Luxemburg/Berlin. Das ist ein Hammer-Urteil: Bei Pauschalreisen können Corona-Auflagen den Preis nachträglich mindern. Wer nun Geld zurückbekommen kann.

Strände gesperrt, der Hotel-Pool dicht, das Animationsprogramm gestrichen: Während der Corona-Pandemie haben viele Urlauber erlebt, dass zugesagte Leistungen plötzlich wegen Lockdown-Auflagen ausfielen. Für Pauschalreisende gibt es aber jetzt nachträglich einen Trost: Nach einem wegweisenden Urteil des obersten EU-Gerichts können Reisende auch in corona-bedingten Fällen Anspruch auf eine Preisminderung haben.

Das Urteil, das auch für Deutschland verbindlich ist, verkündete der Europäische Gerichtshof am Donnerstag: Demnach hat ein Urlauber Anspruch auf eine Minderung des Preises einer Pauschalreise, „wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch Einschränkungen bedingt ist, die an seinem Reiseziel zur Bekämpfung der Verbreitung einer Infektionskrankheit wie Covid-19 angeordnet wurden.“

Kanarische Inseln: Familie durfte Hotelzimmer nur zum Essen verlassen

In dem Fall hatte eine Familie aus München geklagt: Sie hatte Ende Dezember 2019 eine zweiwöchige Urlaubsreise auf die Kanarischen Inseln für den folgenden März gebucht. Die Familie reiste wie gebucht am 13. März 2020 nach Gran Canaria, doch zwei Tage später trat in Spanien wegen Corona eine Ausgangssperre in Kraft: Strände wurden gesperrt, in der Hotelanlage konnten Pool und Liegen nicht mehr genutzt werden, das Freizeitprogramm wurde eingestellt. Die Familie durfte ihr Hotelzimmer nur zum Essen oder zur Abholung von Getränken verlassen. Fünf Tage nach Ankunft wurde den Klägern von den Behörden mitgeteilt, dass sie sich ständig bereit zu halten hätten, um sich innerhalb einer Stunde zum Flughafen zu begeben. Nach sieben Tagen kehrte die Familie vorzeitig nach Deutschland zurück.

Die Kläger forderten vom Reiseveranstalter FTI Touristik eine Preisminderung für sieben Tage in Höhe von 70 Prozent. Doch der Veranstalter lehnte ab und wies eine Verantwortung für die Corona-Maßnahmen der spanischen Regierung zurück. Dem folgte das Amtsgericht München zurück, es wies eine Klage ab: Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit von Reisenden aufgrund eines tödlichen Virus seien kein Reisemangel, außerdem habe es zu dem Zeitpunkt auch in Deutschland einen Lockdown gegeben.

Das Landgericht München als Berufungsinstanz rief den Europäischen Gerichtshof an, wie eine Pauschalreise-Richtlinie der EU auszulegen sei: Haftet der Reiseveranstalter doch für Einschränkungen durch Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, auch wenn im Herkunftsland und in anderen Ländern solche Maßnahmen ebenfalls angeordnet wurden, womit die Auflagen womöglich nicht als außergewöhnlichen Umstände einzustufen seien? Sind die Maßnahmen möglicherweise nur ein „allgemeines Lebensrisiko“, das Reisende hinzunehmen haben?

Anspruch auf Preisminderung: Diese Frist muss man beachten

Das Urteil der Luxemburger Richter ist eindeutig: Die Ursache der Vertragswidrigkeit und insbesondere ihre Zurechenbarkeit zum Reiseveranstalter sei unerheblich, da die entsprechende EU-Richtlinie in Bezug auf den Anspruch auf Preisminderung eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vorsehe. Von dieser sei der Veranstalter nur befreit, wenn die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen dem Reisenden zuzurechnen ist, was hier nicht der Fall ist.

Dagegen sei es unerheblich, dass Einschränkungen wie die in Rede stehenden aufgrund der weltweiten Verbreitung von Covid-19 auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern angeordnet wurden. Die in Deutschland angeordneten Corona-Maßnahmen ließen den Anspruch auf Preisminderung entsprechend unberührt. Wie hoch die Preisminderung ausfällt, muss nun allerdings das deutsche Gericht klären. Es handelte sich um die erste Entscheidung des EU-Gerichtshofs, die sich mit der Vertragserfüllung im Bereich von Pauschalreisen unter Pandemie-Umständen befasst.

Das Urteil hat damit Bedeutung für viele ähnliche Rechtsstreitigkeiten. In Deutschland hatten Gerichte bislang Preisminderungs-Ansprüche teils abgelehnt, teils zugestanden. So hatte das Amtsgericht Düsseldorf einer vierköpfigen Familie eine Preisminderung um 20 Prozent zugesprochen, weil am Urlaubsort in Portugal wegen Corona-Auflagen Hallenbad, Whirlpool, Fitnessraum und Spielplatz geschlossen und die Kontakte zu anderen Gästen eingeschränkt waren. In vielen Fällen dürfte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aber zu spät kommen: Reisemängel müssen Betroffene beim Veranstalter innerhalb von zwei Jahren geltend machen, sonst verjähren die Ansprüche.