man nicht einseitig den einen oder anderen Punkt wieder verändern. Wir reden natürlich mit der SPD über die Fragen, über die sie reden will. Aber klar ist: Was wir vereinbart haben, ist vereinbart, weil es eben gemeinsame Grundsatzentscheidungen sind.

    Werden die Koalitionsverhandlungen dann nicht zur Farce?

    Kauder: Schauen Sie das Sondierungspapier an. Viele Bereiche müssen noch vertieft werden. Wir müssen vor allem genauer beschreiben, wie Deutschland im Zeitalter der Digitalisierung seine Spitzenstellung verteidigen kann. Das ist die Herausforderung schlechthin.

    Die SPD will auf heikleren Feldern nachbessern: Gesundheit, Arbeitsmarkt, Zuwanderung.

    Kauder: Wir sollten gar nicht über Nachbesserung sprechen. Das Sondierungspapier ist die Grundlage für eine Koalition.

    Was heißt das konkret für die Gesundheitspolitik? Die SPD hätte am liebsten eine Bürgerversicherung. Sind Sie bereit, Kassenpatienten besserzustellen?

    Kauder: Ich führe Koalitionsgespräche nicht in der Öffentlichkeit. Ich bitte alle Seiten, jetzt verbal eine Umdrehung zurückzudrehen. Bei der Gesundheitsversorgung will natürlich auch die Union Verbesserungen. Die Bürger- oder Einheitsversicherung bringt sie aber nicht. In Großbritannien ist sie Realität. Das Ergebnis ist verheerend.

    Wir möchten die Qualität unseres Gesundheitswesens über den Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Kassen sichern, was nicht bedeutet, dass hier alles beim Alten bleiben soll, wenn ich auf die unterschiedlichen Wartezeiten in den Praxen schaue.

    Die SPD will Kassenpatienten besserstellen – und dringt auf eine einheitliche Honorarordnung für Ärzte…

    Kauder: Eine pauschale Angleichung der Ärztehonorare würde vermutlich fünf Milliarden Euro kosten. Die bringt uns auch nicht weiter. Stattdessen sollten wir uns um eine bessere Ärzteversorgung im ländlichen Raum kümmern. Wir brauchen neue Anreize, damit sich mehr Ärzte auf dem Land ansiedeln. Höhere Honorare für die Behandlung von Kassenpatienten wären ein sinnvolles Instrument.

    Welchen Spielraum sehen Sie bei der Zuwanderung – gerade mit Blick auf den Familiennachzug für Flüchtlinge?

    Kauder: Bei der Zuwanderung müssen wir von der Integrationsfähigkeit unseres Landes ausgehen. Die SPD weiß doch ganz genau, wie die Lage in den Kommunen ist. Zur Erinnerung: Es wurden doch auch 2017 rund 190.000 neue Asylanträge registriert. Das ist eine mittlere Großstadt.

    Es gibt auch heute Familiennachzug. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die SPD-Führung dem verschließen will. In den Sondierungen haben wir eine ausgewogene Lösung für den Familiennachzug auch für subsidiär geschützte Personen gefunden, die schon eine Härtefallregelung ist.

    Sie beharren darauf, den Familiennachzug auf 1000 Menschen pro Monat zu begrenzen?

    Kauder: Wir werden versuchen, die SPD davon zu überzeugen. Die Begrenzung auf 1000 Personen ist für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus sehr sinnvoll.

    Wann steht die neue Regierung im günstigen Fall?

    Kauder: Wir sollten in zwei bis drei Wochen mit den Verhandlungen fertig sein. Es ist generell richtig, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Aber das Tempo zählt mittlerweile auch. Die Bürger sind des Wartens müde. Jeder Tag, der ohne neue Regierung vergeht, erhöht nicht gerade das Vertrauen in die Parteien und die Demokratie. Auch das muss jedem vor Augen stehen.

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      Die SPD-Führung ist entschlossen, ihre Partei von Grund auf zu reformieren. Wann erneuert sich die CDU?

      Kauder: Wir haben in der CDU einen ständigen Prozess der inhaltlichen Erneuerung. Wir bleiben unseren Grundsätzen treu – und stellen uns dabei den Veränderungen der Zeit. Ich nenne nur die ganze Diskussion über die Digitalisierung.

      Und personell?

      Kauder: Auch das findet in der CDU ständig statt. Wir haben jetzt einen ganz jungen Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein, Daniel Günther, und mit Armin Laschet einen neuen Mann in Nordrhein-Westfalen.

      Wie ist es nach siebzehneinhalb Wochen versuchter Regierungsbildung um die Autorität der Kanzlerin bestellt?

      Kauder: Die Kanzlerin besitzt eine ungebrochene Autorität. Das zeigt sich schon daran, dass die CDU keinen Parteitag braucht, um von Sondierungen zu Koalitionsverhandlungen zu kommen. Und wenn ich in die Partei hineinhöre, wird ganz klar: Jawohl, Angela Merkel soll eine neue Regierung anführen.