Leipzig. Am Samstag fand in Leipzig ein Tim-Bendzko-Konzert statt. Es soll zeigen, wie Großveranstaltungen in Zeiten von Corona aussehen können.

  • Vor Hunderten Zuschauern gab Sänger Tim Bendzko am Samstag ein Konzert in Leipzig
  • Als Teil einer wissenschaftlichen Studie der Universitätsmedizin Halle fand das Konzert unter besonders strengen Hygiene-Regeln statt
  • Die Veranstaltung sollte zeigen, wie zukünftig Hygienekonzepte für Großveranstaltungen aussehen könnten
  • Wir waren beim Corona-Konzert vor Ort – so fühlte sich der ungewöhnliche Konzertabend an

Sechs Lichtkegel zerschneiden die Dunkelheit. Die Scheinwerfer schwenken von links nach rechts und von rechts nach links. Es scheint, als würden sie in der Arena Leipzig nach jemandem suchen. Das Licht trifft von der Bühne aus auf Reihen blauer Sitze - fast 8000 Plätze. Die Sitze sind leer. Es ist kurz vor 10 Uhr morgens.

Das Publikum steht draußen im Regen. Etwa 1500 Menschen sind gekommen, um die Musik von Tim Bendzko zu hören. Das Konzert ist heute auch Teil einer wissenschaftlichen Studie, durchgeführt von der Universitätsmedizin Halle.

Es gibt partikelfilternde Schutzmasken und ein Desinfektionsmittel, das unter UV-Licht leuchtet. Hygienestewards laufen umher und messen Fieber. Vor dem Zutritt zur Halle müssen die Menschen versichern, dass sie in den vergangenen zwei Wochen nicht in einem Corona-Risikogebiet waren.

Tim Bendzko in Leipzig: Zuschauer mussten Corona-Test machen

Und mehr noch: Einen Tag vor dem Konzert haben die Besucher einen Corona-Test abgegeben. Sie mussten sich selbst den Rachen abstreichen und das verpackte Stäbchen samt Aufkleber in eine blaue Plastiktonne vor der Halle werfen. Oder sie gaben es in die Post und schickten es nach Leipzig. Am Samstagmorgen bekamen sie das Ergebnis.

Tim Bendzko störten die Unterbrechungen während des Konzerts nicht.
Tim Bendzko störten die Unterbrechungen während des Konzerts nicht. © dpa | Hendrik Schmidt

Nur einer von 1900 Tests von Besuchern und Mitarbeitern sei positiv gewesen, erklären die Organisatoren von der Universitätsmedizin Halle. Die Frau durfte nicht anreisen.

Alle Konzertbesucher tragen Masken

Die Besucher des Testkonzerts sind zwischen 18 und 50 Jahre alt. Ältere wurden aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Die Menschen sind diszipliniert. Alle tragen ihre Masken. Fast alle tragen sie richtig. Sie wollen helfen. Sie sind neugierig. Sie wollen sich aber auch amüsieren. Lesen Sie hier: Aktuelle Nachrichten zum Coronavirus im News-Ticker

Linda Schmitt-Thees und ihre Schwester Sarah sind aus Jülich und Duisburg angereist. Sie haben einen Wochenendtrip daraus gemacht. Sie lieben Konzerte. Ihre Bekannten, die mit Theater ihren Lebensunterhalt verdienen, haben sie motiviert. „Es hängen viele Arbeitsplätze an der Veranstaltungsbranche“, sagt Linda Schmitt-Thees. Sie hofft, dass es bald Hoffnung für die Branche gibt. Vielleicht auch durch dieses Konzert. „Der Schaden ist groß genug“, sagt Linda Schmitt-Thees.

Darum geht es. Um die Frage, wie es weiter geht. Für Sportler, Künstler, Fans und Firmen. 2019 gab es drei Millionen Veranstaltungen in Deutschland mit etwa 423 Millionen Teilnehmern. Die Branche setzte 130 Milliarden Euro um. Dann kam Corona.

