Berlin. Israels Botschafter Jeremy Issacharoff über das Verbrennen von Fahnen, die AfD und den Jerusalem-Vorstoß von US-Präsident Donald Trump.

Jeremy Issacharoff ist kein Mann der schnellen Worte. Wenn man ihn fragt, holt er erst einmal Luft und antwortet langsam und bedächtig. Seit Ende August ist der 62-Jährige Israels Botschafter in Berlin. Issacharoffs Familie stammt aus Jerusalem, geboren wurde er in London. Vor seinem Amtsantritt in Berlin arbeitete er lange Jahre im israelischen Außenministerium sowie an der Botschaft seines Landes in Washington und an der Ständigen Vertretung bei den UN in New York.

Herr Botschafter, Sie sind seit rund vier Monaten im Amt. Sie erleben, dass Demonstranten am Brandenburger Torisraelische Flaggen verbrennen. An dem Ort, an dem schon die Nazis mit Fackelmärschen durchgezogen sind. Was für Gefühle löst das bei Ihnen aus?

Jeremy Issacharoff: Ich bin fast 100 Tage in Deutschland. Ich habe hier bereits sehr viele Freundschaften geschlossen. Aber ich muss sagen: Das Verbrennen israelischer Flaggen macht mich traurig. Letzteres sieht man in Teheran oder in einigen anderen Hauptstädten des Nahen Ostens. Dass das in Berlin passiert, überrascht doch sehr. Man kann das nicht beschönigen. Es geht hier nicht um eine legitime Meinungsäußerung. Wer Flaggen verbrennt, spricht Israel das Recht auf die Existenz ab.

Wie bewerten Sie die Reaktionen aus der deutschen Politik?

Issacharoff: Die sehr klaren Verurteilungen durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Sigmar Gabriel oder Justizminister Heiko Maas haben mich sehr ermutigt.

Bei einer Pro Palästina-Demonstration in Berlin verbrannten einige Protestler Fahnen mit Davidsternen.
Bei einer Pro Palästina-Demonstration in Berlin verbrannten einige Protestler Fahnen mit Davidsternen. © action press | Kietzmann,Björn

Muss die Politik nicht noch schärfere Maßnahmen ergreifen: Zum Beispiel, indem das Verbrennen von Flaggen gesetzlich verboten wird?

Issacharoff: Das ist eine Entscheidung, die die Bundesregierung oder der Bundestag treffen muss. Das Verbrennen von einer Flagge – egal welchen Landes – ist ein hoch symbolischer Akt, der verboten werden sollte.

Per Gesetz?

Issacharoff: Was auch immer notwendig ist, um das Verbot wirksam werden zu lassen.

Wie sicher fühlen sich Juden heutzutage in Deutschland?

Issacharoff: Deutschland ist ein widerstandsfähiges Land. Es verfügt über eine starke politische Führung. Und ich bin sicher, dass die Regierung die feste Entschlossenheit hat, alle Bürger zu schützen.

Die AfD ist erstmals im Bundestag. Handelt es sich um eine antisemitische, eine gefährliche Partei?

Issacharoff: Ich will keine Zensuren für Parteien verteilen. Aber es gab Äußerungen von AfD-Spitzenpolitikern wie Alexander Gauland, der das Recht betont hat, „stolz zu sein auf die Leistung deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Dazu kann ich sagen: Wir sind besorgt über diese Art von Äußerungen. In der AfD wurde ja auch die Holocaust-Gedenkstätte im Herzen Berlins als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. Derlei Äußerungen sind eine Beleidigung für jeden Juden und jeden gutherzigen Deutschen.

Deutschland hat mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen, viele aus muslimischen Ländern. Verändert das die Sicherheitslage?

Issacharoff: Wenn Menschen nach Deutschland kommen und Bürger dieses Landes werden wollen, müssen sie die deutsche Erzählung übernehmen. Das schließt mit ein, dass Deutschland eine besondere Beziehung zu Israel hat. Es ist absolut wichtig, dass diese Menschen in die deutsche Gesellschaft und in das Schulsystem integriert werden.

