Berlin. Der Bedarf an Lehrern, Erziehern und Räumen wird laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung steigen. Das bedeutet Milliardenaufwand.

Elternabend an einer Großstadtgrundschule – das abgelaufene Schuljahr hat man erfolgreich Revue passieren lassen, plötzlich geht ein Raunen durch den Raum: Wie viele Schüler werden es in der nächsten Klasse sein? 30 statt wie bisher 24? Die Eltern sind besorgt: Je mehr Schüler pro Lehrer oder Erzieher, desto schlechter, lautet die vorherrschende Meinung.

Doch bald könnten es noch deutlich mehr Schüler pro Klasse werden. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung steigen die Schülerzahlen in Deutschland in den nächsten Jahren viel stärker als bislang angenommen. Und zwar von knapp acht Millionen im Jahr 2015 auf fast 8,3 Millionen im Jahr 2025. Das sind rund 1,1 Millionen mehr als nach den Prognosen der Kultusminister der Länder. Bislang wurde von offizieller Seite stets ein Absinken auf gut 7,2 Millionen Schüler bis 2025 vorhergesagt.

Geburtenzahlen fünf Jahre in Folge gestiegen

Laut Studienautor Dirk Zorn beruht die offizielle Schülerprognose der Kultusministerkonferenz der Bundesländer (KMK) noch auf 2013 vorgelegten Zahlen . „Seitdem sind aber zwei Dinge passiert: Fünfmal in Folge ist die Zahl der Geburten gestiegen und wir hatten deutlich höhere Zuwanderungszahlen als erwartet“, sagt der Autor.

Was bedeutet ein solcher Boom bei den Schülerzahlen? Neben dem Bedarf an Lehrern und Erziehern steigt auch der Raumbedarf. Bundesweit wurden rund 1800 Grundschulen seit der Jahrtausendwende wegen Schülermangels geschlossen. 2025 werden – bei gleichbleibender Schulgröße – laut Studie fast 2400 Grundschulen mehr nötig sein als heute. Etwas später kommen auf die weiterführenden Schulen ähnliche bauliche Engpässe zu. Dabei gelten bereits jetzt viele bestehende Schulen als marode; der bundesweite Investitionsstau wird von der Förderbank KfW auf 34 Milliarden Euro taxiert.

Jährliche Mehrausgaben von 4,7 Milliarden Euro

Und es fehlt an Personal. Allein die Grundschulen bräuchten fast 25.000 zusätzliche Lehrer, wenn die Klassengröße nicht zu stark ansteigen soll. Zeitversetzt erreichten die stärkeren Jahrgänge auch die Gymnasien, Gesamt-, Ober- und Regionalschulen, so die Experten. Dort würden 2030 zusätzlich 27.000 Lehrer benötigt. „Weil den Lehrerkollegien aufgrund ihrer Altersstruktur eine Pensionierungswelle bevorsteht und ohnehin vielerorts bereits Lehrermangel herrscht, wird der Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften schwer zu decken sein“, bilanzieren die Forscher.

Und all das kostet: Laut Studie müssten Länder und Kommunen ab 2030 mit 4,7 Milliarden Euro höheren jährlichen Bildungsausgaben rechnen als heute. Die Ausbildung von neuen Lehrern liegt in der Hand der Länder, der Bau von neuen Schulen ist Aufgabe der Kommunen. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack macht sich daher für eine Bund-Länder-Offensive stark. „Unser Schulsystem ist drastisch unterfinanziert“, sagte sie. „Vielerorts bröckelt der Putz von den Wänden, es fehlen Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Schulpsychologen.“

Studie spricht sich gegen Kooperationsverbot aus

Die Länder allein seien „mit der Finanzierung eines zukunftsfesten Schulsystems überfordert“, betont Hannack. Das sogenannte Kooperationsverbot müsse daher „für das gesamte Bildungswesen fallen“. Das Verbot sagt, dass der Bund den Ländern im Bildungsbereich nur in Ausnahmefällen finanziell helfen darf. Befürworter wollen damit die Bildungsautonomie der Länder sichern. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte eine gemeinsame Kraftanstrengung für mehr Lehrernachwuchs.

„Es wird immer schwieriger, die steigende Zahl von Schülerinnen und Schülern mit qualifizierten Lehrkräften zu versorgen“, sagte GEW-Chefin Marlis Tepe. „Es ist spät, doch niemals zu spät, die Probleme anzugehen.“ Der Deutsche Philologenverband erklärte, allein an den Gymnasien seien bis 2030 mehr als 10.000 Lehrer zusätzlich zum jährlichen Ersatzbedarf erforderlich. Der Deutsche Städtetag unterstrich, höhere Schülerzahlen seien ein „positives Zukunftssignal für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes“. Die Investitionskraft der Städte müsse gestärkt werden.

Verband glaubt, dass Lage noch schwieriger aus

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kritisierte, die Prognose der Stiftung zum Lehrkräftemangel sei „eher optimistisch“. VBE-Chef Udo Beckmann: „Die Situation wurde von der Politik viel zu lange schöngeredet.“ Pensionierungswellen seien ungenügend ausgeglichen worden. Hinzu komme: „Schule verändert sich. Inklusion und Integration stellen Herausforderungen für das pädagogische Personal dar. Auch der Ganztagsbetrieb macht zusätzliches pädagogisches Personal unabdingbar“, sagte Beckmann.

Für die Studie aktualisierten die Forscher die letzte Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes vom März 2017 um die jüngsten Geburtenzahlen der sogenannten Milupa-Geburtenliste, einer jährlichen Erhebung des Herstellers von Babynahrung. „Mit diesem Schüler-Boom hat kaum jemand gerechnet“, betont Stiftungsvorstand Jörg Dräger. „Viele Bundesländer müssen komplett umdenken.“