Berlin. Einfach einen Radweg ausschildern: Das Konzept klingt unkompliziert, aber ist es auch sinnvoll? Die Meinungen darüber gehen auseinander.

Man nehme gelbe Linien, Baustellenschilder und eine Fahrspur - fertig ist der Pop-up-Radweg. Radfahrer sind derzeit in Städten wie Berlin oder München oft auf solchen temporären Spuren unterwegs.

Zumeist sind sie eine Reaktion auf die Corona-Krise, weil Menschen seltener Bus und Bahn nutzen. Viele Kommunen dürften nun im Frühling noch einmal nachlegen. Aber: Das Konzept ist umstritten. Was für die einen ein sinnvoller Bestandteil einer Mobilitätswende ist, erscheint Kritikern als eine unkontrollierte Hau-Ruck-Aktion.

Wie der Name verrät, ploppen Pop-up-Radwege buchstäblich auf Straßen auf. Sie sind nur temporär geplant und kommen ohne umfassende Baumaßnahmen aus. Die rechte Autospur oder der Parkstreifen wird einfach mit gelber Farbe oder Baustellenbaken markiert - das war's.

Die niedrigen Kosten sprechen für das Konzept: Planung, Umsetzung und Instandhaltung der Radwege kosteten laut dem Berliner Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg bis 2021 etwa 20.000 Euro pro Kilometer. Normalerweise würden allein für die Planung 40.000 Euro fällig, die Realisierung liege im sechsstelligen Bereich pro Kilometer.

Fahrradfahrer hoffen derweil aber auf bleibende Lösungen. "Nach der Testphase wird so ein Pop-up-Radweg idealerweise in eine dauerhafte Form gebracht, also in einen ordentlichen geschützten Radfahrstreifen (...)", sagt die Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Stephanie Krone. Linken-Bundestagspolitiker Andreas Wagner meint: "Pop-up-Radwege, die sich bewährt haben (...), beschleunigen durch ihre schnelle Realisierbarkeit die Mobilitätswende."

Wie viele Kilometer Pop-up-Radwege es deutschlandweit gibt, weiß das Bundesverkehrsministerium nicht. Laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sind es im Vergleich zu vielen anderen Ländern wenige. Der Grund: Viele Kommunen äußerten juristische Bedenken bei der Umsetzung der Radwege, erklärt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Ein Rechtsstreit in Berlin hat zur Unsicherheit beigetragen. Dort waren 2020 viele Wege entstanden, die für mehr Sicherheit und Abstand zwischen Rad- und Autofahrern sorgen sollten. Ein AfD-Abgeordneter klagte jedoch dagegen und bekam vom Verwaltungsgericht Recht. Das Oberverwaltungsgericht setzte das Urteil wieder außer Kraft. Ende Februar wurde das Verfahren eingestellt. Die Radwege bleiben vorerst.

Die aktuelle Straßenverkehrsordnung (StVO) macht es den Befürwortern der Pop-up-Radwege ebenfalls nicht leicht. Die Anordnung von Schutzstreifen für den Radverkehr ist laut Bundesverkehrsministerium sogar unter erleichterten Voraussetzungen möglich - aber: Nachweise für eine Notwendigkeit sind dennoch nötig. "Bisher gilt ein Radweg als Verkehrshindernis, dessen Einrichtung man aufwendig durch Gefahrensituationen begründen muss", sagt ADFC-Sprecherin Krone. Dieser Begründungszwang müsse weg. "Radwege sind kein Verkehrshindernis, sondern Verkehrsermöglicher."

Immerhin bleibt den Behörden bei der Begründung ein Spielraum, erläutert die Sprecherin des Berliner Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, Sara Lühmann. Im Bezirk gibt es derzeit etwa elf Kilometer Pop-up-Radwege. "Man zählt die Verkehrsverstöße, Unfallzahlen oder guckt auf die Abstände der Pkws zu den Radfahrern."

Zudem seien Radfahrer durch den Begründungszwang benachteiligt, meinen die Grünen. Man müsse die Logik umdrehen: "Tempo 50 innerorts nur dann, wenn das als ungefährlich eingeschätzt wird - das wäre am Menschen orientiert", so Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar.

Doch nicht jeder Pop-up-Radweg kommt gut an, wie ein Beispiel aus Stuttgart zeigt. Dort wurde ein solcher Radweg im Juni vergangenen Jahres errichtet - und im Oktober wieder zurückgebaut. Der Grund: Beschwerden aufgrund von Lärmbelästigung und eine Beeinträchtigung für Fußgänger durch kürzere Grünphasen der Ampeln.

Der Autoclub ADAC wirft ein, dass Pop-ups nicht zu mehr Sicherheit führten, sondern sogar neue Konfliktsituationen schafften. "Teils enden die neuen Pop-up-Spuren unvermittelt vor den Knotenpunkten, teils gibt es Konflikte mit dem ruhenden Verkehr, was zu neuen Gefahrensituationen führen kann", sagt Sprecher Johannes Boos. Er fordert ein nachhaltiges Konzept und nicht gelbe Linien, die die ideologischen Fronten zwischen Auto- und Fahrradfahrern verhärteten.

Auch Union-Fraktionsvize Ulrich Lange wünscht sich mehr Planung. "Denn schnell aufgemalt und losgefahren heißt nicht, dass es auch automatisch sicherer für alle Verkehrsteilnehmer wird." Die FDP fürchtet, dass durch die engeren Autospuren Staus entstehen. Statt unkontrollierter Hau-Ruck-Aktionen brauche es langfristige Lösungen, ohne Nachteil für den übrigen Verkehr, so Liberaler Christian Jung.

Das Thema drängt, nehmen im Frühling doch wieder mehr Leute das Rad.

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