Limburg. Vor gut einem Jahr kaperte ein Mann einen Lastwagen und fuhr an einer Ampel gegen mehrere stehende Autos. 18 Menschen wurden verletzt - die Staatsanwaltschaft sieht darin im Prozess versuchten Mord.

Der kleine, schmale Mann auf der Anklagebank vor der Schwurgerichtskammer hätte vor rund einem Jahr mitten im hessischen Limburg fast eine Katastrophe angerichtet.

Dass bei seiner Fahrt mit einem gekaperten Lastwagen gegen etliche Fahrzeuge niemand starb, "war ein außergewöhnlich glücklicher Zufall", wie es der Vorsitzende Richter am Freitag ausdrückte.

Neun Jahre im Gefängnis und in einer Entziehungsanstalt stehen dem Syrer nun bevor, hauptsächlich wegen versuchten Mordes im Zustand verminderter Schuldfähigkeit. Das ist deutlich mehr als von Staatsanwalt und Verteidigung gefordert. Die Schwurgerichtskammer sah gleich zwei Mordmerkmale: Heimtücke und der Einsatz eines gemeingefährlichen Mittels.

Damit ist der Lastwagen gemeint, den der 33-Jährige am 7. Oktober 2019 mitten im Feierabendverkehr gekapert hatte. Berauscht von einem Joint und zutiefst frustriert über seine Lebensumstände - keine Arbeit, kein Geld, die Freundin hatte mit ihm Schluss gemacht - riss der im südhessischen Langen lebende Mann die Fahrertür eines 17,5-Tonners auf, der an einer roten Ampel stand. Er zerrte den Fahrer heraus und gab Gas.

Die Ampel zeigte mittlerweile Grün, er lenkte den Lkw um die Ecke, dort standen an einer weiteren Ampel etliche Fahrzeuge. Ohne zu bremsen, fuhr er mit Tempo 44 auf sie zu, rammte zwei Autos und einen Kleinlaster. In einer Kettenreaktion wurden weitere Fahrzeuge aufeinander geschoben. 18 Menschen wurden verletzt - wie sich später herausstellte, nur leicht.

Doch die vergleichsweise harmlosen Folgen waren kurz nach der Tat noch nicht bekannt. Zunächst war von Schwerverletzten die Rede, die Angst vor einem möglichen Terroranschlag ging um. "Es gibt kein terroristisches Motiv", betonte daher nun in der Urteilsbegründung der Richter. Doch die Frage nach dem Warum war für das Gericht nicht leicht zu beantworten.

Der Angeklagte hatte im ganzen Ermittlungsverfahren nichts gesagt, erst im Prozess brach er sein Schweigen. Sehr erkenntnisreich war seine Aussage nicht, er verwies auf Erinnerungslücken, traumatische Erlebnisse in seiner Heimat und eine extrem starke Wirkung des kurz zuvor gerauchten Joints. "Die verdammten Drogen", meinte er im Gericht auch bei seiner letzten Möglichkeit, vor der Urteilsverkündung etwas zu sagen.

Dass die Drogen eine Rolle bei der Tat gespielt haben, da waren sich auch die Richter sicher. "Dadurch war er enthemmt", so der Vorsitzende. Und deshalb habe er den Gedanken, mit dem er schon den ganzen Tag gespielt habe - einen Lastwagen zu entführen und damit einen aufsehenerregenden Unfall zu verursachen - kurz entschlossen in die Tat umgesetzt.

Zuvor, am selben Tag, hatte er noch auf seinem Handy mit einem Lkw-Simulator gespielt. Mit der Tat habe er auf sich aufmerksam machen und seiner Lebenssituation entkommen wollen, sagte der Richter. "Wer sich so verhält, dem ist es gleichgültig, ob jemand stirbt oder verletzt wird."

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