Berlin. Das Guillain-Barré-Syndrom könnte eine seltene Nebenwirkung bei Vektorimpfstoffen sein. Was man über die Nervenkrankheit wissen muss.

Die Folgen sind Lähmungen. Sie beginnen meist beidseitig in den Beinen, dann geht es weiter bei Armen und Gesicht. Bei einigen Patientinnen und Patienten kann sogar die Atemmuskulatur betroffen sein, sodass sie beatmet werden müssen.

Das Guillain-Barré-Syndrom, kurz GBS, ist eine schwere neurologische Krankheit. Sie kann in sehr seltenen Fällen Folge einer Covid-19-Infektion sein, wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mitteilt.

Corona-Impfung: Neuer Warnhinweis bei Johnson & Johnson

In sehr seltenen Fällen kann sie aber womöglich auch Folge einer Corona-Schutzimpfung sein, wie die US-Arzneimittelbehörde FDA jetzt bekanntgab. Das Vakzin von Hersteller Johnson & Johnson, ein sogenannter Vektorimpfstoff, wurde deshalb mit einen neuen Warnhinweis versehen.

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP gibt es derzeit etwa 100 Verdachtsfälle. 95 Menschen seien ins Krankenhaus eingeliefert worden, ein Mensch starb. Die FDA berichtete, dass bei den meisten Patientinnen und Patienten etwa 42 Tage nach der Impfung Symptome aufgetreten seien.

Die Arzneimittelbehörde rief dazu auf, umgehend einen Arzt aufzusuchen, wenn nach der Impfung Gangschwierigkeiten und Probleme beim Sprechen, Kauen oder Sehen auftreten.

Auch bei Astrazeneca Hinweise auf Erkrankungen mit dem Guillain-Barré-Syndrom

Auch im Zusammenhang mit der Verimpfung des Vektorvakzins des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca gibt es nach Angaben der DGN Hinweise auf Erkrankungen mit GBS. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA habe bis einschließlich Ende Mai bei bis dato etwa 40 Millionen verimpften Dosen 156 Fälle eines GBS im zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des Vakzins von Astrazeneca gezählt, teit die DGN mit. Lesen Sie auch: Wirksamkeit der Impfung: Tests zu Immunschutz umstritten

Die von den Behörden erhobenen Zahlen stellten aber keine besorgniserregende Erhöhung der GBS-Rate dar, sagt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. „Derzeit gibt es auch noch keinen Beleg für einen kausalen Zusammenhang.“

Zwischen 1300 und 1570 GBS-Fälle jährlich in Deutschland

Die Inzidenz des GBS in Deutschland beträgt laut DGN 1,6 bis 1,9 pro 100.000 Einwohner. Bei 83,13 Millionen Einwohnern treten in Deutschland jährlich zwischen 1300 und 1570 GBS-Fälle auf. In einem Editorial hatte die DGN berechnet, dass bei einer Impfquote von 50 Prozent im 2. und 3. Quartal rein statistisch in dieser Population zwischen 325 und 392 GBS-Fälle zu erwarten gewesen wären.

„Im Moment sind in Deutschland erst 43 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft und damit müssten auch die erwartbaren Fälle etwa 10 Prozent niedriger liegen, also zwischen 290 und 350“, so Berlit. Das mache deutlich: Die von der EMA erhobene Zahl stelle keine besorgniserregende Erhöhung der GBS-Rate dar.

Infektionen sind oft Ursache von des GBS

Dreiviertel aller GBS-Fälle treten nach Angaben der DGN in Folge von Infektionen auf. Sei es durch eine Darmentzündung mit dem Bakterium Campylobacter jejuni oder eine Infektion der oberen Atemwege mit dem Zytomegalie-Virus oder anderen Viren. Mehr zum Thema Impfung: Corona-Impfung: Sind Vakzine in der Muttermilch nachweisbar?

Durch eine überschießende Autoimmunreaktion wird die sogenannte Myelinschicht der peripheren Nerven geschädigt, sodass die Nervenfasern keine Reize mehr übertragen können.

Therapie bei GBS: Antikörper oder Blutwäsche

„Nachweisbar sind beim GBS oft Autoantikörper gegen Baubestandteile der Nervenmembranen im Blut. Folgen sind Lähmungen“, teilt die DGN mit. Diese sind in den meisten Fällen, aber nicht in allen, vorübergehend.

Zur Therapie erhalten Betroffene entweder Antikörper, hochdosiert und intravenös, oder eine Blutwäsche, bei der die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden. „Oft dauert es viele Wochen, bis sich die Symptome zurückbilden“, so die DGN. Auch interessant: Dritte Corona-Impfung: Wer bald einen Booster braucht

Das abschließende Fazit von Peter Berlit lautet: Die Fälle des impfassoziierten GBS müssten mit denen bei Covid-19-Infektion gegenübergestellt werden. „Aus heutigem Kenntnisstand ist das GBS-Risiko durch die Impfung gegen Sars-CoV-2 insgesamt als sehr gering einzustufen - und wir haben zum Glück eine wirksame Therapie dieses Krankheitsbildes zur Verfügung.“