Berlin. Das Beben im Südosten der Türkei erinnert an das Erdbeben von Gölcük 1999. Danach sollte vieles besser werden. Was damals passiert ist.

Der Tod kam in der Nacht nach Gölcük. Die meisten Bewohner des kleinen Städtchens am Marmarameer schliefen, als am 17. August 1999 gegen 3.10 Uhr die Erde zu beben begann. Zunächst klapperten die Dachziegel, wie sich Augenzeugen erinnern, dann schwankten die Häuser, viele stürzten laut krachend zusammen und begruben die Bewohner unter Tonnen von Schutt. Staubwolken stiegen auf und hüllten Gölcük noch stundenlang ein. Alle Stromleitungen waren gekappt, die Telefonverbindung abgerissen.

In Panik rannten die Menschen, die sich aus ihren Häusern retten konnten, ins Freie und sahen ihre Stadt in Trümmern liegen, zerstört von einer Naturkatastrophe, wie sie die Türkei seit Jahrzehnten nicht mehr hatte erleben müssen.

Gölcük hat dem verheerenden Erdbeben von 1999 seinen Namen gegeben. Das Städtchen wird wohl für immer mit dieser Apokalypse verbunden bleiben. Doch das Ausmaß des Bebens war noch weit größer, auch wenn nahe des Städtchens das Epizentrum lokalisiert wurde. An einem 130 Kilometer langen Abschnitt der Nordanatolischen Verwerfung zwischen der Eurasischen und Anatolischen Platte war die Erde in Bewegung geraten. An der Trennlinie hatte sich ein gewaltiger Druck aufgebaut, der sich schließlich in einem Beben der Stärke 7,6 auf der Momentan-Magnituden-Skala entlud. Die beiden aufeinanderstoßenden Erdplatten verschoben sich um fünf Meter in gegensätzliche Richtungen.

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Selbst im entfernten Istanbul starben fast 1000 Menschen

Von dem Beben betroffen war die ganze Region am Golf von Izmit. Mehr als 17.000 Menschen starben, 50.000 wurden verletzt. Etwa 300.000 Häuser stürzten ein oder wurden schwer beschädigt. Das Erdbeben war noch in Istanbul zu spüren, wo ebenfalls Häuser einstürzten. Nach offiziellen Angaben kamen in der 80 Kilometer Luftlinie vom Epizentrum entfernten Metropole 981 Menschen ums Leben. Und auch in der 400 Kilometer entfernten Hauptstadt Ankara bebte der Boden. Bis in die Morgenstunden gab es rund um Gölcük sechs schwere Nachbeben.

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Die Katastrophe traf ein Land, das in seiner Geschichte schon einige schwere Erdbeben erlebt hatte, etwa im Dezember 1939 in Erzincan im Osten der Türkei. Damals starben fast 33.000 Menschen. Trotz vielfacher Warnungen und der Erkenntnis, dass eine solche Katastrophe immer wieder möglich ist, waren die türkischen Behörden 1999 weitgehend unvorbereitet. Private Rettungstrupps kamen den Menschen, die teilweise mit bloßen Händen nach Verschütteten suchten, zur Hilfe. Teams aus der ganzen Welt rückten an. Eines der ersten kam aus Israel. Selbst der ungeliebte Nachbar Griechenland schickte Einsatzkräfte.

Jahre vergingen, bis die letzten Zerstörungen in Städten wie Izmit oder Yalova beseitigt waren. Die Aufarbeitung der Katastrophe dauerte noch länger und ist teilweise bis heute nicht abgeschlossen. Einer der Hauptgründe für die hohen Opferzahlen waren eklatante Baumängel an den Häusern. Eine Bauaufsicht gab es nicht. Der türkische Staat drücke mindestens ein Auge zu, beklagten Bauexperten damals. Billiges Baumaterial, Schlamperei und Korruption waren in der Baubranche gang und gäbe.

Das nächste schwere Beben könnte Istanbul treffen

Nichtsdestotrotz hat sich in der Türkei seit 1999 auch einiges zum Besseren verändert. Der staatliche Rettungsdienst ist mittlerweile weit besser organisiert als damals. Viele Gebäude werden nun erdbebensicher gebaut, allerdings längst nicht alle. Laut Berechnungen der Istanbuler Bauingenieurskammer wohnen zwei von drei Bewohnern der Bosporus-Metropole in Gebäuden, die nicht den Vorschriften entsprechen und damit nicht sicher sind.

Dass eines der nächsten schweren Erdbeben in der Türkei Istanbul treffen wird, gilt unter Wissenschaftlern als ausgemacht. Experten rechnen in diesem Fall mit Zehntausenden Toten und Hunderttausenden Menschen, die ihr Dach über dem Kopf verlieren würden. Das Szenario schreckt viele Menschen, doch Vorsorge wird kaum getroffen. Die Verantwortlichen verdrängen lieber die Gefahr oder flüchten sich wie der Journalist Candas Tolga Isik in Galgenhumor. Wenn das Beben über Istanbul hereinbricht, "werden sich die Toten glücklich schätzen", schrieb Isik vor einigen Jahren in einer seiner Kolumnen. (tok)