Sydney. Russell Crowe über seinen neuen Film, zunehmende Aggression in der Welt und wie er die Wutblase eines Taxifahrers zum Platzen brachte.

Russell Crowe (56) ist froh, dass es nun wieder losgeht. Für sein Kino-Comeback hat sich der Oscar-Preisträger (Bester Hauptdarsteller als Feldherr Maximus in „Gladiator“, 2001) den Action-Thriller „Unhinged – Außer Kontrolle“ (Start 16. Juli) ausgesucht. Darin spielt er einen von Wut zerfressenen Mann, der auf seinem Psychotrip bis zum Äußersten geht und einen Spur von Verwüstung und Tod hinterlässt.

Mr. Crowe, stimmt es, dass Sie Angst vor dieser Rolle hatten?

Russell Crowe: Oh ja, diesen mordlüsternen Wahnsinnigen wollte ich ursprünglich auf keinen Fall spielen. Das Drehbuch hat mir echt Angst gemacht. Also habe ich erst einmal abgelehnt. Aber die Rolle ließ mich einfach nicht mehr los. Da wurde mir bewusst, dass es ja genau diese Herausforderungen sind, auf die ich mich früher immer regelrecht gestürzt habe. Nämlich Rollen anzunehmen, von denen ich denke, dass ich sie eigentlich gar nicht meistern kann. Da wurde mir klar, dass es höchste Zeit war, mich wieder einigen meiner Ängste zu stellen.

Der Autofahrer, den Sie in „Unhinged “ spielen, rastet wegen einer Bagatelle aus und läuft Amok. Ging Ihnen das deshalb so nahe, weil Sie in der Vergangenheit auch selbst ein paar Wutausbrüche in der Öffentlichkeit hatten? Und einmal sogar in Handschellen abgeführt wurden…

Crowe: … das ist doch schon eine halbe Ewigkeit her. Und das gehört sicher nicht zu den Dingen in meinem Leben, auf die ich stolz bin. Ganz im Gegenteil. Das war ein Crash-Kurs in Demut. Aber meine damaligen Entgleisungen kann man nun wirklich nicht mit den brutalen Attacken vergleichen, die im Laufe des Films passieren. Der Mann, den ich in „Unhinged – Außer Kontrolle“ spiele, geht buchstäblich über Leichen und setzt sein Auto als Waffe ein.

Diese Art brutaler Aggressivität hat in der letzten Zeit weltweit erschreckend zugenommen…

Crowe: … was ich sehr besorgniserregend finde. Das passiert mittlerweile tatsächlich fast überall: in Schulen, Krankenhäusern, in Kirchen oder Moscheen, Night Clubs oder Kneipen. Da gehen diese Irren hin und eröffnen einfach das Feuer. Das sind Leute, die in einem Supermarkt wegen einer Rolle Toilettenpapier komplett ausrasten und total die Kontrolle über sich verlieren. Warum verhalten sich Menschen gegenüber Menschen so? Warum ist es so weit gekommen? Ein weiterer Grund, warum ich den Film dann schließlich doch machen wollte, war, dass er sich mit diesem Gewaltphänomen auseinandersetzt und – im Rahmen des Thriller-Genres – zeigt, wie zerstörerisch und selbstzerstörerisch diese Art von Aggression ist.

Von Wut zerfressen: Russell Crowe in seinem neuen Film „Unhinged – Außer Kontrolle“.
Von Wut zerfressen: Russell Crowe in seinem neuen Film „Unhinged – Außer Kontrolle“. © dpa | Leonine

Hollywood hat Angst davor, dass der Kinogänger durch den Lockdown seine Sehgewohnheiten verändert haben könnte. Warum ins Kino gehen, wenn man hochkarätige Filme und Serien doch via Netflix, Amazon & Co. bequem ins Wohnzimmer gestreamt bekommt?

Crowe: Wir haben doch in der letzten Zeit alle eine Reihe von sehr ernsten Ereignissen durchstehen müssen. Und natürlich ist die Hoffnung nun groß, dass sich die Dinge nach dem Ende des Lockdown wieder normalisieren. Obwohl keiner so genau weiß, wie „normal“ das alles weitergehen wird… Aber all die Menschen, die sich danach gesehnt haben, endlich wieder Filme im Kino sehen zu können, die werden auch sicher wieder ins Kino gehen. Das Tolle am Kino ist ja, dass dort all die verrückten Dinge auf der Leinwand passieren – und nicht im wirklichen Leben. Da sitzt man gemütlich mit anderen in einem dunklen Raum und kann sich zwei Stunden lang wunderbar vom Alltag ablenken lassen. Ich glaube auch, dass das Kino eine wichtige soziale Funktion erfüllt. Es verleiht uns Zuschauern wieder die Zuversicht, unsere Entscheidungen endlich wieder frei treffen zu können und unser Leben in den Griff zu bekommen.

Apropos „in den Griff bekommen“: Die Dreharbeiten zu „Unhinged“ waren nicht ganz einfach?

Crowe: Das kann ich bestätigen. Wir haben im Sommer in New Orleans gedreht. Da gab es zwar viel Sonnenschein, aber eines Tages fegte auch ein Hurrikan über uns hinweg. Dann kam das Hochwasser und verwandelte das Set in einen See. Wir mussten tatsächlich eine ganze Woche mit den Dreharbeiten pausieren, bis alle Schäden behoben waren. Das war vor allem für unseren Regisseur Derrick Borte eine große logistische Herausforderung. Aber er hat einen super Job gemacht. Wie überhaupt die gesamte Crew. Und die Stunt-Männer erst! Die waren einfach fantastisch. Wann immer es in den letzten 30 Jahren in einem Kinofilm Autorennen oder Verkehrsunfälle gab – einer unserer Stunt-Männer war daran beteiligt. Also schwatzt man beim Lunch schon mal darüber, wie das Auto in der nächsten Szene am wirkungsvollsten in den Zementlaster gecrasht wird.

Waren Sie schon selbst mal Opfer von Gewalt im Straßenverkehr?

Crowe: (Lacht) Ich erinnere mich noch gut daran, was mir vor einigen Jahren mal in Sydney passiert ist. Es war in der Vorweihnachtszeit und auf den Straßen war die Hölle los. (...) Ich blinkte wie wild, aber niemand ließ mich in die nächste Spur einfädeln. Hinter mir ein Taxifahrer. (...) Er hupte ohne Unterlass. Bang! Bang! Bang! Zuerst dachte ich mir: „Was soll’s?!“ Aber er hörte nicht auf. Immer wieder Bang! Bang! Bang! Das hat mich den letzten Nerv gekostet. Als dann auch noch der Verkehr komplett zum Stillstand kam, habe ich mein Auto parkfertig abgestellt und bin ausgestiegen. Langsam ging ich auf seinen Wagen zu. (Lacht) Da sah ich, wie sich der Gesichtsausdruck des Taxifahrers veränderte: von blankem Zorn zu „Oh shit, ich bin da wohl ein bisschen zu weit gegangen“ zu „Mein Gott, ist das nicht Russell Crowe? Ich ging ans Seitenfenster und sagte nur: „Merry Christmas, Kamerad.“ Ich weiß nicht genau, ob ich damit seine Wut-Blase zum Platzen brachte. Aber ich war mir sicher, dass ich ihm gerade eine verrückte Story gegeben hatte, die er seinen Freunden am Abend erzählen konnte.