Athen. Seit einer Woche kämpft Griechenland gegen apokalyptische Feuerstürme. Klimaforscher machen nun düstere Prognosen für die Zukunft.

  • Die Waldbrände auf Euböa wüten weiter, um Athen entspannt sich die Lage ein wenig
  • Die Angst bleibt auch dort, wo die Feuer unter Kontrolle sind - Brandnester könnten sich wieder entzünden
  • Klimaforscher machen düstere Prognosen für die Zukunft

Die Tatoiou-Straße, die sich von Varibobi im Norden Athens die Hänge des Parnes-Massivs hinaufschlängelt, führt in eine Mondlandschaft. Beiderseits des Wegs abgebrannte Wälder, soweit der Blick reicht. Schwarze Baumgerippe ragen in den Himmel, ein grauer Ascheteppich bedeckt den Boden. Immer wieder sieht man verkohlte Tierkadaver und ausgeglühte Autowracks. So groß war die Hitze des Feuers, dass die Leichtmetallfelgen der Autos geschmolzen und zu silbernen Rinnsalen erstarrt sind.

Bis auf einige wenige Brandnester sind im Norden von Athen die Flammen gelöscht. Aber immer noch steigt Rauch aus den eingeäscherten Wäldern und den ausgebrannten Ruinen. Beißender Brandgeruch liegt in der Luft. Die Feuerwehren sind noch nicht abgerückt. Vielerorts warten Löschfahrzeuge, falls die Feuer wieder aufflammen sollten. Ein roter Erickson-Löschhubschrauber kreist wie ein riesiges Insekt über dem Brandgebiet. Die Piloten halten Ausschau nach Brandnestern, die der Wind jederzeit wieder anfachen könnte. Am Boden patrouillieren Feuerwehrleute und Soldaten.

Nur wenige grüne Inseln sind geblieben, wo das Feuer nicht gewütet hat. Manche Häuser haben die Flammen ganz verschont, andere nur leicht beschädigt. Aber von vielen Gebäuden stehen nur noch die rußgeschwärzten Mauern. Am Ortsrand von Ano Varibobi stochert ein Mann mit einem Feuerhaken in den verkohlten Resten seiner Schreinerwerkstatt. „Alles verbrannt“, sagt er mutlos, „alles verloren – in einer Nacht“.

Waldbrände in Griechenland: Lebensrettendes Alarmsystem

Die Gegend an den südlichen Ausläufern des Parnes, eines der drei „Hausberge“ von Athen, war dicht bewaldet. König Georg I. kaufte hier 1871 ein Grundstück, auf dem er eine Sommerresidenz errichtete. Im 20. Jahrhundert ließen sich auch immer mehr Athener dort nieder. Sie suchten in den Wäldern Zuflucht vor der Sommerhitze. Die Namen der Orte erzählen davon: Polydendri, was so viel heißt wie „viele Bäume“, Drosopigi, die „erfrischende Quelle“, oder Drosia, die „Kühle“. Diese Ortsnamen klingen jetzt wie Hohn. Dass sie hier von Feuerstürmen heimgesucht würden, haben die Bewohner wohl nicht erwartet. Oder sie haben die Gefahr verdrängt. Lesen Sie dazu: Würzburger in Athen: "Es regnet Asche auf unseren Balkon"

Bisher hat ein Mensch in den Feuerkatastrophen sein Leben verloren: Bei Athen wurde ein 38-jähriger freiwilliger Helfer von einem umstürzen Strommast erschlagen. Dass es nicht mehr Opfer gab, ist vor allem dem griechischen Alarmsystem zu verdanken. Man verlässt sich nicht auf altertümliche Sirenen. Alarmmeldungen werden über SMS und mit unüberhörbaren akustischen Signalen auf die Mobiltelefone verschickt. So können die Menschen lokal gezielt vor drohenden Gefahren gewarnt und zur Evakuierung aufgefordert werden.

