Berlin. Friedrich Merz polarisiert wieder. Diesmal geht es ums Gendern, um „Kinderinnen“ und „Grüninnen“. Findet unser Teenie nicht lustig.

Die Teenie-Tochter weiß jetzt, wer Friedrich Merz ist. Sie hat ihn auf Instagram kennengelernt. Dort ist er zwar nicht aktiv, aber seine Tweets werden dort geteilt, mit denen er sich über gendergerechte Sprache lustig macht. „Der sagt, Kinder müssten jetzt Kinder und Kinderinnen heißen“, sagt die Tochter.

Ich kenne die Tweets vom Twitter-Original und habe sie zunächst ignoriert. Ist halt Friedrich Merz, beschwichtige ich. Der will nur polarisieren. „Aber das ist doch falsch“, beharrt die Tochter. „Es ist ja das Kind und nicht der Kind“. Das sei doch schon geschlechtsneutral. „Du bist meine Kindin“, sage ich.

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„Kinder und Kinderinnen“ – soll das lustig sein?

Birgitta Stauber schreibt über das Gendern.
Birgitta Stauber schreibt über das Gendern. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und nun haben wir viel Spaß an diesem Nachmittag, als wir auf dem Balkon die Frühlingssonne genießen und sächliche Begriffe gendern. „Mitglieder:innen“, sage ich. „Tier:innen“, sagt die Kindin. Es ist wenig wie das Teekesselchen-Spiel. Die Kindin überdreht: „Mütter:innen“. Daraufhin können wir uns eine ganze Weile nicht beruhigen.

Ich unterstell mal Friedrich Merz, er hat ein wenig Ahnung von Grammatik und hat seine Begriffe, mit denen er sich auf Twitter über das Gendern lustig macht, mit ebenso viel Spaß gesucht wie meine Kindin und ich. Immerhin ist er auf Hähnch*innnen-Filet gekommen. Und er macht sich über seine Lieblingsfeindinnen und -feinde lustig, die „Grünen und Grüninnen“.

Ich unterstell mal, es war pure Absicht, ohnehin geschlechtsneutrale Begriffe noch mal zu gendern und daraus einen Witz zu machen. Die Kindin – und jetzt schreibe ich diese blödsinnige Verballhornung zum letzten Mal – findet das nicht witzig, sondern nur blöd. Denn die Tochter findet gendern wichtig. „Sonst denken ja alle, es dreht sich nur um Männer“.

Angela Merkels Dolchstoß blutet noch immer

Genau diese Männerwelt ist es, die für Friedrich Merz schon vor langer Zeit aus den Fugen geriet. 2002 war es, als ihn Angela Merkel als Fraktionschef abservierte und ihm die Chance auf eine Kanzlerkandidatur nahm. 2005 dann kam Merkel an die Macht – und sie ist es bis heute.

Ja, kann sein, dass Merz darunter nach wie vor leidet. „Kanzlerin…tut immer noch weh, was?“, erinnerte eine Twitter-Userin an die wohl immer noch blutende Wunde.

Aber Merkel ist ja auch bald Geschichte und dann soll endlich ein Pflaster drauf, denn nun, glaubt Merz, kann er mit Gleichgesinnten diesen ganzen Quatsch wie gendern, Frauenquote, Gleichberechtigung von Homo- und Transsexuellen und was sonst noch dem Mainstream einfällt, zurückdrehen.

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Annalena Baerbock? Würde alles noch schlimmer machen

Sein erster Schritt: Er wettert gegen Annalena Baerbock, die grüne Spitzenkandidatin, die durchaus Chancen hat, Angela Merkel abzulösen. Das würde aus seiner Sicht ja alles noch schlimmer machen. Die, sagt er nun, könne es nicht, weil es nicht reiche, Völkerrechtlerin zu sein, um auf dem internationalen Politik-Parkett maßgeblich mitzumachen.

Ihre mangelnde Regierungserfahrung ist nicht sein Thema (genaugenommen hat er auch keine, doch das hätte ihn nicht von einer Kanzler:innen-Kandidatur abgehalten – womöglich wäre es ihm auch gar nicht vorgehalten worden, dem alten Politik-Haudegen).

Schritt Nummer zwei: Er denkt, er trifft die Seele einer konservativen Klientel (die im Übrigen aus Frust über den Ausgang des Söder-Laschet-Machtkampfs scharenweise die CDU verlässt), indem er über eine gendergerechte Sprache herzieht, die tatsächlich gerade dabei ist, tief in die Gesellschaft einzudringen.

Für Schulen, Universitäten, Medien ist sie längst selbstverständlich, und das stört einen wie ihn. Ist nicht sein Kompass. Wäre er an der Macht, er würde es verbieten, sagt er.

Erst kommt die Sprache, dann kommen die Regeln

Sprache, lieber Friedrich Merz, kann man(n) nicht verbieten, Sprache kann man nur beschreiben. Ändert sich die Sprache, ändern sich die Regeln. So kann ein Genitiv zum Dativ werden, ein Anglizismus ins Wörterbuch gelangen – und ein Doppelpunkt, ein Stern oder ein „Innen“ kennzeichnen, dass Frauen und Männer und die sogenannten LGBT-Leute gemeint sind.

Letzteres funktioniert natürlich nur, wenn die Gesellschaft das mitmacht, sozusagen dafür reif ist.

Neulich habe ich Kommafehler in der juristischen Hausarbeit des Studentensohns korrigiert. Und abends dem digitalen Vortrag der Pharmazie-Tochter gelauscht. Zuallererst war ich stolz, was die Kinder so alles herausfinden. Und dann fiel mir die Sprache auf.

Mein geistiges Auge ist plötzlich auf divers gerichtet

Dieses dezente und manchmal auch offensichtliche Gendern. Vor meinem geistigen Auge sah ich plötzlich nicht mehr immer nur Männer, ob es um einen Wirtschafts-Kriminalfall geht oder die Entwicklung von Impfstoffen. Den Kindern fällt das gar nicht mehr auf. „Ist doch völlig normal“.

Ein Friedrich Merz kommt da nicht mehr mit. Muss er ja auch nicht.

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