Jessen. Die Zufahrten zu zwei Jessener Ortsteilen sind gesperrt - Zugang ist nur mit Haupt- oder Nebenwohnsitz möglich: In Sachsen-Anhalt stehen rund 8000 Einwohner unter Quarantäne. Noch nicht Mal im stark vom Coronavirus betroffenen Heinsberg gab es solche Maßnahmen.

Nur wenige dürfen noch durch: Dazu zählen Pfleger und Supermarkt- oder Molkerei-Mitarbeiter. Jeder andere, der in Sachsen-Anhalt die Jessener Ortsteile Schweinitz und Jessen betreten oder verlassen will, wird von Feuerwehr und Polizei daran gehindert.

Seit Donnerstagmorgen stehen die beiden Ortsteile wegen eines Ausbruchs des neuartigen Coronavirus unter Quarantäne.

Es sind besonders drastische Maßnahmen, die in Sachsen-Anhalt ergriffen werden. Nicht einmal im vom Coronavirus stark betroffenen Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen gab es das. Anlass ist in Jessen ein Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim. Sechs Menschen sind wegen des Virus im Krankenhaus, dem Landkreis zufolge in stabilem Zustand. 41 bestätigte Fälle habe es in den Ortsteilen gegeben, sagte Gauert - von 53 im gesamten Landkreis. Landrat Jürgen Dannenberg zog daraufhin die Notbremse: Der Linken-Politiker stellte die beiden Ortsteile, in denen etwa 8000 der rund 14 000 Jessener wohnen, unter Quarantäne.

In Jessen zeigen längst nicht alle Verständnis für die drastische Maßnahme. "Wir erklären jetzt viel", formulierte Landkreis-Sprecher Ronald Gauert es diplomatisch. Seit Donnerstag, 7.00 Uhr, bis mindestens zum 10. April sind Schweinitz und Jessen von der Außenwelt abgeriegelt. Die Kleinstadt nahe Brandenburg ist am Donnerstagvormittag wie ausgestorben, nur vereinzelt schlängeln sich Autos durch die menschenleeren Straßen.

Blieb der Landkreis in seiner ursprünglichen Kommunikation noch recht ungenau, listete er ab Donnerstagnachmittag präzise auf, wer im Sperrgebiet noch arbeiten darf: Elf Unternehmen führt der Landkreis auf, darunter der Tiefkühlkost-Hersteller Jütro, der in Jessen mehrere Fabriken betreibt. Die Standorte könnten dank der Ausnahmegenehmigung gerade so die Prokution aufrecht erhalten, heißt es aus dem Unternehmen. Auch die Bayerische Milchindustrie, eine der größten Molkereien und Käsereien Sachsen-Anhalts, darf weiterproduzieren.

Überhaupt werden in der Region viele Nahrungs- und Genussmittel hergestellt, doch nicht alle davon schätzt die Politik als unverzichtbar ein. Dem Winzer und Obstbauer Frank Hanke zum Beispiel ist die Verzweiflung anzuhören. "Wenn wir nicht arbeiten dürfen, wäre das für uns eine Katastrophe, wir wissen dann nicht, wie es weitergehen soll", sagt er. "Die Natur gibt den Takt vor, und wenn wir mit der Arbeit aussetzen müssen, können wir das nicht so einfach nachholen", erklärt Hanke.

Der Betrieb ist mit rund 15 Hektar Weinanbaufläche ist nach eigenen Angaben das nördlichste Qualitätsweingut Deutschlands. Insgesamt 25 Hektar bewirtschaftet die Familie. Weinkenner schätzen die Tropfen aus der Region. Wann Wein- und Naturliebhaber Jessen wieder bereisen dürfen, war am Donnerstag aber noch lange nicht absehbar.