Rom. Von Benedikts Rücktritt bis zu seinem Tod gab es im Vatikan zwei Päpste. Wie unterschieden die Männer sich und wie war ihr Verhältnis?

Ihr Amtsstil hätte nicht unterschiedlicher sein können. Franziskus, der erste lateinamerikanische Papst, ist extrovertiert, medienversiert und menschennah. Der argentinische Jesuit liebt Begegnungen mit Pilgern, gibt gern Interviews und tritt auch in Talkshows auf. Während seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires besuchte er oft seine Gläubigen zu Hause, spendete Familien in Not Trost und nutzte die öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt.

Ganz anders war der Stil seines Vorgängers Benedikt XVI. Der mit dem bürgerlichen Namen in Oberbayern geborene Joseph Ratzinger war ein scheuer Theologe, der einen Großteil seines Lebens in der römischen Kurie verbrachte und sich nach seinem Papst-Rücktritt 2013 kaum in der Öffentlichkeit zeigte.

Beide Päpste haben Kirchengeschichte geschrieben. So wurde Benedikt XVI. 2005 zum ersten deutschsprachigen Pontifex in nahezu 500 Jahren ernannt. Er war 2013 der erste Papst der Moderne, der freiwillig auf sein Amt verzichtete. Franziskus ist der erste Nicht-Europäer auf dem Stuhl Petri. Der 86-jährige Argentinier ist auch das erste Oberhaupt der katholischen Kirche, der den Namen Franziskus zu Ehren von Italiens Nationalheiligem Franz von Assisi übernommen hat.

Franziskus und Benedikt XVI. waren sehr unterschiedlich

Mutmaßungen über Divergenzen zwischen Papst Franziskus und seinem Vorgänger wurden im Kirchenstaat stets zurückgewiesen. Ihre Beziehung sei von "Kontinuität im Lehramt und Besonderheiten im pastoralen Umgang" gekennzeichnet gewesen, verlautet es aus dem Vatikan. Dennoch waren auch im theologischen Sinne die Unterschiede zwischen den beiden Päpsten groß.

Sie spiegelten zwei gegensätzliche Auffassungen der katholischen Kirche angesichts der Herausforderungen der heutigen Welt wider. Ratzinger galt als anti-modern und konservativ. Er drängte als amtierender Papst darauf, dass die Kirche nicht nach "Popularität" streben solle, sondern an den theologischen und moralischen Prinzipien festhalte, die ihre jahrhundertealte Identität ausmache.

Für den emeritierten Papst ging der "moralische Niedergang" der Gesellschaft seit dem revolutionären Jahr 1968 mit dem "Zusammenbruch der Moraltheologie" einher, der die Kirche angesichts des Relativismus und Nihilismus, die sich in der Gesellschaft auszubreiten begannen, "wehrlos" machte.

Benedikt XVI.: Der Deutsche hatte als Papst Europa im Blick

Joseph Ratzinger schien sich während seines achtjährigen Pontifikats vor allem auf den Westen und auf Probleme wie den Vormarsch des Säkularismus zu konzentrieren. Das zeigte sich nicht nur an der Bevorzugung Europas in seinen internationalen Reisen, sondern auch an der Tatsache, dass von seinen auswärtigen Reden die vor dem Collège des Bernardins in Paris, der Westminster Hall in London und dem Bundestag in Berlin abgehaltenen wahrscheinlich die prägnantesten waren.

Benedikt hatte 2006 bei seinem Bayern-Besuch in einer Vorlesung über das Verhältnis von Religion und Vernunft den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos aus dem 14. Jahrhundert zitiert, der den islamischen Propheten Mohammed wegen dessen Haltung zur Gewalt scharf kritisiert hatte. Franziskus reiste dagegen im November 2022 nach Bahrain und vertiefte dabei den Dialog mit Vertretern des Islams.

Papst Franziskus lebt mehr nach dem "Zeitgeist". Er strebt eine inklusivere Kirche an, die nicht nur Europa, sondern auch anderen Kontinenten offen ist. Schließlich bezeichnet sich Franziskus als Papst vom anderen Ende der Welt. Er ist mehr Hirte als Theologe und zeigt mehr Offenheit gegenüber Homosexuellen und Transsexuellen. Er setzt sich auch für eine aktivere Rolle der Frauen im Vatikan ein.

