Caracas. Hungerkrise und Hyperinflation bringen Venezuela an den Rand des Zusammenbruchs. Das Militär geht indes massiv gegen Rebellen vor.

Hunderte venezolanische Polizisten und Soldaten hatten die Siedlung El Junquito nahe der Hauptstadt Caracas umstellt. Sie waren auf der Jagd nach dem Staatsfeind Nummer eins – Óscar Pérez. Er hatte zur Rebellion gegen den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro aufgerufen und Ende Juni 2017 erstmals von sich reden gemacht, als der Pilot der Polizeieinheit CICPC mit einem gekaperten Hubschrauber das Innenministerium beschoss und Granaten auf den Obersten Gerichtshof feuerte. Mehrere Menschen wurden bei dem Feuergefecht am Dienstag getötet und verletzt – auch Pérez kam ums Leben.

Über ein halbes Jahr hatte er die Regierung im krisengebeutelten Land genarrt. Der Anführer der Aufständischen sei bei einem Militäreinsatz nahe der Hauptstadt Caracas ums Leben gekommen, teilte Innenminister Néstor Reverol am Dienstag mit. Maduro hatte ihn einen Terroristen genannt, nun gratulierte der Präsident seinen Sicherheitskräften: „Die Ermittlungen haben uns erlaubt, eine Zelle dieser Gruppen zu zerschlagen, die planten, eine Autobombe vor der Botschaft eines bekannten Landes detonieren zu lassen“, sagte er vor der Verfassungsgebenden Versammlung. „Wer den Weg des Terrorismus wählt und die Waffen gegen das Volk richtet, dem antworten die Streitkräfte. Habt daran keinen Zweifel.“

Lebenshaltungskosten steigen rasant

So wollte sich Óscar Ortiz kurz vor Weihnachten ein Bier für die Feiertage gönnen und stellte sich in die Schlange einer Spirituosenhandlung in Caracas. Zu dem Zeitpunkt kostete die Flasche noch 10.000 Bolívares. Als Ortiz zwei Stunden später dran war, hatte sich der Preis um 30 Prozent auf 13.000 Bolívares erhöht. „Ich wusste nicht, was Hyperinflation ist, jetzt weiß ich es“, sagt der junge Mann noch immer ungläubig.

Óscar Pérez galt in Venezuela als Staatsfeind Nummer eins.
Óscar Pérez galt in Venezuela als Staatsfeind Nummer eins. © dpa | Miguel Rodriguez

So wie ihm geht es mittlerweile allen Venezolanern. Sie können gar nicht so schnell kaufen, wie sich die Preise erhöhen. Seit dem Herbst vergangenen Jahres ist das Land mit den größten Ölreserven der Welt in die fatale Spirale der Hyperinflation gefallen, in der sich die Lebenshaltungskosten jeden Monat um mindestens 50 Prozent verteuern. „Allein im Monat Dezember stieg die Inflation um 80 Prozent“, sagt Jean Paul Leidenz von der Wirtschaftsberatungsfirma Econalítica in Caracas. Ende 2017 waren die Preise aufs Jahr um fast 2900 Prozent gestiegen.

Und im neuen Jahr sieht man in ganz Venezuela die gleichen Bilder wie im alten. In den Bundesstaaten Bolívar, Zulia, Nueva Esparta, Miranda, Aragua, Carabobo und selbst der Hauptstadt Caracas bilden sich Schlangen vor Supermärkten und Banken. Dürre Gestalten mit ausgezehrten Gesichtern warten auf Warenlieferung oder auf Geldscheine in den Automaten. Es gibt kaum noch was zu essen – und wenn doch, dann ist es nicht zu bezahlen. In den vergangenen Tagen hat sich die Geldentwertung so beschleunigt, dass der Monatslohn maximal ein paar Euro wert ist.

Venezolaner leiden an Hunger und Hoffnungslosigkeit

Eine Mischung aus Hunger, Hoffnungslosigkeit und Wut bringt die Venezolaner im ganzen Land dazu, sich bei Bäckereien, Gemischtwarenläden, aber auch bei Haushaltswarengeschäften die Dinge einfach zu holen, die sie nicht mehr bezahlen können. In den ersten Wochen des neuen Jahres wurden mehr als 100 Plünderungen gezählt. Aus Angst vor weiteren Hungerrevolten öffnen viele Geschäfte gar nicht mehr oder ergreifen Vorsichtsmaßnahen. Die Rollos werden nur zu Hälfte hochgezogen, oder die Inhaber lassen nur wenige Menschen zugleich ins Geschäft. Cafés stellen lieber gar keine Stühle oder Tische draußen auf.

Daher regeln nun Militär und Polizei den Einkauf, postieren sich vor den Supermärkten, bestimmen, wer wann und wie lange in die Geschäfte darf. Und wer wie viel Ware mit nach Hause nehmen darf. Hamstern und Schwarzhandel sind strengstens verboten.

Plünderungen und Verzweifelung in Venezuela

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    Das Überraschende an den Plünderungen und Protesten ist weniger die Nachricht an sich. Es wundert einen vielmehr, dass es erst jetzt so weit ist. Rund vier Stunden täglich bringen die Venezolaner damit zu, auf Maismehl, Klopapier, Fleisch, Butter, Zahnpasta, Deodorant oder Windeln zu warten. Aber man weiß nie, ob die Lastwagen mit der ersehnten Ware kommen, was sie bringen, wie viel sie bringen – immer öfter bringen sie gar nichts. Und so schiebt ein großer Teil der Bevölkerung in einem der rohstoffreichsten Länder der Welt inzwischen Hunger.

    Maduro will Bitcoin zum Vorbild nehmen

    Venezuelas Präsident Nicolas Maduro.
    Venezuelas Präsident Nicolas Maduro. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS

    Venezuela produziert eigentlich nur Öl. 95 Prozent der Deviseneinnahmen werden über den Verkauf des Rohstoffs erzielt. Aber seit Jahren schon schrumpft die Produktion des Staatskonzerns PDVSA wegen fehlender Infrastruktur. „Im Dezember waren es gerade noch 1,8 Millionen Fass“, sagt Leidenz. Das ist der Förderstand von 1989. Aus dem einstigen Ölriesen Venezuela ist inzwischen ein Ölzwerg geworden.

    Staatschef Nicolás Maduro will nun mit einer Digitalwährung nach Vorbild des Bitcoin die internationalen Sanktionen umgehen und sein Land aus den Zwängen des internationalen Finanzsystems befreien. Der „Petro“ solle mit einem Volumen von 100 Millionen Stück aufgelegt und an den Preis für ein Fass venezolanisches Öl gekoppelt werden. Vermutliches Ausgabedatum ist der 15. März. Ein Erfolg der Operation ist eher unwahrscheinlich.