Ist der Antisemitismus vor dem Hintergrund der muslimischen Zuwanderung angestiegen?

Issacharoff: Die Gefahr ist größer geworden. Und damit die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Was ist das beste Rezept, um damit umzugehen?

Issacharoff: Wir brauchen eine Vielzahl von Botschaften. Zum einen muss die politische Spitze deutlich machen, was von den Flüchtlingen erwartet wird. Zum anderen müssen Maßnahmen ergriffen werden, die antisemitische oder rassistische Ausfälle verhindern oder verbieten. Schulen und Universitäten sind gefordert. Auch ein Dialog zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften würde helfen.

Jeremy Issacharoff beim Interview mit unseren Politik-Korrespondenten Jochen Gaugele (Mitte), Michael Backfisch (re.) und dem Chef der Berliner Zentralredaktion, Jörg Quoos (2. v. r.).
Jeremy Issacharoff beim Interview mit unseren Politik-Korrespondenten Jochen Gaugele (Mitte), Michael Backfisch (re.) und dem Chef der Berliner Zentralredaktion, Jörg Quoos (2. v. r.). © Anikka Bauer | Anikka Bauer

Sie reden von der „deutschen Erzählung“. Was meinen Sie damit?

Issacharoff: Es steht mir nicht zu, das zu formulieren. Aber aus meiner Sicht ist ein wesentlicher Teil die Rede von Bundeskanzlerin Merkel 2008 in der Knesset, in der sie Israels Sicherheit als Teil der deutschen Staatsräson bezeichnet hat. Ich möchte gleichzeitig hervorheben, dass die deutsch-israelischen Beziehungen in den vergangenen 70 Jahren einen bedeutenden Schritt nach vorn gemacht haben. Viele Israelis haben ein Leuchten in den Augen, wenn sie sagen, dass sie nach Berlin gehen. Die Unternehmen in beiden Ländern arbeiten sehr eng zusammen. Das Gleiche gilt für das Militär und die Geheimdienste. Unser Verhältnis ist heute von Synergien und Effizienz geprägt, nicht von Schuld auf der einen und Zorn auf der anderen Seite.

US-Präsident Donald Trump hat vorgeschlagen, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen. Kanzlerin Merkel teilt diese Position nicht. Sind Sie enttäuscht?

Issacharoff: Ja, das enttäuscht mich. Trump hat ja nichts anderes getan, als die Realität in Jerusalem festzuhalten. Ich halte einen friedlichen Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern nur für möglich, wenn Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannt wird.

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    Israel hat es geschafft, einen Ausgleich mit den früheren Erzfeinden Ägypten und Jordanien zu erreichen. Wie könnte eine Verhandlungslösung mit den Palästinensern aussehen?

    Issacharoff: Wir haben bei Fragen der gemeinsamen Sicherheit eine enge, aber diskrete Zusammenarbeit mit Ägypten und Jordanien. Auch mit den Palästinensern kooperieren wir im Sicherheitsbereich. Wir leisten medizinische Versorgung für Menschen, die in dem grausamen Bürgerkrieg in Syrien verletzt wurden. Mit Blick auf die Bedrohungen durch den Iran, die Hisbollah oder die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gibt es viele gemeinsame Interessen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten. Ich bin optimistisch, dass dies diplomatische Lösungen begünstigt.

    Im Westjordanland gibt es derzeit rund 600.000 jüdische Siedler. In den 90er-Jahren waren es noch 100.000. Glauben Sie, dass die israelische Regierung diesen Prozess irgendwann rückgängig macht?

    Issacharoff: Die Frage der jüdischen Siedlungen wird vor allem in Europa überbewertet. Je stärker die EU Israel bei diesem Thema unter Druck setzen will, desto mehr zieht sich Israel zurück. Das ist kontraproduktiv. Die Siedlungen haben weder einen Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten noch zwischen Israel und Jordanien verhindert. Auch der Oslo-Prozess und der Abzug israelischer Sicherheitskräfte aus dem Gazastreifen wurden dadurch nicht aufgehalten. Die Siedlungen sind kein entscheidendes Hindernis für den Friedensprozess.