Einige Störfeuer im Vorfeld des Bendzko-Konzerts

Die Studie, die zu einer Art Neuanfang beitragen soll, heißt Restart 19. Der ganze Name ist anders, komplizierter: Risikoanalyse zur Corona-Übertragung bei Sport- und Kulturveranstaltungen. Sie kostet 900.000 Euro, bezahlt von den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt.

In Leipzig hat die Studie auch Gegner. Nach Angaben von Michael Gekle, Dekan der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, habe es im Vorfeld einige Störfeuer geben. Das Hygienekonzept stand in der Kritik. Die Behörden aber, erklärt Gekle, haben es mit abgestimmt und genehmigt. Studienleiter Stefan Moritz glaubt nicht, dass sich bei dem Konzert jemand infizieren wird.

Trotz Maske kam Stimmung in Leipzig auf.
Trotz Maske kam Stimmung in Leipzig auf. © Getty Images | Sean Gallup

Ursprünglich wollten die Infektiologen und Epidemiologen 4000 Besucher in und vor der Halle haben. So viele kommen zu einer durchschnittlichen Veranstaltung in die Arena. Etwa 1500 sind es fürs Bendzko-Konzert geworden. Vielleicht war die Angst vor einer Ansteckung zu groß, vielleicht auch die Informationskampagne zu klein.

Nur 2200 Besucher haben sich registriert – Viele kamen nicht

In Sachsen sind darüber hinaus noch Ferien. 2200 Menschen hatten sich bis Samstag registriert, viele sind nicht erschienen. Die wenigen Besucher, sagen die Forscher aus Halle, führten nur zu Einschränkungen. Sinnlos werde die Studie deshalb nicht. „Die Datenbasis, mit der wir weiterarbeiten können, ist gut“, sagt Stefan Moritz.

Wie können größere Indoor-Veranstaltungen stattfinden, ohne dass sich Besucher reihenweise infizieren. Dazu wollen Moritz und das Team aus bis zu 20 Wissenschaftlern Aussagen treffen. Im Herbst sei mit ersten Ergebnissen zu rechnen. „Es wird valide Informationen geben für die Entscheider aus der Politik“, sagt auch Michael Gekle. Es gehe um Daten aus der realen Welt, nicht um Weltanschauung. Mit Hilfe der Informationen könnte eine aufgeklärte Gesellschaft Chancen und Risiken abwägen.

Infektiologe Moritz sagt, es gehe um Grundlagen. „Aber ich denke, dass wir - basierend auf unseren Ergebnissen - Vorschläge machen werden, wie man das Infektionsrisiko bei Indoor-Veranstaltungen reduzieren kann.“ Ähnliche Studien seien in Australien, Belgien und Dänemark geplant.

Viele Reihen blieben bei dem Bendzko-Konzert leer.
Viele Reihen blieben bei dem Bendzko-Konzert leer. © Getty Images | Sean Gallup

Auslöser für das Projekt war im Übrigen eine Unterhaltung zwischen Stefan Moritz und zwei weiteren Männern. Moritz sprach mit dem Geschäftsführer der Arena Leipzig, Matthias Kölmel, und mit Karsten Günther, Geschäftsführer des Handballbundesligisten SC DHfK Leipzig.

Es geht um viele Jobs – und viel Geld

Sie klagten dem Wissenschaftler ihr Leid, beschrieben die mit dem Corona-Lockdown verbundenen Verluste und Sorgen. Wie überlebt man in Zeiten, in denen Großveranstaltungen verboten sind. Eine Halle braucht Konzerte, ein Handballverein Spiele vor Publikum. Der professionelle Handballsport lebt auch vom Geld aus dem Ticketverkauf, Geisterspiele wie beim Fußball sind keine Alternative. Stefan Moritz konnte wenig sagen, was Hoffnung machte.

Das Gespräch mit Kölmel und Günther habe ihn ins Grübeln gebracht, sagt der Infektiologe. Und dann saßen die Männer irgendwann wieder zusammen und riefen Restart-19 ins Leben. Man wollte nicht stehenbleiben und aufgeben. Es gehe um sehr viel, nicht nur um hunderttausende Jobs, ums Geld. „Veranstaltungen sind Orte der Begegnung und des Zusammenhalts“, sagt Karsten Günther. Für eine Gesellschaft seien sie wichtig. „Wenn es sie nicht mehr geben könnte, wird mir angst und bange“.