Papst Benedikt XVI.: Sein Leben in Bildern

Benedikt XVI.: Im Dienste Gottes – sein Leben in Bildern

Ein Klassenfoto der dritten Klasse der Volksschule von Aschau am Inn, in der auch der heutige Papst Benedikt XVI. unterrichtet wurde (Foto aus dem Jahr 1935). Der damals achtjährige Joseph Ratzinger steht oben in der Mitte des Bildes.
Ein Klassenfoto der dritten Klasse der Volksschule von Aschau am Inn, in der auch der heutige Papst Benedikt XVI. unterrichtet wurde (Foto aus dem Jahr 1935). Der damals achtjährige Joseph Ratzinger steht oben in der Mitte des Bildes. © picture-alliance/dpa
Kardinal Michael Faulhaber (oben) legt am 29.06.1951 Joseph Ratzinger im Freisinger Mariendom die Hände auf. Der spätere Papst Benedikt XVI. wurde an jenem Tag gemeinsam mit seinem älteren Bruder Georg zum Priester geweiht.
Kardinal Michael Faulhaber (oben) legt am 29.06.1951 Joseph Ratzinger im Freisinger Mariendom die Hände auf. Der spätere Papst Benedikt XVI. wurde an jenem Tag gemeinsam mit seinem älteren Bruder Georg zum Priester geweiht. © picture alliance/dpa
Der damalige Priester Joseph Ratzinger hält 1952 eine Bergmesse in Ruhpolding.
Der damalige Priester Joseph Ratzinger hält 1952 eine Bergmesse in Ruhpolding. © Privat/dpa
Die Karriere des jungen Theologen Ratzinger beginnt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) als Berater von Kardinal Joseph Frings. Von 1966-77 war Joseph Ratzinger Theologie-Professor in Tübingen.
Die Karriere des jungen Theologen Ratzinger beginnt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) als Berater von Kardinal Joseph Frings. Von 1966-77 war Joseph Ratzinger Theologie-Professor in Tübingen. © picture alliance / dpa
Joseph Ratzinger, neuer Erzbischof von München und Freising, trägt während der Fronleichnamsprozession am 09.06.1977 in der Münchner Innenstadt die Monstranz.
Joseph Ratzinger, neuer Erzbischof von München und Freising, trägt während der Fronleichnamsprozession am 09.06.1977 in der Münchner Innenstadt die Monstranz. © Hartmut Reeh/dpa/picture alliance
In seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising trägt Ratzinger in einem Missbrauchsfall der Kirche eine folgenschwere Entscheidung mit. Ein vorbelasteter katholischer Priester wurde 1980 nach Bayern versetzt und wieder in eine Gemeinde geschickt. Dort verging er sich erneut an Jugendlichen, 1986 wurde er verurteilt. Ratzinger hat dem Umzug des Mannes von Essen nach München zugestimmt, jedoch nicht dem Einsatz in einer Gemeinde.
In seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising trägt Ratzinger in einem Missbrauchsfall der Kirche eine folgenschwere Entscheidung mit. Ein vorbelasteter katholischer Priester wurde 1980 nach Bayern versetzt und wieder in eine Gemeinde geschickt. Dort verging er sich erneut an Jugendlichen, 1986 wurde er verurteilt. Ratzinger hat dem Umzug des Mannes von Essen nach München zugestimmt, jedoch nicht dem Einsatz in einer Gemeinde. © AP Photo/Dieter Endlicher
Der frisch eingeweihte Papst Johannes Paul II. legt seinem Kardinal Joseph Ratzinger am 22. Oktober 1978 die Hand auf. Die Kardinäle schwörten dem neuen Kirchenoberhaupt an diesem Tag ihren Gehorsam.
Der frisch eingeweihte Papst Johannes Paul II. legt seinem Kardinal Joseph Ratzinger am 22. Oktober 1978 die Hand auf. Die Kardinäle schwörten dem neuen Kirchenoberhaupt an diesem Tag ihren Gehorsam. © picture alliance / AP
Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Unterkunft im Vatikan, im November 1985. Unter Papst Johannes Paul II. steigt er in Rom in höchste kirchliche Ämter auf.
Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Unterkunft im Vatikan, im November 1985. Unter Papst Johannes Paul II. steigt er in Rom in höchste kirchliche Ämter auf. © Gianni GIANSANTI/Gamma-Rapho via Getty Images
