Washington. Donald Trump nennt den neuen Richter Neil Gorsuch „brillant“ und „diszipliniert“. Er ist konservativ, aber nicht völlig reaktionär.

Wo Neil Gorsuch herkommt, gehen die Menschen zum Fliegenfischen, Bergsteigen oder Wandern, um nach der Arbeit durchzuschnaufen. Boulder, die ehemalige Goldgräberstadt am Fuß der Rocky Mountains im Bundesstaat Colorado, ist der gelassene Gegenentwurf zum verkehrsverstopften, lauten Washington. Trotzdem wird der 49-Jährige demnächst in das ganze Land prägender Weise in der amerikanischen Hauptstadt seine Zelte aufschlagen. Wenn Geist und Gesundheit es zulassen, sogar für Jahrzehnte.

Der Hobby-Pferdezüchter soll am Obersten Gerichtshof auf Lebenszeit und Wunsch von US-Präsident Donald Trump in die riesengroßen Schuhe schlüpfen, die der vor einem Jahr verstorbene Antonin Scalia, eine Ikone der Rechtskonservativen, hinterlassen hat.

Konservative können noch nicht „durchregieren“

„Außerordentliche juristische Fähigkeiten“, „brillanter Geist“, „enorme Disziplin“ – Trump überschüttete Gorsuch bei der sorgsam inszenierten Vorstellung im Weißen Haus kübelweise mit Lob. Viele Republikaner und weite Teile der Wählerschaft Trumps, die mit Blick auf die gesellschaftlichen Dauer-Streitfragen von Abtreibung bis Homo-Ehe, Waffenrecht und Umweltschutz eine ideologisch standhafte Person erhofft hatten, nicht minder.

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Mit Gorsuch ändert sich das Kräftegleichgewicht am Supreme Court zunächst nicht. Vier Liberale stehen nominell fünf Konservativen gegenüber. Da aber der von Ronald Reagan ernannte Anthony Kennedy (80) seine Urteilsfindung auch im 29. Berufsjahr mal nach rechts, mal nach links tendieren lassen wird, kann von einem „Durchregieren“ der Konservativen nicht die Rede sein.

Mentor und Zögling nun gemeinsam im Supreme Court

Erst wenn die liberalen Oldies – Ruth Bader Ginsburg (83) und Stephen Breyer (78) – ausscheiden und noch in der Amtszeit Trumps nachbesetzt werden müssten, schlüge das Pendel ideologisch voraussichtlich vollends nach rechts.

Novum am Rande: Gorsuch arbeitete als junger Gerichtshelfer („clerk“) für Anthony Kennedy. Demnächst sitzen Mentor und Zögling gemeinsam auf der prominentesten Richterbank der USA.

Demokraten können Neil Gorsuch verhindern

Vorausgesetzt natürlich, der Genehmigungsprozess gestaltet sich unfallfrei. Die Republikaner haben im Senat 52 von 100 Sitzen. Was aber nur ausreicht, wenn nicht filibustert wird. Sprich: Marathon-Reden der oppositionellen Demokraten bis zum Exzess.

Kommt es zu dieser Verhinderungsstrategie, müssen Trumps Leute 60 Stimmen aufbringen, also acht Demokraten aus der gegnerischen Front herausbrechen, um Gorsuch über die Ziellinie zu bringen. Aussichtslos ist das nicht.

Barack Obama schätzt Neil Gorsuch

Trump meint aber, das habe sein „unglaublich großartiger“ Kandidat, der in Harvard gemeinsam mit Barack Obama im Seminar saß und von diesem intellektuell geschätzt wird, nicht verdient. Das Argument könnte verfangen.

Gorsuch ist konservativ. Aber nicht unrettbar reaktionär. Wo sein Idol Scalia wie ein Feuerkopf argumentierte und Andersdenkende zuweilen verhöhnte, ist Gorsuch der Typ „nice guy“. Klar in der Sache, konziliant in der Verpackung. Wie Scalia zählt Gorsuch zu den „Originalisten“. Richter, die bei der Interpretation der Verfassung eng am über 200 Jahre alten Ursprungstext kleben.

Wie steht Neil Gorsuch zu Abtreibung und Waffenrecht?

Wie der gerne mit Churchill-Zitaten hantierende Gorsuch zu Mega-Themen wie Schwangerschaftsabbruch oder Waffenrecht steht, ist noch unklar. Dagegen hat der zuletzt in Colorado als Berufungsrichter tätige Vater zweier Töchter seine firme Haltung zur Religionsfreiheit mehr als deutlich gemacht, indem er Teile der Krankenversicherung Obamas torpedierte.

Gorsuch gab religiösen Gruppen Recht, die sich weigerten, als Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen die Rezepte für die Empfängnisverhütung zu bezahlen. Seine Position zum Wert des (auch ungeborenen) Lebens wollen Experten aus einem Buch destilliert haben, in dem Gorsuch ärztlich begleitete Sterbehilfe rigoros ablehnt.