Berlin. Die Corona-Pandemie und wir, das ist langsam zum Brüllen: Vor lauter Verzweiflung. Unsere Kolumnistin verliert so langsam die Nerven.

Das Leben ist ganz klein geworden in diesen Pandemie-Monaten. Eine Wohnung, ein Winterbalkon, eine Familie. Jetzt ist die auch noch geschrumpft: Die Pharmazie-Tochter ist ausgezogen und mit ihr gruselige Chemie-Wälzer, ein chaotischer Klamottenberg und die Hobby-Utensilien, eine Staffelei, Ölfarben, in unserem Wohnzimmer trocknende Leinwände.

Der Jura-Sohn ist wieder fort in München. Was bleibt: Das polternde Teenagerkind, das jammert, weil es kein Einzelkind sein will.

Und die TikToks mit der Schwester?

Bei wem soll es abends die Zimmertür aufreißen, mit wem soll es sich zanken, bis die Nachbarn „Ruhe“ schreien, wer hilft bei Physik, Chemie und Mathe, wer dreht mit ihm lustige TikTok-Videos? Wer hilft mit, wenn es darum geht, sich über die Eltern lustig zu machen, die mit ihren alters-weitsichtigen Augen über ihren Brillenrand blicken, um auf ihren Smartphones herumzutippen.

Ich sage: Das ist doch cool, eine große Schwester in der Nähe, bestimmt wirst du zu Partys eingeladen. „Party? Was für eine Party denn?“, jammert das Kind. „Geht doch alles nicht“. Die große Schwester tröstet: „Ich gebe dir einen Schlüssel, du kannst immer kommen“.

Ein echtes Homeoffice – nur für mich

Ich selbst habe mich drauf gefreut: ein richtiger Platz fürs Homeoffice, weniger Chaos, mehr Luft. Und jetzt sitze ich in dem leeren Studentenzimmer am provisorischen Gartentisch, will in Ruhe Bürokram erledigen, und rufe die Tochter an. „Hast du was im Kühlschrank“, frage ich. „Konntest du schlafen“. „Kennst du schon Nachbarn“. „Stört dich die Baustelle nebenan“. Und zum Schluss: „Soll ich mal kommen?“

Ich soll. Der Gatte kommt, mit der Bohrmaschine unter dem Arm, mit. Und das Teenagerkind, das für die Schwester noch Tee einpackt, Schokolade, Müsliriegel.

Birgitta Stauber
Birgitta Stauber © Reto Klar | Reto Klar

Was macht die Ausgangssperre mit uns?

Eigentlich dürfen wir das gar nicht, sage ich. Zu dritt einen Einpersonenhaushalt besuchen. Zu viert dann in der Einzimmerwohnung auf dem Fußboden neben dem Bett hocken. „Nicht, dass die Nachbarn die Polizei rufen“.

Wir diskutieren das aus und kommen zum Schluss: Noch ist das Kind bei uns gemeldet, noch sind wir offiziell ein Haushalt. Und doch schleichen wir uns die Treppe hoch in das andere Mehrfamilienhaus, froh, etwas zu tun zu haben, was uns aus den eigenen vier Wänden holt.

Wo ist der Impfstoff für meine Eltern, brülle ich

Es sind so normale Dinge, die wir nicht dürfen. Und das schnürt mir mehr und mehr die Kehle zu. Hier, in der Mini-Altbau-Wohnung mit den alten Gasrohren, die durchs Zimmer laufen, dem Boiler in der Küche, der auch das Badewannen-Wasser heizt, der Klo-Spülung, die erst mit einem eigenen Hahn aktiviert werden muss, bekomme ich einen Wutanfall, weil ich meinen Alltag wiederhaben will.

Wo ist der Impfstoff für meine betagten Eltern? Wann werden endlich die Altenheime geschützt – auch mit einer Impfpflicht für die Pflegekräfte? Überhaupt Pflegekräfte: Sie leisten so viel, sie sind so wichtig – warum bloß haben so viele mehr Angst vor einer ordentlich zugelassenen Impfung als vor einer Corona-Infektion?

Und dann hocken die zu fünft in der Teeküche beim Schampus

Ich möchte brüllen, weil so vieles so unlogisch ist in dieser Krise, aber wir müssen ja leise sein, weil wir uns – ganz formal – gar nicht in dieser Wohnung aufhalten dürften. Dafür muss der Studentensohn mit fünf anderen Leuten aus fünf fremden Haushalten in einem kleinen 20-Quadratmeter-Callcenter sitzen, in dem er jobbt, obwohl er locker zu Hause arbeiten könnte.

Überall hocken sie zusammen in den Teeküchen der Büros, da fliegt auch schon mal der Sektkorken, erzählt mir ein befreundeter Anwalt, der so gern ins Homeoffice gehen würde, aber Nachteile für seine Karriere befürchtet.

Bekannte von uns hängen gerade in der eigenen Ferienwohnung an der Zugspitze ab. Nur ein Haus mit Schnee drumherum. Verboten? Erlaubt? Vernünftig?
Ach.

Weitere Frauengold-Kolumnen: