Berlin. Der Lockdown geht weiter, Schülerinnen und Schüler müssen seit Monaten unter besonderen Bedingungen lernen. Wie sollen ihre Leistungen in der Pandemie bewertet werden? Und soll es in diesem Jahr kein Sitzenbleiben geben, wie es die Gewerkschaft GEW fordert?

Geschlossene Schulen und fehlende Perspektiven: Die Corona-Pandemie macht das Lernen für Schüler zum Kraftakt. Wäre der Verzicht auf das Sitzenbleiben angesichts der Versäumnisse und schlechten Bedingungen eine Option? Das fordert die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW).

"Man kann nicht mit der normalen Leistungsmessung herangehen und einfach sagen, wir lassen sitzen", sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatte sie ihren Vorschlag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) geäußert.

Aus Tepes Sicht sollten auch Abiturprüfungen in diesem Jahr ausgesetzt werden. Stattdessen könnten Lehrer ihre Schüler aufgrund der erbrachten Leistung bewerten und eine Note ohne Klausur vergeben. Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, hält das für keine gute Idee. Bevor Prüfungen komplett ausfielen, wäre es besser, sie zu verschieben, sagte Beckmann der dpa. Beckmann spricht sich dagegen aus, pauschal alle Schüler zu versetzen und plädiert stattdessen für individuelle Lösungen.

Es gehe in erster Linie darum, den "Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden". Einige Schüler hätten in der Pandemie besondere Kompetenzen erworben, zum Beispiel das eigenständige Lernen. Diesen Punkt müsse man berücksichtigen. Dass Kinder nun ein "Notabitur" machen müssten und Prüfungen nicht vergleichbar seien, stimme so nicht, sagte Beckmann. Schülerinnen und Schüler hätten auch jetzt Leistungen erbracht, die zu bewerten seien. Für den Fall, dass Schüler das Gefühl hätten, aufgrund der Pandemie-Situation benachteiligt worden zu sein, müssten sie das Jahr wiederholen können, ohne dass es als "Sitzenbleiben" angerechnet würde, sagte er.

Außerdem brauche es "zur Unterstützung klare Konzepte und auch die Vernetzung unterschiedlicher Zuständigkeitsbereiche bis hin zu den Ministerien". Seit Monaten fordere er von der Kultusministerkonferenz (KMK), einen Rahmen zu schaffen, damit Lehrer wissen, wie sie die Leistungen während der Pandemie bewerten können.

Die neue KMK-Präsidentin Britta Ernst, die am Donnerstag offiziell ihr Amt übernahm, sagte der Zeitung "Welt", Schülern in Deutschland trotz der Pandemie einen vollwertigen Abschluss ermöglichen zu wollen. "Wir werden uns innerhalb der KMK mit allen Bundesländern austauschen, wie wir unter Beibehaltung unserer gemeinsamen Standards das Abitur auch unter diesen Rahmenbedingungen gerecht durchführen können", sagte Ernst. "Ein Notabitur hätte fatale Folgen." Der Forderung, den versäumten Lernstoff zu kompensieren, indem pauschal ein weiteres Schuljahr angehängt werde, erteilte die KMK-Chefin eine Absage. Ein Wiederholungsjahr sei "nicht notwendig. Wir müssen ja auch sorgfältig mit der Lebenszeit der jungen Menschen umgehen".

Die Bundesschülervertretung würde eine generelle Möglichkeit, das Sitzenbleiben in diesem Jahr auszusetzen, begrüßen. Die Fachlehrer müssten aber dann eine Beratung anbieten, sagte der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Dario Schramm, der dpa. "Viele Schülerinnen und Schüler haben bereits so große Lücken, dass eine Wiederholung vermutlich mehr Sinn macht als der Versuch, diese Lücken in kurzer Zeit auszubessern."

Das Wissen, nicht sitzen bleiben zu können, könne "etwas Druck vom Kessel nehmen", sagte Schramm. Für die Abschlussklassen gelte das aber nicht. "Hier müssen wir Prüfungen so anpassen, dass sie der Situation entsprechend geändert werden." Einen "wirklich fairen und vergleichbaren Abschluss" könne es in diesem Jahr nicht geben.

Unter den Eltern trifft die Debatte über das Sitzenbleiben indes auf ein geteiltes Echo. Der Bundeselternrat fordert in erster Linie mehr Präsenzunterricht und eine bessere Qualität des Distanzlernens. Eine "verstärkte Förderung in Problemfächern" könne im Einzelfall sinnvoller sein, als das Jahr zu wiederholen, teilte die stellvertretende Vorsitzende, Sabrina Wetzel, auf dpa-Anfrage mit.

Indes entschied sich Baden-Württemberg am Donnerstag dafür, Grundschulen und Kitas weiterhin zumindest bis Ende Januar geschlossen zu lassen. Wie die dpa am Donnerstag in Stuttgart erfuhr, verständigten sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) darauf, angesichts der weiter hohen Corona-Infektionszahlen doch nicht zu lockern. Es solle aber eine Öffnungsperspektive für Grundschulen und Kitas erarbeitet werden, sollte der Lockdown über Januar hinaus gelten, hieß es.

Seit Mitte Dezember sind die meisten Schulen und Kitas in Deutschland entweder komplett geschlossen oder nur für Notbetreuung geöffnet. Dort, wo nicht geschlossen wurde, wurde die Anwesenheitspflicht ausgesetzt. Eltern wurden gebeten, ihren Nachwuchs zu Hause zu lassen. Für Abschlussklassen, die vor den Prüfungen stehen, gibt es Ausnahmen. Wann die Einrichtungen wieder öffnen können, ist unklar.

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