Berlin. Vor 50 Jahren zerbrach über Berlin eine IL-62 der Interflug. 156 Menschen starben dabei. Der Kommandant verhinderte noch Schlimmeres.

Der 14. August 1972 ist ein Sommertag wie er im Buche steht: Sonne glitzert in Seen. Badestellen sind gut besucht. Viele Urlauber sitzen in der Ferienregion südlich von Berlin rund um Königs Wusterhausen noch an den Kaffeetafeln. Doch kurz vor 17 Uhr stört ein aufheulendes Triebwerk die Idylle.

Menschen schauen geschockt zum Himmel. „In rund 300 Metern Höhe spielte sich ein Drama ab“, erinnerte sich Zeitzeuge Uwe Wolff vor einigen Jahren. Mit seiner Frau saß er im eigenen Garten und musste die Tragödie mit ansehen. Eine IL 62 der Interflug schlingert über Königs Wusterhausen.

Das Flugzeug sowjetischen Fabrikats, 32 Minuten zuvor von Schönefeld Richtung Burgas (Bulgarien) gestartet, sackt immer mehr ab. Die Maschine liegt nicht mehr in der Horizontalen. „Die Triebwerke heulten noch einmal auf. Dann explodierte der Flieger und zerbrach in zwei Teile“, so Uwe Wolff. Seiner Schilderung nach schoss das Heckteil zunächst wie eine Rakete nach oben, ehe es, wie das Vorderteil zu Boden stürzte. Aus der Unglücksmaschine fliegen Handtaschen, Sonnenhüte und Menschen. Die sowjetische Iljuschin IL-62 der DDR-Gesellschaft Interflug stürzte mit 156 Menschen an Bord ab.

Pilot Heinz Pfaff lenkte die Maschine von den Gleisen weg

„Erst viel später kam heraus, dass Pilot Heinz Pfaff Unglaubliches leistete“, so der vor drei Jahren verstorbene Zeitzeuge Heinz Mutschinski, seinerzeit bei der Kreis-Katastrophen-Kommission. Der Bahnhof Königs Wusterhausen sei zur Feierabendzeit „knüppeldicke voll“ gewesen. Nach einer Rekonstruktion der Ereignisse gilt als gesichert, dass Pfaff den Flieger im letzten Moment von den Gleisen wegsteuerte und so eine noch größere Katastrophe durch den Flugzeugabsturz verhinderte.

Einer, der die IL 62 wie seine Westentasche kennt, ist Heinz-Dieter Kallbach. Der Brandenburger und gebürtige Essener war bei der Interflug viele Jahre Chef der Flotte. „Die IL 62 war ein absolut sicheres Flugzeug. Ich bin sie zwölf Jahrelang unheimlich gern geflogen.“ Kallbach (81) kannte die Crew der Unglücksmaschine, auch Pilot Heinz Pfaff. „Er war bei der Interflug beliebt, ein sympathischer Typ.“

 Interflug IL62 DM-SEA - die Unglücksmaschine.
 Interflug IL62 DM-SEA - die Unglücksmaschine. © Berliner Flughäfen | Berliner Flughäfen

Interflug-Ingenieur war sofort vor Ort – für ihn war sofort klar, was passiert war

Mit Bordingenieur Ingolf Stein sei er auch die Antonow AN 20 geflogen. Umso geschockter ist der Brandenburger, als er am 14. August 1972 die Radionachricht vom Flugzeugabsturz hört. Am Abend soll er planmäßig selbst nach Bulgarien fliegen: „Ich fuhr meine Frau sofort von unserem Zeuthener Grundstück in die Berliner Wohnung und anschließend zum Flughafen. In der Nacht, um 0.20 Uhr, starteten wir nach Varna. Es fiel schwer, sich nach dem Unglück auf den Flug zu konzentrieren.“

Sehr schnell vor Ort war auch Jörn Lehweß-Litzmann, Der damals 28 Jahre alte Interflug-Ingenieur war vor der Katastrophe mit der Einstellung der erst 1970 in DDR-Dienst genommenen Iljuschin befasst. Er wurde eines von 63 Mitgliedern der Untersuchungskommission zur Unglücksursache.

Kurzschluss, Hitze und eine große Vertuschungs-Aktion

Klar war nach seinen Worten von Anfang an, dass ein Brand im Heck dem Flugzeug zum Verhängnis wurde. Doch warum brach er aus und verursachte das Flugzeugunglück? Ein Anschlag oder der Flug durch die eigene Kerosinwolke seien rasch ausgeschlossen worden, schreibt Lehweß-Litzmann in einem Beitrag für den Heimatkalender Königs Wusterhausen von 2019.

Stattdessen kam die DDR-Kommission in wochenlangen Untersuchungen zu dem Schluss, dass durch eine undichte Heißluftleitung im Heck 300 Grad heiße Luft so lange auf einen Kabelbaum strömte, bis die Isolierung verkohlt war. Die Folgen: Kurzschluss, Funken, Entzündung von im Flugzeug verbautem Magnesium, das mit 2000 Grad abbrannte, das Höhenruder zerstörte und schließlich das ganze Heck „abschweißte“.

Binnen drei Monaten „erfolgte die Abarbeitung aller aufgeworfenen Fragen“, schreibt Lehweß-Litzmann. Doch die sowjetischen Konstrukteure bestätigten die Ergebnisse der DDR-Kollegen nicht – liefen sie doch auf Konstruktionsmängel hinaus. Die ganze Wahrheit der Verschlusssache aber kam erst nach dem Umbruch in der DDR ans Licht.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.