Stefan Moritz sieht das genauso. Jetzt steht er in einem neongelben T-Shirt auf der Bühne in der Leipziger Arena und erklärt dem Testpublikum, was gleich passieren wird. Drei Szenarien lässt er mit den 1500 Besuchern durchproben. Bei Szenario eins gibt es keine Unterschiede zu Konzerten vor Corona, die anderen beiden haben ein Sicherheitskonzept bekommen, die verglichen werden sollen. Mehr Abstand, viel mehr Abstand, kontrollierte Einlässe. 17 Kontakte in der nahen Umgebung, fünf, keinen.

Wie fliegen die Aerosole?

Alle Besucher tragen FFP2-Masken und sogenannte Tracker, die zu Beginn einige Probleme bereiten. Die kreditkartengroßen Geräte sammeln Daten im Millisekundentakt. Zusammen mit den Daten, die Sensoren von der Hallendecke aus sammeln, sollen sie darüber Aufschluss geben, wie die Menschen sich in der Halle bewegen, wo sie sich nahekommen und begegnen. Die Daten ergeben anschließend ein Modell. Es werden vier Terabyte Daten sein, eine gigantische Menge.

Ein weiteres Modell soll zeigen, wie die Aerosole fliegen, diese kleinsten Partikel, die vermutlich auch eine wichtige Rolle spielen bei der Verbreitung von Corona. Wo strömen sie bei verschiedener Belüftungen entlang und wie kann man sie noch beeinflussen? Lesen Sie hier: Was vor einer Corona-Ansteckung durch Aerosole schützt.

Stefan Moritz dirigiert mit ausgebreiteten Armen die Besucher. Sie sollen enger zusammenrücken. Dort aufstehen, hier hinsetzen. „Ich will alle ganz nah hier haben“, sagt er. Und in der Pause sollten die Besucher auf jeden Fall an die Cateringstände vor der Halle gehen. Dort gibt es etwas zu essen und zu trinken. „Wir wollen wissen, was beim Anstellen passiert“, sagt Moritz. Und selbst der Gang zur Toilette geschieht heute zum Wohle der Wissenschaft.

Die Veranstaltungsbranche braucht einen Plan fürs Weitermachen

Tim Bendzko singt drei Mal 20 Minuten. Immer wieder verlässt er die Bühne für die unterschiedlichen Szenarien. Dass sein Konzert etwas von einer Versuchsanordnung hat, habe ihn nicht gestört, wird er später sagen. Er habe in Corona-Zeiten Autokinokonzerte überstanden, „da ist das Konzert hier gefühlt ein erster Fortschritt“. Und tatsächlich stehen sogar einige Fans auf und winken mit den Armen. Die Bässe wummern, das Licht blinkt. Fast wie bei einem echten Konzert.

Bendzko findet, dass es dringend einen Plan braucht, wie die Veranstaltungsbranche weiter machen könnte. Sonst sei irgendwann nichts mehr übrig von ihr. Applaus bei Internetkonzerten bezahle keine Miete. Natürlich sei Sicherheit das Wichtigste, sagt der 35-Jährige. Aber er sei auch dafür, nach Lösungen zu suchen. „Und dafür braucht es Erkenntnisse.“

Angefühlt hat sich das Konzert übrigens überraschend gut, sagt der Künstler. „Es hat uns richtig Spaß gemacht, es war nicht so skurril, wie erwartet. Das Publikum hat gut mitgemacht – Leipzig ist textsicher“.

Spaß hatten auch Linda und Sarah Schmitt-Thees. Dass die Besucher in Szenario eins sehr eng beieinandersaßen, sei ungewohnt gewesen, sagen die Frauen. Nach so vielen Monaten der Mindestabstände. „Aber man konnte mal wieder Emotionen von anderen spüren“, so Sarah Schmitt-Thees. Und mitgesungen haben die Schwestern auch - in die Maske hinein.