Washington. Der historische Wahlkrimi im US-Repräsentantenhaus ist beendet, McCarthy am Ziel. Doch sein Wahlsieg hat einen enormen Preis gekostet.

Nach 14 gescheiterten Abstimmungen ist Kevin McCarthy endlich am Ziel. Seitdem er 2006 als Abgeordneter aus Bakersfield, Kalifornien in das US-Repräsentantenhaus einzog, hoffte er, eines Tages in der unteren Kammer des Kongresses die begehrte Position des "Speaker of the House" zu bekommen.

Nach einem Wahlkrimi, der sich über vier Tage erstreckte und Abgeordnete zur Erschöpfung brachte, ist es nun soweit. McCarthy wird damit laut Verfassung der drittmächtigste Politiker im Lande sein, der das Präsidialamt übernehmen würde, sollten Präsident Joe Biden und dessen Stellvertreterin Kamala Harris aus irgendwelchen Gründen außerstande sein, ihrem Job nachzugehen.

Der Weg an die Spitze war aber ein langer und beschwerlicher, und sicher ist eines: Leichter wird es für McCarthy nicht, im Gegenteil. Denn die lange Serie von Niederlagen – so viele Abstimmungen hatte es seit über 160 Jahren nicht mehr gegeben – haben ihn politisch geschwächt.

Ein Zugeständnis brachte die Wende

14 Mal in Folge war der klare Favorit auf den Bauch gefallen. Erst kehrten ihm 19 Republikaner den Rücken, dann sogar 20, dann stieg die Zahl der Rebellen auf 21. Zwischen den Abstimmungen wurde mit den widerspenstigen Vertretern der rechtsgerichteten Fraktion – viele darunter vom sogenannten "Freedom Caucus" – fieberhafte Verhandlungen geführt.

Nicht etwa mit McCarthy selbst, dem seine Gegner vom rechtsextremen Parteiflügel nicht über den Weg trauten, sondern in den Büros von McCarthys politischen Weggefährten, die in seinem Namen Versprechen abgaben. Doch über mehr als drei Tage war die Solidarität unter den Quertreibern, durchwegs Anhänger des ehemaligen Präsidenten Donald Trump und Wahlleugner, die bis heute Präsident Joe Bidens Sieg in Abrede stellen, unerschütterlich. Dies, obwohl McCarthy bereits zahlreiche Zugeständnisse gemacht hatte.

Die Fraktion der Republikaner feiert ihren Speaker. Die Eintracht ist trügerisch: McCarthy hat eine brüchige Koalition geschmiedet, um an sein Ziel zu gelangen.
Die Fraktion der Republikaner feiert ihren Speaker. Die Eintracht ist trügerisch: McCarthy hat eine brüchige Koalition geschmiedet, um an sein Ziel zu gelangen. © Alex Brandon/AP/dpa

Die Wende kam, als der Republikaner aus Kalifornien sich schließlich zu zwei weiteren Konzessionen überreden ließ, die aus der Sicht der Rebellen unverzichtbar waren und die schriftlich festgehalten werden mussten: McCarthy stimmte einer neuen Regel zu, die seine Gegner ermächtigt, ihn relativ leicht aus dem Amt zu entfernen, sollte er gegen deren Interessen handeln.

Demnach würde eine Stimme genügen, um ein Verfahren einzuleiten, um McCarthy seines Amtes des "Speaker" zu entheben. Früher bedurfte es dazu einer einfachen Mehrheit aller Republikaner im Repräsentantenhaus, wo sie derzeit 222 Sitze haben. Dann stimmte McCarthy einer Regeländerung zu, wonach nur 5 Gegenstimmen notwendig sein würden. Als sich die Niederlagen aber häuften und seine Aussichten auf Erfolg immer geringer wurden, kapitulierte er schließlich: Jetzt braucht nur ein Rebelle unglücklich zu sein, um seine Entmachtung auf den Weg zu bringen.

Rechte Rebellen erhalten mächtige Ämter

Dabei kann der Anlass noch so trivial sein. So könnte McCarthy ein harmloses Gespräch mit Präsident Biden führen oder sich den Wünschen der 20 Rebellen widersetzen, deren vorrangiges Ziel es ist, gegen den Präsidenten und seinen Sohn Hunter zu ermitteln. Auch könnte jede andere Handlung, die nur den Anschein von Kompromissbereitschaft gegenüber den Demokraten weckt, genügen, und schon müsste McCarthy um seinen Job bangen.

McCarthy aber ging noch weiter und versprach den rechtsgerichteten Rebellen Sitze in wichtigen Kongressausschüssen. Der bedeutendste darunter ist der sogenannte "Regelausschuss" des Repräsentantenhauses, der unter anderem bestimmt, über welche Gesetzesvorlagen, die aus dem Weißen Haus kommen, die Debatte aufgenommen wird.

Beide neuen Regeln haben handfeste Folgen für das politische Tagesgeschäft: Gesetzesvorlagen werden nämlich so gut wie chancenlos sein. So könnte der republikanisch beherrschte Regelausschuss diese sofort zurückweisen, wenn sie aus der Feder eines Demokraten kommen.

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Haus kaum noch Handlungsfähig

Werden die Gesetzesentwürfe aber doch debattiert, dann könnte der rechte Flügel McCarthy bestrafen, indem einer von deren Vertreter seine Absetzung beantragt. Vorstöße, die unmittelbar bevorstehen, könnten Einwanderungsreform und weitere Wirtschafts- sowie Militärhilfe für die Ukraine sein. Auch steht ein Gesetz zur Erhöhung der gesetzlichen Schuldengrenze auf dem Programm, das notwendig sein wird, um eine Staatspleite zu verhindern. Alle könnten nun zum Scheitern verurteilt sein.

Bedeutend kompromittiert ist damit sowohl McCarthys Handlungsfähigkeit als auch die des gesamten Repräsentantenhauses, das bis zur nächsten Wahl im November 2024 politisch gelähmt sein wird.

Unterdessen sind schon jetzt Risse in der wackeligen Koalition zu erkennen, die der neue "Speaker" zwischen moderaten und rechtsextremen Republikanern gezimmert hat. Viele der gemäßigten Vertreter in seiner Partei schimpfen darüber, dass McCarthy zu viel politisches Kapital aus der Hand gegeben habe und vertrauen ihrem Mehrheitschef nicht.

"Er ist ein völlig hohler Mensch und hat seine Seele verkauft, um den Job zu bekommen" sagte der ehemalige republikanische Abgeordnete, Joe Walsh. Die Vertrauensfrage stellt sich aber auch auf der Seite der Rechten.

Viele hatten McCarthy lange Zeit die Stimme verweigert, weil er während des Wahlkampfs deren Gegner unterstützt hatte. Nur zähneknirschend sind sie jetzt an Bord, keineswegs aber aus Überzeugung. "Die Koalition um Kevin McCarthy ist wie ein Kartenhaus, das jederzeit wie ein Kartenhaus zusammenfallen könnte" sagte ein republikanischer Analyst.