Hannover/Berlin. Elke Twesten ist jetzt CDU-Abgeordnete. Damit hatte sie die rot-grüne Mehrheit zum Fall gebracht. Im Landtag kam es sofort zum Streit.

Sie trägt Schwarz. Passend zu ihrer neuen Partei. Elke Twesten, schwarzer Blazer, schwarzes Kleid, nimmt im niedersächsischen Landtag zum ersten Mal in den Reihen der CDU-Fraktion Platz. Fast alle Augen sind auf die Frau gerichtet, die die rot-grüne Regierung vorzeitig beendet hat. Aus Sicht von SPD und Grünen ist Twesten eine Überläuferin. Eine Verräterin.

Twesten, 54, eine Hinterbänklerin, hatte am Freitag die Grünen verlassen. Und angekündigt, CDU-Mitglied zu werden. Damit war das rot-grüne Bündnis von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Ende – die Koalition hatte nur eine Stimme Mehrheit im Landtag. Am Dienstag erklärte Twesten: „Ich habe die letzten Tage in entspannter Atmosphäre verbracht.“ Auch am Donnerstag gibt sie sich ruhig, gelassen. Doch das ändert nichts an der aufgeheizten Stimmung im Landtag.

VW-Absprachen auch mit schwarz-gelber Regierung

Johanne Modder, SPD-Fraktionsvorsitzende, attackiert die ehemalige Grünen-Abgeordnete direkt: „Ich will es Ihnen, Frau Twesten, nicht ersparen, Sie persönlich anzusprechen. Ihr Wechsel ist juristisch nicht zu beanstanden. Aber nicht alles, was legal ist, ist auch legitim.“ Über Mehrheiten sollten die Wähler entscheiden und nicht einzelne, persönlich enttäuschte Abgeordnete. „Frau Twesten, Sie haben Ihren inneren moralischen Kompass verloren. Wenn Sie mit der Partei nicht zufrieden sind, dann wäre es nur konsequent gewesen, Ihr Mandat zurückzugeben.“ Elke Twesten schaut nicht hin, macht sich Notizen.

Auch Ministerpräsident Weil, der aufgebracht wie selten auftritt, macht klar: Er hält den Parteiwechsel für moralisch verwerflich. „Das ist etwas, was zu Recht eine riesengroße Zahl von Menschen in Niedersachsen umtreibt.“

Noch am 12. Juni schwörte Twesten auf die Grünen

Alle Fraktionen beteiligen sich an der politischen Schlammschlacht. Die FDP bezeichnet Weils Kritik an Twesten als „Mitleidsnummer“. „Herr Ministerpräsident, Sie sind an sich selbst gescheitert und nicht an Elke Twesten“, sagte Landeschef Stefan Birkner. CDU-Fraktionschef Björn Thümler verteidigt seine neue Abgeordnete. Die Landesregierung sei ungeachtet des Wechsels gescheitert. „Tatsache ist: Diese rot-grüne Landesregierung war lange vor dem schwarzen Freitag ins Straucheln geraten.“

Die Grüne Anja Piel wirkt hingegen eher mitgenommen als kämpferisch. Sie zitiert aus einer Zeitungskolumne Twestens vom 12. Juni: „Keine andere Partei wird aktuell gerade so sehr gebraucht wie die Grünen – und wir alle können es uns nicht leisten, abzuwarten.“

Niedersachsen werden einen harten, schmutzigen Wahlkampf erleben

Einigkeit gibt es an diesem Tag eigentlich nur darüber, dass es vorgezogene Wahlen geben soll. Am 21. August wird der Landtag dann den finalen Beschluss zur Auflösung des Parlaments fällen. Ursprünglich hätten die Wahlen erst im Januar stattfinden sollen. Jetzt wird am 15. Oktober gewählt. Und so viel lässt sich schon heute sagen: Die Niedersachsen werden einen harten, schmutzigen Wahlkampf erleben. Die Gräben sind tief. Auch zwischen CDU und Grünen. Einen Koalition wie in Hessen oder in Baden-Württemberg wird es wohl in Niedersachsen nicht so schnell geben.

Die Abgeordneten der vier Parteien im Niedersächsischen Landtag.
Die Abgeordneten der vier Parteien im Niedersächsischen Landtag. © dpa | Holger Hollemann

Und die verbale Keilerei beschränkt sich nicht nur auf Niedersachsen. Auch in der Bundeshauptstadt spürt man die Verärgerung über Twestens Seitenwechsel. So wirft SPD-Generalsekretär Hubertus Heil der CDU vor, sie wolle mit unlauteren Mitteln an die Macht kommen. Die Christdemokraten in Niedersachsen versuchten, sich mit der „Intrige“ um den Fraktionswechsel einer Grünen-Abgeordneten „auf kaltem Wege an die Macht zu schleichen“. Der Vorwurf der Bestechung liegt in der Luft, seit Twesten ankündigte, zur CDU zu wechseln. Wurde ihr ein Mandat oder gar ein Amt versprochen? Fest steht nur: Twesten hat die Grünen auch deshalb verlassen, weil sie nicht wieder für den Landtag aufgestellt wurde.

Für noch mehr Aufregung sorgt an diesem Tag Neues von VW: Auch in der Vorgängerregierung gab es Absprachen mit dem Auto-Konzern über Formulierungen des Ministerpräsidenten. So berichtet unter anderem die „Nordwest-Zeitung“, VW habe sich Pressemitteilungen von CDU-Ministerpräsident David McAllister vorlegen lassen.

Niedersachsen gehört zu den größten VW-Anteilseignern

Am Wochenende war bekannt geworden, dass Weil seine Regierungserklärung aus dem Jahr 2015 Volkswagen zur Abstimmung vorgelegt hatte. Die Union forderte daraufhin seinen Rücktritt. Das sei „eine handfeste Affäre“, sagte etwa CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

Jetzt greift umgekehrt die SPD die Union an. „Ich finde es absolut heuchlerisch, wenn jetzt die CDU so tut, als sei das etwas völlig Neues“, sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Ihre Ministerpräsidenten Christian Wulff und David McAllister hätten das „genau so gemacht“.

Niedersachsen gehört zu den größten VW-Anteilseignern, hält 20 Prozent der Stimmrechte. Weil sieht sich in der Sache weiterhin im Recht. Hinter den Anschuldigungen stecke eine Kampagne. Sein Verhalten bezeichnet er am Donnerstag als „völlig korrekt“.