Essen. Jendrik Sigwart vertritt Deutschland beim ESC in Rotterdam. Im Interview spricht er über Anfeindungen aufgrund seiner Homosexualität.

  • Ab diesem Dienstag startet der Eurovision Song Contest in Rotterdam
  • Jendrik Sigwart ist die deutsche ESC-Hoffnung
  • Im Interview spricht er über seine Teilnahme und warum er gegen Homophobie kämpft

Vor einem knappen Jahr war Jendrik Sigwart nur ein aufstrebender junger Musicaldarsteller, dessen Karrierepläne von Corona ausgebremst wurden. Doch spätestens jetzt sollte der 26-Jährige der deutschen Öffentlichkeit ein Begriff sein.

Denn beim diesjährigen Eurovision Song Contest, der vom 18. bis 22. Mai in Rotterdam stattfindet, vertritt der gebürtige Hamburger mit seinem Song „I Don’t Feel Hate“ die Landesfarben. Und dabei lässt er sich von den Menschen, die mit seiner Botschaft nichts anfangen können, nicht beeindrucken.

„I Don’t Feel Hate“ ist ja eine sehr eindeutige Botschaft. Wie kam die zustande?

Jendrik Sigwart: Inspiriert war das von einer Person, die mich während eines Jobs von oben herab behandelt hat – und gleichzeitig von meiner spontanen Reaktion darauf, als ich dachte: ‚Was bringt es, mich aufzuregen. Chill lieber‘. Ich habe häufig die Erfahrung gemacht, wenn sich jemand scheiße zu mir verhält, sollte ich nicht das Gleiche tun.

Ich habe realisiert: Wenn man mit einer Person zu reden versucht und ihr erklärt ‚Hey, du verletzt mich‘, dann funktioniert das. Genau dadurch habe ich die Einstellung entwickelt: Ich fühle keinen Hass.

Aber funktioniert das immer?

Das kann ich nicht sagen. Einmal habe ich mit einem Homophoben diskutiert. Wir haben uns darüber unterhalten, dass er mich scheiße findet. Meine Freunde fragten mich schon, was ich denn da für einen Unsinn mache. Irgendwann bin ich weiter gezogen in der Hoffnung, dass er darüber nachdenkt und seinen Stolz herunterschluckt, weil ich zu jedem seiner Argumente ein Gegenargument hatte.

Jendrik Sigwart freut sich auf den ESC – auch wenn der junge Musiker immer wieder Anfeindungen ertragen muss.
Jendrik Sigwart freut sich auf den ESC – auch wenn der junge Musiker immer wieder Anfeindungen ertragen muss. © pa | Christian Charisius

Und es passiert Ihnen nie, dass Sie mal jemand wütend macht?

Natürlich passiert das. Es wäre utopisch zu sagen, ich fühle nie Hass. Deshalb habe ich diesen Song als Reminder an mich geschrieben. Ich versuche an meine eigene Botschaft zu denken, aber ich bin noch im Training.

Und wann haben Sie zum letzten Mal jemand etwas Gutes getan?

Ich war unlängst in Stuttgart, da habe ich an einem Tag zehn Euro ausgegeben, weil ich Bettlern immer wieder Geld gegeben habe. Aber das würde ich nicht unbedingt als gute Tat bezeichnen. Das ist für mich Standard. Wichtig ist es, dass ich für meine Freunde da bin und mit ihnen spreche, wenn sie mich brauchen.

Sie sind auch auf einem Konzert für Flüchtlinge aufgetreten. Wie kam das zustande?

Eine gute Freundin von mir setzt sich für solche Projekte ein, und die unterstütze ich. In meinem Musikvideo findet sich häufiger der Satz „Refugees are welcome“ oder „Kein Mensch ist illegal“. Ich spende auch monatlich an Seawatch, weil wir verhindern müssen, dass Flüchtende auf dem Meer umkommen. Die dürfen wir nicht ignorieren.

Wer seine positive Botschaft so offen vermittelt, wird aber oft über soziale Medien angefeindet. Wie oft passiert Ihnen das?

Ständig. Ich lese Ihnen mal eine Mail vor, die ich vor kurzem bekommen habe: ,Junge, tu’ dir den Gefallen und bleib’ zuhause. Bleib’ ruhig in Hamburg mit deiner linken Gesinnung und... Orientierung. Aber fahre da nicht nach Holland. Dieses Land wurde schon so oft lächerlich gemacht. Davon abgesehen ist dieses Lied einfach scheiße und du bist weit davon entfernt, Deutschland zu repräsentieren.‘

Wenn Sie so etwas bekommen, gibt Ihnen das einen Stich?

Eigentlich ist das mir egal. Aber wenn dieser Typ schreibt ,mit deiner... Orientierung‘, dann ist das offenbar eine Anspielung darauf, dass ich schwul bin. Und ich finde es schade, wenn Sexualität nicht so akzeptiert wird, wie sie akzeptiert werden sollte. Auf diesen Punkt würde ich gerne antworten, aber dafür fehlt mir die Zeit. Auch interessant:„Free ESC“: Ein Altmeister gewinnt Stefan Raabs Show

Vermutlich wäre es auch vergebliche Liebesmüh.

Vielleicht nicht. Sexualität ist nicht schwarz-weiß, es gibt nicht nur schwul und heterosexuell. Das ist ein breiter Fächer. Es gibt viele Heteromänner, die sich zu Männern hingezogen fühlen, aber durch die Gesellschaft gelernt haben, dass das falsch ist. An meiner Schule war ein Austauschstudent, der Schwulsein als unnatürlich empfunden hat. Auch in Diskussionen hat er seine Meinung nicht geändert. Und zwei Jahre später hat sich herausgestellt, dass er selbst schwul ist.

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