Papst Johannes Paul II. unterzeichnet neues Kirchenrecht im Vatikan, am 25. Januar 1985. Es wird verfügen, dass Abtreibungen  sofort mit Exkommunikation bestraft wird. Neben ihm stehen Kardinal Ratzinger und sein Kollege, der venezolanische Erzbischof Jose Castillo Lara.
Papst Johannes Paul II. unterzeichnet neues Kirchenrecht im Vatikan, am 25. Januar 1985. Es wird verfügen, dass Abtreibungen sofort mit Exkommunikation bestraft wird. Neben ihm stehen Kardinal Ratzinger und sein Kollege, der venezolanische Erzbischof Jose Castillo Lara. © Bettmann/Getty Images
Der Kardinal in seinem Arbeitzimmer: Der Theologe Ratzinger hat unzählige Bücher über den Glauben verfasst, seine Werke gehören zur Standardliteratur in Priesterseminaren.
Der Kardinal in seinem Arbeitzimmer: Der Theologe Ratzinger hat unzählige Bücher über den Glauben verfasst, seine Werke gehören zur Standardliteratur in Priesterseminaren. © Gianni GIANSANTI/Gamma-Rapho via Getty Images
Es ist der Höhepunkt seines Lebens: Am 19. April 2005 wird aus dem Kardinal Joseph Ratzinger der neue Papst Benedikt XVI.
Es ist der Höhepunkt seines Lebens: Am 19. April 2005 wird aus dem Kardinal Joseph Ratzinger der neue Papst Benedikt XVI. © Eric VANDEVILLE/Gamma-Rapho via Getty Images
Acht Jahre lang steht er an der Spitze der römisch-katholischen Kirche. Ein Menschenfischer war er nie, eher ein Professor-Papst, der ein enormes theologisches Schriftwerk hinterlässt. Das Bild zeigt ihn im Juli 2007, dem Jahr seines 90. Geburtstags.
Acht Jahre lang steht er an der Spitze der römisch-katholischen Kirche. Ein Menschenfischer war er nie, eher ein Professor-Papst, der ein enormes theologisches Schriftwerk hinterlässt. Das Bild zeigt ihn im Juli 2007, dem Jahr seines 90. Geburtstags. © picture alliance / Stefano Spaziani
Mit nur einem Satz reformierte Benedikt XVI. das Papstum. Er erklärt am 11. Februar 2013
Mit nur einem Satz reformierte Benedikt XVI. das Papstum. Er erklärt am 11. Februar 2013 "mit voller Freiheit auf das Amt des Bischofs von Rom, Nachfolger Petri zu verzichten" und geht damit als der erste Papst, der von seinem Amt zurücktritt, in die Geschichte ein. © picture alliance / ROPI
Sein Nachfolger wurde der Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der den Namen Franziskus annahm. Seit Jahrhunderten ist das Kirchenoberhaupt damit erstmals wieder Mensch von außerhalb Europas.
Sein Nachfolger wurde der Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der den Namen Franziskus annahm. Seit Jahrhunderten ist das Kirchenoberhaupt damit erstmals wieder Mensch von außerhalb Europas. © Vatican Media/dpa
Mehrere Jahre lebte der emeritierte Papst noch im Vatikan, größtenteils zurückgezogen. Am 31. Dezember 2022 starb  Benedikt XVI. im Alter von 95 Jahren.
Mehrere Jahre lebte der emeritierte Papst noch im Vatikan, größtenteils zurückgezogen. Am 31. Dezember 2022 starb Benedikt XVI. im Alter von 95 Jahren. © Sven Hoppe/dpa | Sven Hoppe/dpa
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Offiziell bestand ein gutes Verhältnis zwischen den Päpsten

Das präzedenzlose Nebeneinander zweier Päpste im kleinen Kirchenstaat galt nach Franziskus Amtsantritt 2013 für keinen der Akteure als ideal. Manche Vatikan-Experten vermuten deshalb, dass Franziskus nach dem Tod Benedikts das Gesetz ändern könnte, damit es zukünftig den Status "Papa Emeritus" nicht mehr geben kann.

Damit wäre Benedikt XVI. der erste und vorerst letzte emeritierte Pontifex als Bewohner des Klosters Mater Ecclesiae gewesen, in dem er die fast zehn Jahre nach seinem Rücktritt verbracht hat.

Der vatikanische Staatssekretär, Kardinal Pietro Parolin, meint, dass zwischen Franziskus und seinem Vorgänger eine "lebendige gegenseitige Zuneigung" bestanden habe. Das habe auch der Besuch von Franziskus am Krankenbett seines Vorgängers gezeigt. Franziskus bat die Gläubigen vor dem Tod seines Vorgängers immer wieder, für den emeritierten Papst zu beten.