Berlin. Nach dem Hamburger Anschlag überbieten sich Sicherheitspolitiker mit neuen Forderungen. Nicht alle sind sinnvoll. Ein Faktencheck.

Nach der Messerattacke in Hamburg steht die Abschiebepraxis auf dem Prüfstand. Losgelöst vom Fall (der Täter hatte seine Abschiebung nicht unterlaufen) nimmt die Debatte Fahrt auf. Die Forderungen gehen in drei Richtungen: Sanktionen für Herkunftsstaaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht oder zögerlich aufnehmen. Bündelung von Kompetenzen. Und: Schärfere Grenzkontrollen. Ein Faktencheck.

Druck auf Herkunftsstaaten

Wer Passersatzpapiere nicht ausstellt, Anträge verschleppt oder blockiert, soll „wirtschaftlichen Druck“ (Burkhard Lischka, SPD) bekommen beziehungsweise weniger Visa für Shoppingtouren nach Deutschland oder für ein Studium in Europa erhalten (Ansgar Heveling, CDU). Mal abgesehen davon, dass es eine asymmetrische Reaktion wäre (man bestraft Bürger für das Fehlverhalten ihrer Regierungen) lohnt ein Blick auf die Herkunft der Ausreisepflichtigen.

Die Top 5 lauten: Serbien, Afghanistan, Albanien, Kosovo und Russland. An dieser Liste fallen zwei Dinge auf: Darunter ist kein klassischer Empfänger von Entwicklungshilfe, insbesondere nicht die viel gescholtenen Maghreb-Staaten. Und: Mit Albanien und Serbien sind EU-Beitrittskandidaten dabei, potenziell gilt das auch für das Kosovo. Afghanistan ist ein Land, das man eigentlich stabilisieren will.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU).
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU). © Getty Images | Adam Berry

Fazit: Die Forderungen sind außenpolitisch unrealistisch. Sie scheiterten schon bisher prinzipiell an Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU), der sie „kontraproduktiv“ nannte. Außerdem wollen Länder wie Algerien, Tunesien und Marokko nur Menschen zurücknehmen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es sich um ihre Staatsangehörigen handelt. Wenn die Ausweispapiere fehlen, bleibt in der Regel der Abgleich der biometrischen Daten. Das setzt eine vollständige Erfassung der Neuankömmlinge voraus, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) monatelang überfordert hat.

Bündelung von Kompetenzen

Schon im Januar hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als Reaktion auf den Terroranschlag von Berlin „Bundesausreisezentren“ vorgeschlagen. Die Vorteile: Zum einen würde der Bund den Ländern die Abschiebungen abnehmen und mehr Kompetenzen bekommen (Armin Schuster, CDU), genauer gesagt: für die Bundespolizei. Zum anderen würde man die Kommunen entlasten, sodass sie sich auf die Integration der Migranten mit Bleibeperspektive konzentrieren könnten.

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    Kein Wunder, dass der Städte- und Gemeindebund solche Gedankenspiele unterstützt. „Wir sind der Auffassung, dass Tatverdächtige, die ausreisepflichtig sind, nicht normal in einer Kommune oder einer Flüchtlingsunterkunft leben sollten, sondern in zentralen Einrichtungen der Länder oder des Bundes“, erklärte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Berliner Zeitung“.

    Fazit: Das Anliegen ist nicht chancenlos und dürfte auf der Agenda der Koalitionsverhandlungen stehen. Es würde vieles leichter machen, Ausreisezentren in Grenznähe wären auch ein Signal an die Ausreisepflichtigen: Ihr kommt nicht weiter. Doch müsste man erst die Bundesländer dafür gewinnen.

    Schärfere Grenzkontrollen

    Man könnte das Problem an der Wurzel anpacken: bei der Einreise. Offene Grenzen sind für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) allerdings eine rote Linie. Ihr nahe kommt im Wahlkampf nur ein CDU-Politiker, bezeichnenderweise ein Mann, der nicht wieder für den Bundestag kandidiert, Wolfgang Bosbach. Sein Standardsatz landauf, landab: „Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt.“ Das setzt voraus, dass die Grenzen kontrolliert werden und Einreisende zurückgewiesen werden, wenn sie sich nicht ausweisen können.

    Fazit: Mit Merkel nicht zu machen, vermutlich auch verfassungswidrig. In Artikel 16 a heißt es: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Das Grundgesetz fragt nicht nach den Ausweispapieren.