Berlin. Soll man aufhören, wenn es am schönsten ist? Es gibt kaum Gründe dafür. Warum dies trotzdem die letzte “Morgenland“-Kolumne ist.

Es sagt sich so leicht: Man soll gehen, wenn es am schönsten ist... Aber hat jemand schon mal eine Party verlassen, wenn sie gerade auf ihrem Höhepunkt ist? Wenn man gerade richtig feiert, Sekt trinkt, ein Mega-Outfit trägt, andere begehrt, wenn kein Körperteil schmerzt, wenn zu Hause niemand wartet, wenn alle tanzen, lachen und wasserfallartig reden, wenn es am schönsten ist? Ich kenne wirklich niemanden, der dann sagt: „Ah, jetzt gehe ich! Ist gerade so schön, wird Zeit, dass alles wieder normal durchschnittlich wird, die Tristesse zurückkehrt.“ Schließlich kann man daheim noch die letzten Minuten von Florian Silbereisens „Fest der Volksmusik“ schauen. Ja, wirklich?

Also welche hintergründige Meta-Bedeutung hat der Spruch eigentlich? In etwa so? Man soll ruhig schon mal früher an die regelmäßig wiederkehrenden schlechten Zeiten denken, auch wenn jetzt noch alles tipptopp erscheint. Frei nach dem Motto: Den Rest kann man sich sparen, die zweite Hälfte, das Abrutschen. Schließlich geht es immer bergab, ein Hoch kann nicht gehalten werden. Das ist ein einzigartiger Moment, es kommt unerwartet, und es bleibt nur, solange es will.

Letzte Morgenland-Kolumne: Gefeuert? Schwanger? Burn-out?

In diesem Sinne: Dies ist meine letzte Kolumne der Reihe „Mein Morgenland“. Zur Klärung, ich wurde nicht abgesägt, nicht gefeuert, ich bin nicht sterbenskrank, nicht schwanger, auch nicht ausgelaugt, kein Burn-out. Ich gehe einfach. Wie es so ist: Ein neuer Job ist der Grund. Und auch wenn ich nicht genau ausloten kann, was es bedeutet zu gehen, wenn es am schönsten ist – es fühlt sich ein wenig danach an. Dafür danke ich Ihnen.

Am 27. Juni 2021 habe ich meine erste „Morgenland“-Kolumne geschrieben. Damals suchte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der Euro 2021 noch ihr Hoch, zwei Tage später traf sie im Achtel­finale auf England – und es war vorbei. Der Glücksmoment blieb aus.

Auch meine irre utopische Hoffnung, dass sich am Ende der 90 Minuten alle Spieler umarmen und knutschen, wurde nicht zur Wirklichkeit. Ich hatte mir ausgemalt, wie der homophobe ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zu Hause vor dem Fernseher in Budapest vor Wut kochen würde. Das ist jetzt eineinhalb Jahre her, ich beendete die Kolumne mit dem Wunsch, dass sich vielleicht doch mal ein aktiver deutscher männlicher Fußballprofi outen würde. Das ist bisher nicht passiert.

Kolumne: Diese Themen haben die meisten Gefühle ausgelöst

Was passiert ist: dass sich auf diese Kolumne einige Leser und Leserinnen meldeten. Manche fanden diesen Gedanken total absurd, geradezu quatschig, andere hofften mit mir auf gesellschaftliche Modernisierung, auf Auflösung starrer Rollenklischees, auf persönlichen Mut. Es war die erste „Morgenland“-Kolumne von etwa 40, in allen habe ich versucht, einen gewissen Zeitgeist abzubilden, zu generalisieren, was mich ärgerte, störte, beschäftigte, begeisterte, was ich liebte. Immer mit der Frage: Warum könnte Sie das interessieren, was ich denke? Was ist Ihre und meine Schnittstelle? Über jeden Brief von Ihnen habe ich mich jedenfalls gefreut, auch wenn manche sehr kritisch waren.

Aber davon leben wir Journalisten ja, vom Diskurs, vom Austausch, vom Aus­loten der Meinungen. Die Kolumnen, die am besten ankamen, waren immer die, in denen meine Kinder – quasi als Anschauungsobjekte – vorkamen. Eine meiner Freundinnen identifizierte sich am meisten mit den Texten, die von meiner Mutter handelten. Ich stilisierte sie stets als die Unangepasste, stellte ihre Regeln und ihre antiautoritäre Weltauffassung hier gern infrage. Aber Sie kennen das ja, spätestens an den Eltern kann man sich so richtig abarbeiten, sogar wenn sie so einzigartig sind, wie meine Mutter es immer war.

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Rassismus, Arroganz und die verhassten Adventskalender für die Kinder

Am meisten aufgeregt haben Sie sich mit mir, wenn ich Hochmut, schlechte Manieren und junge verwöhnte Abgeordnete kritisiert habe. Am meisten beschimpft wurde ich, als ich gestand, dass ich es hasse, Adventskalender zu basteln. Und einmal war ich zu voreilig mit einer Kolumne. Ich habe einem älteren Polsterer aus meinem Viertel Rassismus unterstellt. Zumindest unbewusste Vorurteile, er fand deutsche Nachnamen besser als nicht deutsche.

Ganz freisprechen von dem Vorwurf kann ich ihn auch heute nicht. Aber er hat sich nach zwei Monaten noch einmal gemeldet. Nachgefragt, ob ich an seiner Arbeit noch Interesse habe. Irgendwie dachte ich, was soll’s? Jetzt ist der geerbte Sessel meiner Mutter in seiner Werkstatt, neue Streben unterm Sitz, neuer Bezug. Der Stoff ist gelb gemustert, aus Amerika. Und jetzt sage ich es mit Hape Kerkeling: „Ich bin dann mal weg“ – aber wir lesen uns wieder! Das wusste auch schon Trude Herr: Denn niemals geht man so ganz.