Berlin/Schwerin. Yamen A. kam als 17-jähriger Kriegsflüchtling. Jetzt ordnete die Generalbundesanwaltschaft Untersuchungshaft an – wegen Terrorverdacht.

Im Herbst 2015 ist Yamen A. noch ein Teenager, als er wie Hunderttausende andere aus dem Krieg in Syrien nach Deutschland flieht. Dem 17-Jährigen wird eine Asylunterkunft in Schwerin zugewiesen. Im Februar 2016 stellt er einen Asylantrag, zwei Monate später erhält er einen gesicherten Flüchtlingsstatus.

Es sieht nach einem Routinefall aus – der junge Mann gilt als unauffällig. Und doch steht Yamen A. seit Dienstag unter Terrorverdacht, er wurde verhaftet, am Mittwoch ordnete ein Ermittlungsrichter beim Generalbundesanwalt Untersuchungshaft an.

Den Behörden war aufgefallen, dass Yamen A. im Kontakt zu Islamisten stand und Chemikalien im Internet bestellte, die auf einen Bombenbastler schließen ließen. Seit September wurde er beschattet. Bei seiner Festnahme stellte die Polizei Chemikalien, Laborgeräte und Handyteile für Zündvorrichtungen fest, die den Verdacht erhärten. Unklar ist, wann und wo er zuschlagen wollte, also das Anschlagsziel.

Festnahme: 19-jähriger Syrer soll Anschlag geplant haben

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    Klassisches Beispiel für eine Selbstradikalisierung

    Die Festnahme zeigt für Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU), dass man Personen im Visier habe, „bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass von ihnen eine konkrete Gefahr ausgeht“. Was Caffier nicht weiß, aber Sicherheitsbehörden bundesweit umtreibt: Wann wie Menschen wie Yamen A. sich radikalisiert haben, im Herkunftsland oder erst in Deutschland?

    Bereits Mitte Oktober hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Yamen A. auf die Spur gekommen war, Alarm geschlagen. Den Geheimdiensten war aufgefallen, dass die Dschihadisten immer jünger werden. Drei der sieben Terroranschläge in Deutschland im Jahr 2016 gingen auf Minderjährige zurück. Yamen A. gilt als ein klassisches Beispiel für eine Selbstradikalisierung.

    Die Ermittler gehen davon aus, dass er den Entschluss gefasst hat, einen Anschlag zu verüben und sich dann im Internet schlau machte. So wurde der Verfassungsschutz auf ihn aufmerksam. Bestärkt wurde er darin in einem Facebook-Chat von einem „Soldaten des Kalifats“. Wer genau sich dahinter verbirgt, wissen die Behörden nicht. Sie gehen aber nicht davon aus, dass Yamen A. vom Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ (IS) geführt wurde.

    Hotline für Angehörige und Betreuer von Flüchtlingen

    Wurde er sozial betreut? Wie hat er den Krieg in seiner Heimat erlebt? Was ist mit seiner Familie? Dass er sich Schwerin dem Dschihad zugewandt hat, scheint plausibel. Schon im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri bestand der Verdacht, dass er sich erst in Europa radikalisiert habe. Das Risiko wird so ernst genommen, dass beim gemeinsamen Terrorabwehrzentrum eigens eine Arbeitsgruppe „Deradikalisierung“ eingerichtet wurde. Auf kommunaler Ebene und in den Ländern gibt es durchaus ein Frühwarnsystem von Hilfsinitiativen.

    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat eine Hotline geschaltet, eine Anlaufstelle für Eltern Verwandte, Freunde und Betreuer von Flüchtlingen, bei denen die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie ins radikale Milieu abdriften. In Berlin fördert das Bundesministerium für Bildung und Familie mit „Demokratie leben“ Hilfsangebote zur Deradikalisierung. Dafür stehen 2017 rund 104 Millionen Euro bereit, fast zehn Millionen davon speziell für die Präventionsarbeit mit Flüchtlingen.

    Kriegstraumata können zur Isolation führen

    Wer mit Experten aus den Präventionsprojekten spricht, hört oft die Warnung: Nicht verarbeitete Kriegstraumata können zur Isolation führen, zum Vertrauensverlust in andere Menschen. Am Ende bietet eine radikale Ideologie diesen Menschen Halt.

    Yamen A. kam allein nach Deutschland, ohne Eltern oder Geschwister. Er lebte bis zu seiner Verhaftung in einer Plattenbausiedlung in Schwerin. Ulrike Seemann-Katz kennt diese Siedlung. Sie ist Vorsitzende des Flüchtlingsrats in Mecklenburg-Vorpommern und arbeitet in Schwerin. Sie sagt: „Dort wohnen Ausgegrenzte.“ Der Plattenbau, in dem Yamen A. wohnte, sei sozial isoliert. Dort würden vor allem Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Empfänger leben, Deutsche und Ausländer. „In solchen Stadtteilen gibt es wenig soziale Bindungen.“ Sie spricht täglich mit Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan oder Irak. „Unsere Erfahrung zeigt, dass sich vor allem ganz junge Männer radikalisieren. Gerade diejenigen, die ohne Familie hier sind.“