München. Er galt als einer der ganz Großen im deutschen Filmgeschäft - jetzt wird er womöglich vor Gericht gestellt: Die Staatsanwaltschaft München I hat Dieter Wedel wegen Vergewaltigung angeklagt.

Dieter Wedel war ein Gigant in der deutschen Film- und Fernsehbranche. In den 1990er Jahren ging kaum etwas ohne ihn.

Er hat Kultfilme geschaffen wie die Mehrteiler "Der Schattenmann" oder "Der große Bellheim". Doch seit einiger Zeit überschattet ein echter Kriminalfall das Lebenswerk des inzwischen 81 Jahre alten Regisseurs.

Das neueste Kapitel darin: Die Staatsanwaltschaft München I hat nach drei Jahren Ermittlungszeit Anklage gegen ihn erhoben wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, wie die Behörde am Freitag mitteilt. Wenn das Landgericht München I die Anklage zulässt, wird der berühmte Filmemacher, der die Vorwürfe entschieden bestritten hat, vor Gericht gestellt.

Laut Anklage soll er "zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen Juni und Oktober 1996, vermutlich Ende Oktober 1996" die damals 27 Jahre alte Schauspielerin Jany Tempel in einem Münchner Luxushotel vergewaltigt haben.

Sie soll sich dort zu einem Vorstellungsgespräch mit Wedel getroffen und mit ihm gemeinsam eine erotische Szene gelesen haben. Dabei soll Wedel, so die Staatsanwaltschaft, "den Entschluss gefasst haben, Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten zu vollziehen und dabei etwaigen Widerstand gegebenenfalls mit Gewalt zu überwinden". Nach einer körperlichen Auseinandersetzung soll er sie dann vergewaltigt haben.

Die 20-seitige Anklage führt nach Angaben der Staatsanwaltschaft mehr als 20 Zeugen, eine Gutachterin sowie Kalendereinträge als Beweismittel an. Auch Wedel selbst soll sich demnach 2019 zu den Vorwürfen geäußert haben. Wie genau, das ließ die Staatsanwaltschaft offen. Öffentlich hat Wedel die Vorwürfe bestritten und dazu sogar eine eidesstattliche Erklärung abgegeben. Ende August 2018 sagte er der "Bild"-Zeitung: "Inzwischen bin ich froh, dass es diese Ermittlungen gibt. Ich vertraue auf die Staatsanwaltschaft." Für Wedel gilt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Strafverfahren die Unschuldsvermutung.

Das mutmaßliche Opfer Tempel will sich nach Angaben seines Anwalts Alexander Stevens zunächst nicht zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft äußern. Stevens selbst twittert: "Das war heute ein richtiger und wichtiger Schritt für alle echten Opfer sexueller Gewalt."

Auch Wedels Anwältin Dörthe Korn meldet sich zu Wort - mit scharfer Kritik: "Das Ermittlungsverfahren, das von einer fast beispiellosen öffentlichen Vorverurteilung eingeleitet und begleitet wurde, dauert seit mehr als drei Jahren an, ohne dass sich in dieser Zeit durchgreifende neue Gesichtspunkte zur Belastung unseres 81-jährigen Mandanten ergeben haben", sagt die Rechtsanwältin aus der Kanzlei von Peter Gauweiler am Freitag laut Mitteilung.

Das Geschehen liege fast 25 Jahre zurück, betont sie. "Der Tatvorwurf beruht letztlich allein auf der Behauptung der Nebenklägerin, die diese gegenüber einem Presseorgan unter dem Vorbehalt machte, dass die angebliche Tat verjährt sei und die Wahrheit ihrer Beschuldigung nicht mehr in einem Gerichtsverfahren überprüft werden dürfe."

Die Wedel vorgeworfene Tat ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft wegen einer Änderung des Strafgesetzbuches aus dem Jahr 2015 noch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist bei Sexualstraftaten beträgt laut Staatsanwaltschafts-Sprecherin Anne Leiding in der Regel 20 Jahre. Somit wäre die mutmaßliche Tat erst im Jahr 2019 verjährt gewesen - ein Jahr nach Aufnahme der Ermittlungen. "Durch die Aufnahme der Ermittlungen im Jahr 2018 wurde die Verjährung unterbrochen", sagt Leiding.

Wedel ist der wohl bekannteste deutsche Kulturschaffende, der in der sogenannten #MeToo-Debatte beschuldigt wurde, sich an Frauen vergriffen zu haben. Der Fall kam Anfang 2018 ins Rollen. Damals beschuldigten drei Schauspielerinnen Wedel im "Zeit-Magazin", sie in den 1990er Jahren sexuell bedrängt zu haben. Die #MeToo-Debatte war 2017 ins Rollen gekommen. Vor allem Frauen posteten in sozialen Netzwerken millionenfach ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Nach Bekanntwerden trat Wedel im Januar als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele zurück.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatten sich lange hingezogen - nach Angaben der Behörde vor allem auch, weil Zeugen im Ausland vernommen werden mussten. "Die erhebliche Dauer der Ermittlungen liegt vor allem darin, dass der Sachverhalt bereits lange zurückliegt", begründet die Behörde die Verfahrensdauer am Freitag.

Erst Ende Januar hatte die Generalstaatsanwaltschaft München eine Fachaufsichtsbeschwerde von Tempels Anwalt Stevens über die lange Ermittlungsdauer gegen die Staatsanwaltschaft München I abgewiesen.

"Meine Mandantin hält das inzwischen für eine Farce", sagte Stevens damals. "Der Fall Weinstein in den USA war viel komplexer. Und der ist längst abgeschlossen." Vorwürfe gegen den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen sexueller Übergriffe und Machtmissbrauchs hatten die weltweite MeToo-Bewegung ausgelöst.

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