Während Sirenen oft nur Panik auslösen, bekommen die Menschen mit dem griechischen System präzise Angaben über sichere Fluchtrouten. Entwickelt wurde das Verfahren nach der Brandkatastrophe im Athener Vorort Mati, wo vor drei Jahren über 100 Menschen starben. Gäbe es dieses Verfahren auch in Deutschland, hätten vielleicht mehr Menschen die Flutkatastrophen in NRW und Rheinland-Pfalz überlebt. Mehr dazu: Kommt die Katastrophenwarnung bald aus dem Rauchmelder?

Ursachen der Brände sind unklar

Immer flammen während heißer Sommer in den Waldgebieten um Athen Brände auf. Aber so verheerend wie jetzt wüteten die Feuer noch nie. Bereits jetzt seien 50.000 Hektar verbrannt, veranschlagt Efthymios Lekkas, Professor für Geologie und Katastrophenmanagement an der Kapodistrias-Universität Athen. Andere Schätzungen gehen in eine Größenordnung von 60.000 Hektar. Nach einer Berechnung des Europäischen Waldbrand-Informationssystems EFFIS sind in Griechenland in diesem Jahr bis zum 5. August schon fast doppelt so viele Wälder abgebrannt wie im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2020.

Über die Ursachen der Brände gibt es bisher nur Spekulationen. Die meisten Feuer dürften auf Unachtsamkeit zurückzuführen sein. In Kryoneri bei Athen wurde ein 43-Jähriger unter dem Verdacht der Brandstiftung festgenommen. Im Vorort Agios Stefanos wurden zwei festgenommene Männer wieder auf freien Fuß gesetzt, weil sich der Verdacht auf Brandstiftung nicht erhärtete. Lesen Sie auch: Türkei: Schwerste Feuer seit Jahren nicht unter Kontrolle

Die Lage rund um Athen wird immer kritischer. Am Freitag fachten in den frühen Morgenstunde starke Winde die Waldbrände zusätzlich an.
Die Lage rund um Athen wird immer kritischer. Am Freitag fachten in den frühen Morgenstunde starke Winde die Waldbrände zusätzlich an. © dpa | Marios Lolos

„Der August wird ein Monat der Alpträume“, warnt der Katastrophenexperte Lekkas, vor allem wegen der extremen Temperaturen dieses Sommers. Vielerorts habe man während der jüngsten Hitzewelle Bodentemperaturen von 65 Grad gemessen, während die Luftfeuchtigkeit auf Werte von zehn bis 15 Prozent gefallen sei, berichtet Lekkas. Das könne zu „explosionsartigen Bränden“ führen. Gegen solche Feuerstürme mit Temperaturen von 600 Grad und mehr können auch Löschflugzeuge wenig ausrichten. Wegen der großen Rauchentwicklung können die Piloten, die auf Sicht fliegen müssen, ihre Maschinen nicht tief genug über die Feuerfronten hinunterdrücken. Das Wasser, das sie abwerfen, verdunstet zum größten Teil, bevor es die Flammen erreicht.

Dramatische Szenen auf der Insel Euböa

Während sich die Lage bei Athen am Sonntag entspannte, gab es andernorts in Griechenland noch keine Entwarnung. Auf der Insel Euböa tobten zwei riesige Feuerfronten. „Heute ist der schlimmste Tag“, berichtete Giannis Kotzias, Bürgermeister der kleinen Hafenstadt Istiaia. „Wo bleiben die Löschflugzeuge?“, fragte der Politiker in einem Telefoninterview mit der Radiostation „Skai“. 39 Dörfer im Norden von Euböa wurden bereits evakuiert, am Sonntag mussten die Bewohner von drei weiteren Ortschaften ihre Häuser verlassen.

