Berlin. Experten und Expertinnen halten die sinkenden Corona-Infektionszahlen für weitgehend korrekt. Zugleich wächst die Sorge vor Omikron.

Es sind Zahlen, die die vorsichtige Hoffnung auf Besserung wecken: Zehn Tage vor Weihnachten meldet das Robert Koch-Institut (RKI) erneut sinkende Zahlen bei den Neuinfektionen mit Corona. Die Zahl der Neuansteckungen lag am Dienstag bei 30.823, die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche – sank von mehr als 450 Ende November auf 375 am Dienstag.

Währenddessen stieg die Zahl derer, die bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten haben, auf 20,5 Millionen Menschen, rund ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland. Ist das schon die Trendwende in der aktuellen vierten Welle?

Die Fachleute sehen eine „erfreuliche Entwicklung“

Expertinnen und Experten äußern sich zurückhaltend optimistisch. Der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig geht von einer tatsächlichen Entspannung der Lage aus. Sein Kollege Hajo Zeeb vom Leibniz-In­stitut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen spricht von einer „erfreulichen Entwicklung, auch wenn Unsicherheiten bestehen“.

BundesgesundheitsministerKarl Lauterbach schrieb am Montag auf Twitter: „Die Lage stabilisiert sich langsam, und der Rückgang der Fallzahlen ist echt.“

Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Die Lage stabilisiert sich langsam.“
Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Die Lage stabilisiert sich langsam.“ © AFP | Hannibal Hanschke

Gibt es eine Untererfassung bei den Infektionen?

Doch noch immer stehen die Gesundheitsämter angesichts der hohen Fallzahlen unter Druck, immer wieder müssen Ämter Zahlen nachmelden. Es sei nach wie vor schwierig zu beurteilen, ob es einen echten Rückgang bei den Neuinfektionen gebe oder ob die Werte weiterhin stark von einer Untererfassung der nachgewiesenen Infektionen geprägt seien, sagt Ute Teichert, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). „Vermutlich ist beides der Fall.“ Lesen Sie mehr:Corona-Testpflicht: Warum Ärzte nun Lauterbach kritisieren

Mittlerweile kämen die Ämter aber wieder etwas besser mit dem Übermitteln von Corona-Nachweisen hinterher. In vielen Ämtern werde das Personal nun nur noch dafür eingesetzt, eingehende Meldungen zu bearbeiten, dafür gebe es weniger Kontaktnachverfolgung. Die Unterstützung durch Bundeswehrsoldaten habe ebenso geholfen.

Experte: In sechs Bundesländern ist der Scheitel überschritten

Auch Kai Nagel, Mobilitätsforscher von der TU Berlin, wies in einem Blogbeitrag zur aktuellen Infektionslage darauf hin, dass bei hohen Inzidenzen mit einer stärkeren Untererfassung zu rechnen sei als bei niedrigen Inzidenzen. „Daher sollte man bei hohen Inzidenzen auch auf den Anteil der positiven Tests schauen“, so Nagel.

Nehme man sowohl sinkende Inzidenzen als auch einen sinkenden Anteil von positiven Tests als Maßstab, dann sei in sechs Bundesländern der Scheitelpunkt überschritten, in den anderen noch nicht, so Nagels Analyse. „Auch bundesweit dürfte der Scheitelpunkt der Inzidenzen für die Delta-Welle überschritten sein.“

Wendet Omikron das Blatt gleich wieder?

Doch die Sorge ist groß, dass sich der Trend bald wieder wenden könnte, wenn Omikron stärker in Deutschland Fuß fasst. Er befürchte, dass Omikron „in spätestens zwei bis drei Wochen wieder zu einem Anstieg bei den Infektionszahlen führt, vermutlich auch bei den Klinikeinweisungen“, sagte HZI-Forscher Krause.

Der Expertenrat der Bundesregierung will noch vor Weihnachten eine Stellungnahme zur neuen Variante vorlegen. Dies solle dann Grundlage wichtiger Entscheidungen sein, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag. Der Rat werde sich dafür am Freitag zusammensetzen, „sodass wir dann mit einer schnellen Information rechnen können“.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte eine einheitliche nationale Strategie gegen Omikron und zugleich eine baldige neue Ministerpräsidentenkonferenz – noch in diesem oder zumindest „sehr früh“ im neuen Jahr, so Söder.