Berlin. Indien hat sich zum Epizentrum der Pandemie entwickelt. Über 40 Länder helfen. Die Luftwaffe fliegt Beatmungsgeräte nach Neu-Delhi.

  • Indien hat sich zum Epizentrum der Corona-Pandemie entwickelt
  • Täglich bricht das Land traurige Rekorde der Corona-Zahlen
  • Die schreckliche Lage ist nicht nur auf die Corona-Variante B.1.617 zurückzuführen
  • Weltweit haben mehr als 40 Länder - darunter Deutschland - Hilfe zugesagt

Es ist ein Video, das um die Welt geht – und das absolute Corona-Desaster in Indien illustriert. Eine tote Frau sitzt auf dem Motorrad, eingeklemmt zwischen ihrem fahrenden Schwiegersohn und ihrem hinten sitzenden Sohn. Dieser hält seine verstorbene Mutter am Oberschenkel fest, damit sie nicht herunterfällt.

Die Szene ereignet sich in der Stadt Kasibugga im Bundesstaat Andrah Pradesh im Südosten Indiens. Ein Polizist hält das Motorrad an. Es kommt zu einem kurzen Wortwechsel mit Sohn und Schwiegersohn, während Mopeds, Fahrräder und Tuk-Tuks passieren. Dann fährt das Motorrad mit der toten Frau wieder los.

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Keine Ambulanz: Leiche musste auf einem Motorrad transportiert werden

Das Video mit der rund 50-Jährigen wurde vom US-Epidemiologen Eric Feigl-Ding auf Twitter gepostet. Bis Sonntag wurde es mehr als zwei Millionen Mal angeklickt. Die Frau habe unter einer Unterversorgung an Sauerstoff gelitten. „Wegen der nicht verfügbaren Ambulanz musste die Leiche auf einem Motorrad zu ihrem Dorf transportiert werden“, schreibt Feigl-Ding.

Und die Corona-Krise in Indien verschärft sich weiter. Die Behörden meldeten am Sonntag (2.5.) mit knapp 3700 Toten binnen eines Tages so viele Corona-Opfer wie noch nie. Als weltweit erstes Land registrierte Indien am Samstag und am Sonntag je über 400.000 Neuinfektionen an einem Tag. Mehr als ein Drittel aller Neuansteckungen weltweit entfallen mittlerweile auf Indien.

Mehr als 211.000 Corona-Tote in Indien

Krankenhäuser und Krematorien in dem südasiatischen Land mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern sind seit Tagen überfüllt. Zum Teil verbrennen die Familien ihre toten Angehörigen auf dem Feld. In zahlreichen Hospitälern sind Betten, medizinischer Sauerstoff und Medikamente knapp.

Seit Beginn der Pandemie haben sich in Indien rund 19,5 Millionen Menschen angesteckt, 215.542 sind gestorben. Experten gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus.

Mehr als 211.000 Menschen sind in Indien in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben.
Mehr als 211.000 Menschen sind in Indien in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben. © AFP | TAUSEEF MUSTAFA

Corona in Indien: „herzzerreißende Szenen“

Der deutsche Botschafter in Indien, Walter Lindner, sprach von „herzzerreißenden Szenen“ in dem Land. „Die Leute ersticken zum Teil in den Autos, weil sie vom einen Krankenhaus zum nächsten fahren“, sagte Lindner dem ZDF. Laufend würden Hilfeaufrufe in den sozialen Medien verbreitet – mit der Hoffnung auf ein Krankenhausbett oder Sauerstoff. „Und am nächsten Tag heißt es dann oft: Leider gestorben, niemand hat uns geholfen.“

Nach einem Plan der Regierung sollten sich von diesem Samstag an alle Erwachsenen über 18 impfen lassen können. Mehrere Bundesstaaten berichteten aber, dass ihnen die Impfdosen schon ausgegangen seien. Bislang erhielten nur rund 11 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Dosis.

Es rächt sich nun, dass die Pharmazie-Großmacht Indien, die als „Apotheke der Welt“ gilt, das eigene Land vernachlässigt hat. Als die Infektionsrate vor wenigen Monaten noch relativ niedrig war, wurden mehr als 60 Millionen Impfdosen exportiert. Die Regierung hat den Ausfuhren mittlerweile einen Riegel vorgeschoben. Doch der Chef des Serum Institute of India, des weltweit größten Herstellers von Vakzinen, gerät immer mehr unter Druck. Ständig werde er von Politikern und Unternehmern bedrängt, mehr zu liefern, sagte Adar Poonawalla der Londoner „Times“. Sein Institut produziert Astrazeneca.

Corona-Virusvariante B.1.617 wütet in Indien

Der dramatische Anstieg der Infektionszahlen in Indien ist vermutlich auch auf die neue Virusvariante B.1.617 zurückzuführen. Doch auch Massenveranstaltungen trugen dazu bei. So fand Mitte April das weltweit größte Hindu-Fest Kumbh Mela statt. Mehr als 30 Millionen Gläubige kamen, um ein spirituelles Reinigungsbad im Ganges zu nehmen. Maskenpflicht und Hygiene-Abstand: Fehlanzeige. Zudem wurden Wahlkampftreffen mit vielen Tausend Teilnehmern organisiert. Experten hatten vor den Superspreader-Events gewarnt.

Eine Maschine der Luftwaffe bringt Hilfe nach Indien.
Eine Maschine der Luftwaffe bringt Hilfe nach Indien. © dpa | Oliver Berg

Weltweit haben mehr als 40 Länder Hilfe zugesagt. Eine Maschine der Luftwaffe brachte am Samstag 120 Beatmungsgeräte in die Hauptstadt Neu-Delhi. „An Bord ist auch Sanitätsfachpersonal, das den Betrieb einer Anlage zur Herstellung von Sauerstoff vorbereiten soll“, sagte ein Sprecher. Dieses Team umfasse 13 Mitarbeiter. Sie sollen Personal des örtlichen Roten Kreuzes einweisen und dazu 14 Tage im Land bleiben. „Die Welt ist nicht sicher, bis wir alle sicher sind“, sagte Frankreichs Botschafter in Neu-Delhi, Emmanuel Lenain.

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