Berlin. Warum lässt sich die Delta-Variante nicht aufhalten? Ciesek in einer Sondersendung des NDR-Podcasts “Coronavirus-Update“ zur Lage.

So schnell die Corona-Inzidenz in den letzten Wochen gesunken war, so schnell steigen die weltweiten Fallzahlen nun wieder. Die anbrechende vierte Welle in Deutschland führen Experten auf die ansteckendere Delta-Variante zurück, die offenbar häufig aus dem Ausland mitgeschleppt wird.

Die Lage wird immer kritischer - weshalb Virologin Sandra Ciesek selbst in der Sommerpause des NDR-Podcasts "Coronavirus-Update" die aktuellen Entwicklungen bewertet. "Die Zahlen sind insgesamt noch niedrig, trotzdem sieht man, dass es einen Anstieg gibt und ich hoffe, dass wir vermeiden können, dass wir durch Urlaubsreisen immer mehr eintragen." Cieseks Befürchtung sei, dass die Situation in vielen deutschen Städten wieder außer Kontrolle gerät.

Delta-Variante: Ciesek über Risiken der Mutation

Warum sind aktuelle Maßnahmen nicht genug, um die Delta-Variante aufzuhalten? Ciesek sagt: "Das liegt einfach daran, dass Delta deutlich infektiöser ist als die Vorgänger der Virusvarianten oder des Virus und dadurch überträgt es sich leichter auf Kontaktpersonen."

Schaue man sich die Haushaltskontaktpersonen an, seien aktuell viel mehr infiziert als es vorher der Fall war. "Umso mehr Infektionen Sie haben, umso mehr Ketten haben Sie natürlich auch an Infektionen", fasst Ciesek zusammen. In anderen Ländern habe man bereits beobachten können, dass die Fallzahlen schnell steigen, sobald sich Delta als dominierende Variante durchsetzt.

Als Beleg für die Infektiösität der Variante führt Ciesek eine Veröffentlichung aus China auf. In der Studie wurden 167 Infektionen untersucht. Dabei wurden im Vergleich zu dem ursprünglichen Virus 1000-fach höhere Viruslasten gefunden. Eine derartige Viruslast sei gerade in der präsymptomatischen Phase gefährlich. In Zeiten von Delta empfiehlt Ciesek entsprechend, ohne Verzögerung in Quarantäne zu gehen.

Auch empfiehlt Ciesek, bei einem Infektionsverdacht auf PCR-Tests zu setzen - vor allem bei Geimpften und Genesenen. Schließlich ist die Viruslast selbst bei infizierten Geimpften oft so gering, dass ein Antigen-Schnelltests eine Infektion nicht erkennen kann. Die Impfdurchbrüche bei Immunisierten bewertet Ciesek allerdings als kein großes Risiko, schließlich gebe nichts in der Medizin eine Sicherheit von 100 Prozent.

Ciesek bewertet den Anstieg der Inzidenzen

In Anbetracht der steigenden Fallzahlen betont Ciesek im "Coronavirus-Update" einen Aspekt, der vor Monaten stark diskutiert wurde: den geringen Einfluss der Saison auf die Pandemie. Die wärmeren Temperaturen alleine seien eben keine Garantie für ein Abklingen der Lage - die Maßnahmen, darunter Abstandsregeln, müssten weiterhin eingehalten werden. Als Extrembeispiel führt Ciesek die Lage in den Niederlanden auf, wo ohnehin kaum Masken getragen wurden. Schon kurze Zeit nach Öffnung der Clubs stieg die Inzidenz auf rund 400, was die Virologin unter anderem auf den engen Körperkontakt zurückführt.

Die aktuelle Impfkampagne alleine sei nicht genug, um die Negativ-Entwicklung zu bremsen - "dafür reicht es noch nicht". Schließlich seien vor allem junge Erwachsene, die in der Regel deutlich mehr Kontaktpersonen haben als Ältere, oft noch nicht oder nicht vollständig geimpft.

Ciesek über Kinder-Impfungen und Testpflicht

Dennoch empfiehlt Ciesek, jungen Erwachsenen selbst zu überlassen, ob sie sich impfen lassen möchten oder nicht. Eltern oder Verwandte sollten sie allerdings über die Vor- und Nachteile der Immunisierung informieren.

Andere viel diskutierte Präventionsmaßnahmen sind die neu durchgesetzte Testpflicht sowie eine Quarantänepflicht. Während Ciesek die Testpflicht begrüßt, sei eine allgemeingültige Quarantänepflicht nach Reisen nicht gesetzlich realisierbar - vor allem auch, weil auch das öffentliche Leben nicht mehr funktionieren würden, wenn beispielsweise alle Lehrer nach den Sommerferien in Quarantäne wären.

Als Parameter zur Bewertung der Corona-Lage seien aktuelle Quarantäne-Zahlen dagegen hilfreich. So auch die Auslastung der Krankenhäuser. Der Inzidenzwert sei und bleibe zwar der "Frühwarner" - allerdings sei der Wert alleine nicht ausreichend, um die Lage einzuschätzen.