Berlin. Die Mehrheit der Deutschen verfügt nicht über ausreichenden öffentlichen Nahverkehr. Mit diesen Lösungen könnte sich vieles verbessern.

Wer in der Innenstadt deutscher Metropolen lebt, hat die Qual der Wahl. Neben Bussen gibt es U-, S- oder Straßenbahnen, mit denen man zur Arbeit, zu Freunden oder ins Theater gelangen kann. Hinzu kommen E-Scooter, Leihfahrräder, Sammeltaxis und Car-Sharing-Autos verschiedener Anbieter. Viele dieser Verkehrsmittel sind angesichts von Staus und Parkplatznot schneller als der eigene Pkw. So mancher Großstädter hat sich deshalb längst von seinem Auto getrennt.

Von solchen Verhältnissen können Menschen in ländlichen Gebieten und selbst im Umland von Städten nur träumen. Der Weg zur nächsten Bushaltestelle oder zur Bahn ist oft lang, die Verbindungen sind rar, sodass für viele das private Auto wichtig ist, um mobil zu sein.

Aufholbedarf für ÖPNV und Sharing-Dienste in ländlichen Gebieten

Bei der Versorgung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gibt es ein großes Stadt-Land-Gefälle, wie eine aktuelle Verkehrsanalyse der Bahn-Tochter Ioki zeigt, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach steht nur 27 Millionen Bürgern und Bürgerinnen, die in Metropolregionen oder Großstädten leben, ein sehr guter ÖPNV zur Verfügung. Für die Mehrheit von 55 Millionen Einwohnern, die im Umland und im ländlichen Raum wohnen, ist das Angebot deutlich kleiner.

Noch größer ist der Unterschied bei der Versorgung mit Sharing-Angeboten: Mehr als 90 Prozent der Leihräder, -scooter oder Car-Sharing-Autos befinden sich in den Zentren der Großstädte. Dagegen haben nur fünf Prozent der Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern wenigstens eines dieser Angebote – im Rest sind solche Dienste nicht vorhanden.

Und auch bei der Versorgung im bestehenden öffentlichen Nahverkehr liegt einiges im Argen. Grundsätzlich gibt es laut Studie bundesweit 230.000 Haltestellen für Bus und Bahn, von denen 55 Prozent in ländlichen Regionen und 45 Prozent in Städten liegen.

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Etwa 77 Millionen Einwohner – und damit 93,5 Prozent – wohnen innerhalb eines Radius von 400 Metern zu einer Bushaltestelle oder 600 Meter von einem Nahverkehrsbahnhof entfernt – und haben damit „ausreichenden Zugang“ zum ÖPNV.

„Doch die Infrastruktur allein reicht nicht aus“, sagt Ioki-Geschäftsführer Michael Barillère-Scholz: „Es gibt zwar ein dichtes Haltestellennetz, doch das sagt noch nichts über die Qualität. Denn die Taktung des öffentlichen Nahverkehrs ist in vielen Regionen zu gering und wenig attraktiv.“

On-Demand-Sammeltaxis könnten 25 Millionen Menschen nutzen

Ein ausreichendes Angebot liege erst dann vor, wenn eine Haltestelle je Richtung mindestens stündlich zwischen 6 Uhr morgens und 21 Uhr abends angefahren werde – also bei 30 Abfahrten pro Tag. Doch in diesen Genuss kommen auf dem Land nur 63 Prozent der Bevölkerung, in der Großstadt 90 Prozent.

Um die Bürger besser an Bus und Bahn anzubinden, könnten On-Demand-Sammeltaxis als Bestandteil des ÖPNV noch stärker eingesetzt werden. „Durch flexible Fahrzeuge, die auf Abruf per App vor der Tür stehen und zur nächsten Bus- oder S-Bahn-Station fahren, könnte rund 25 Millionen Menschen ein Angebot im ÖPNV gemacht werden“, rechnet Barillère-Scholz vor.

Der Chef der Bahn-Tochter geht noch weiter: „Wenn bundesweit rund 380.000 On-Demand-Shuttles eingesetzt würden, die regelmäßig Menschen auf Abruf zu Haltestellen und von diesen wieder zurück befördern, würden wir die Abhängigkeit vom Auto deutlich verringern. Wir könnten in Deutschland auf rund zwölf Millionen Pkw samt ihrem CO-Ausstoß und Flächenverbrauch verzichten, die derzeit vor allem im ländlichen Raum als Zweit- und Drittwagen von Haushalten gehalten werden.“

Die Dienste müssten jedoch die Verkehrsteilnehmer überzeugen: „Sie sollten binnen 15 Minuten maximal 200 Meter vor der eigenen Haustür verfügbar sein und das Ziel mit der gesamten ÖPNV-Strecke idealerweise schneller als mit dem Auto erreichbar sein“, so Barillère-Scholz. „Dann steigen die Menschen auch um.“

Die Deutsche Bahn hat bereits 330 On-Demand-Verkehre in den ÖPNV integriert und damit rund sieben Millionen Fahrgäste befördert. In Hamburg und im Rhein-Main-Gebiet funktionieren diese Angebote bereits.

Sharing-Dienste müssten vom Bund bezuschusst werden

Auch der Bus-Chef der Bahn ist überzeugt, „dass Schiene und Straße noch enger verbunden werden müssen“, sagt Frank Klingenhöfer von DB Regio. „Wir wollen Linien- und On-Demand-Verkehre sinnvoll ergänzen und binden damit den ICE an jede Haustür an.“

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert bereits mehr Tempo bei der Vernetzung des ÖPNV mit nachhaltigen Verkehrsträgern sowie eine Aufstockung der Regionalisierungsmittel dafür. Der notwendige Ausbau dürfe nicht von den Finanzspielräumen einzelner Kommunen abhängen.

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„Der Bund ist hier gefordert“, sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Bus, Bahn, Rad, aber auch Pooling- und Sharing-Dienste könnten nur gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit im Verkehr sorgen, auch wenn diese Dienste bezuschusst werden müssten. Landsberg weiter: „Deutschland wird seine Klimaschutzziele im Verkehrssektor nur erreichen, wenn der ÖPNV zu einer echten Mobilitätsalternative wird, in der Stadt und auf dem Land.“