Wieder wurden, wie schon an den Tagen zuvor, Tausende Menschen an den Stränden von Fischerbooten, Fähren und Schiffen der Küstenwache aufgenommen, weil es keine anderen Fluchtwege mehr gab. Mütter umklammerten ihre Babys, junge Leute halfen Alten und Gebrechlichen in die Boote. Fanis Spanos, der Regionalgouverneur, spricht von einer „unfassbaren Katastrophe“. Die Bilanz bisher: „300 Familien haben ihre Häuser verloren und sind obdachlos, tausende Gebäude beschädigt“. Hunderte Obdachlose übernachteten auf Feldbetten in Sporthallen der Inselhauptstadt Chalkida. Auch interessant: Türkei: So bringt die Feuerkatastrophe Erdogan in Bedrängnis

Auf der Halbinsel Peloponnes waren die Brände am Sonntag ebenfalls nicht unter Kontrolle. Riesige Feuerfronten fraßen sich von Olympia ins dicht bewaldete Arkadien. Auch südlich der Stadt Megalopolis und in der Region Mani tobten große Brände. „70 Prozent unsere Region sind zerstört“, sagte die Vizebürgermeisterin des Ortes Ost Mani, Eleni Drakoulakou, „wir erleben eine biblische Katastrophe“. Touristenorte oder Ferieninseln sind von den Bränden in Griechenland bisher nicht direkt betroffen, wohl aber Ferienhäuser, etwa auf der Halbinsel Peloponnes.

Macron zeigt Solidarität, Berlin zögert

Inzwischen ist die internationale Hilfe angelaufen. Rumänien schickte am Wochenende 112 Feuerwehrleute und 23 Löschfahrzeuge nach Griechenland. Sie sollen die griechischen Kollegen entlasten, die nach einer Woche Dauereinsatz am Ende ihrer Kräfte sind. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron twitterte: „Frankreich steht zu Griechenland“. In einem Telefonat mit dem griechischen Premier Mitsotakis kündigte Macron die Entsendung von drei Löschflugzeugen und 80 Rettungskräften an. Aus der Schweiz kamen drei Hubschrauber. Auch Zypern, Israel, Schweden und Ägypten schickten Hilfe. Mehr als ein Dutzend Länder helfen den Griechen, darunter Großbritannien, Katar, Kuwait und die Ukraine. Mehr zum Thema Waldbrände: Türkei kämpft gegen Brände: Augenzeugen sprechen von "Hölle"

Deutschland zögerte lange, obwohl Griechenland die Bundesregierung um Hilfe gebeten hatte. Politische Kommentatoren in Athen sahen darin ein weiteres Indiz für den schlechten Zustand der deutsch-griechischen Beziehungen. Viele Griechen fühlen sich nicht nur bei den Gebietsansprüchen der benachbarten Türkei von der Bundesregierung Berlin im Stich gelassen, sondern jetzt auch im verzweifelten Kampf gegen das Feuer. Erst nachdem die Oppositionsparteien FDP und Grüne im Bundestag kritisierten, dass Deutschland, im Gegensatz zu zahlreichen anderen Ländern, bisher keine Hilfe geschickt hat, kündigte das Bundesinnenministerium am Samstag die Entsendung von Feuerwehrkräften und Helfern des Technischen Hilfswerks an.

Extremes Wetter: Forscher machen düstere Prognosen

Fachleute sehen in der Hitzeglocke, die seit Wochen über dem östlichen Mittelmeer liegt, und den Bränden ein weiteres Indiz dafür, dass sich der Klimawandel beschleunigt. Der griechische Geowissenschaftler Costas Synolakis meint, die Hitzewellen und Feuerstürme in den Mittelmeerländern, wie auch der Dauerregen und die Flutkatastrophen in Mitteleuropa, seien Ergebnis der globalen Erwärmung. „Unser Klima kippt“, sagt Synolakis. Lesen Sie dazu: Klimawandel: So dramatisch ändert sich das Wetter in Ihrer Stadt

Der Forscher zeigt sich aber überrascht, dass diese Phänomene schon jetzt so massiv auftreten. Eigentlich habe man nach den bisherigen Klimamodellen damit erst nach 2040 gerechnet. Es werde künftig häufiger solche extremen Wetterphänomene geben, warnt Synolakis, der als Professor an der University of Southern California über Naturkatastrophen lehrt. „Sicher ist: Extrem bedeutet nicht, was wir uns bisher darunter vorgestellt haben – extrem ist extremer als wir dachten.