Berlin. Clans suchen sich neue Betätigungsfelder. Im Trend liegen bei ihnen Friseurläden. Die Polizei ist besorgt – kann aber nichts machen.

Wie weit die Arme von kriminellen Clans in Deutschland reichen, sieht man an dieser Meldung. Ein ehemaliger Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Beirut soll soll sogenannte „Visum-Etiketten“, die für die Einreise nach Deutschland nötig sind, unterschlagen und an einen libanesischen Clan verkauft haben.

Dieser nutzte dem Bericht zufolge die Visa-Dokumente, um unter anderem syrische Flüchtlinge nach Deutschland zu schleusen. Auslöser für die Ermittlungen war dem Blatt zufolge eine bundesweite Razzia gegen libanesische Clan-Mitglieder am vergangenen Donnerstag.

Genauso gut hätten die Beamten auch an der Sonnenallee Friseurläden kontrollieren können. Diese gehören neuerdings zum Geschäftsfeld der Clans. Sie sind für die kriminellen Banden eine neue Gelegenheit, um ihr Geld zu waschen. Im Stadtteil Neukölln sorgt das für ein kurioses Bild.

An der von Migration geprägten Sonnenallee führt das dazu, dass auf der einen Seite der Straße ein ordentlicher kleiner Friseursalon ist und auf der anderen Straßenseite ein pompöser Friseursalon eines bekannten Clanmitgliedes. Nur, dass in dem Clanladen niemand einen Meisterbrief hat. In dem kleinen Betrieb schon.

Die Polizei ist oft machtlos - und überfordert. Was es bedeuten kann, im besagten Clan-Milieu zu ermitteln, beschreibt der Berliner Oberstaatsanwalt Siors Kamstra. Ihm allein seien drei Fälle bekannt, wo Anwälte Fälle abgelehnt hätten, als sie gehört haben, wer der Beschuldigte ist. Kamstra, der seit mehr als 20 Jahren Staatsanwalt ist, sagt, dass Clans in Deutschland eine Paralleljustiz errichtet hätten.

Clans öffnen Friseur-Läden – Das muss man wissen:

  • Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen haben Clans ein neues Geschäftsfeld gefunden: Friseurläden
  • Sie bieten nicht nur Haareschneiden an, sondern sind auch in kriminelle Geschäfte verwickelt
  • Auch im Fokus der Ermittler: Kioske
  • In Berlin berichtet man von ersten Erfolgen bei der neuen Strategie im Kampf gegen Clans

Immerhin: Die zahlreichen Razzien und verstärkten Ermittlungen gegen kriminelle Clans in Berlin zeigen nach Einschätzung von Politik und Polizei erste Erfolge. Zwar gebe es durch das knapp bemessene Personal, die Überwachung der Clans sowie wegen ihrer Macht weiterhin Probleme.

GOKA-Miniserie Serienjunkies (3)

weitere Videos

    Durch Bedrohung oder Bestechung seien die Clans „inzwischen in der Lage, nahezu jeden Zeugen zu manipulieren“, wie Kamstra sagt. Er kenne sogar Fälle, bei denen die Opfer von Clans Schwierigkeiten hätten, einen Anwalt zu finden, weil selbst manche Rechtsanwälte Angst hätten.

    Clans sollen endlich zurückgedrängt werden

    Aber: Polizeichefs aus dem Bund sowie Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bekräftigten, dass die deutschlandweite Zusammenarbeit der Ermittler nun weiter ausgebaut werde, um die Clans endlich zurückzudrängen.

    Dennoch können sich die Ermittler nicht zurücklehnen. Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, versicherte: „Wir müssen noch stärker als bisher einen gemeinsamen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Clan-Kriminalität legen.“ Es müsse vergleichbare Lagebilder und einheitliche Strategien geben. „Wir müssen das, was wir tun, noch besser vernetzen.“

    Die Ndrangheta – Italiens mächtigster Mafia-Clan

    weitere Videos

      Etwa die Vermögensabschöpfung: „Es gilt, die Täter dort zu treffen, wo es ihnen auch wirklich wehtut.“ Münch räumte ein, dass Deutschland bei der Einziehung von kriminellem Vermögen im Vergleich etwa zu Italien noch sehr schlecht abschneide.

      Die Clans gehen erfinderisch vor und finden neue Felder, auf denen sie investieren können. Bekannte Familien hätten mittlerweile so eine Macht und so ein Drohpotenzial, dass der Rechtsstaat mit seinen Mitteln nicht hinterher komme. Und sie entwickeln neue Geschäftsmodelle.

      Um diesem Phänomen nachzugehen, arbeitet Neukölln auch mit der Industrie- und Handelskammer zusammen. Denn wer ein Friseurgeschäft eröffnen will, braucht eigentlich einen Meisterbrief. Der ist teuer und kostet Tausende Euro.

      ------------------------

      Berlin kämpft mit Fünf-Punkte-Plan gegen Clans – was das bedeutet:

      1. Ressortübergreifende Zusammenarbeit verbessern
      2. Mehr Gewerbe- und Finanzkontrollen von Clans
      3. Staatsanwaltschaft gründet Clan-Spezialabteilung
      4. Verstärkte Ahndung von kleineren Verstößen
      5. Einstieg in kriminelle Laufbahn verhindern

      ------------------------

      In Hinterzimmern werden gestohlene Fahrräder verkauft

      Sicherheitskreise berichten auch von Spätis, die häufig in kriminelle Geschäfte verwickelt sind. Als „Späti“ („Spätkauf“) werden in Berlin Kioske bezeichnet, die auch noch spät abends geöffnet haben. Bei einer Razzia an der Flughafenstraße in Neukölln wurde ein Laden kontrolliert, der im Hinterzimmer Fahrräder verkaufte – die alle als gestohlen gemeldet waren.

      BKA-Chef- Kriminelle Clans sind international vernetzt

      weitere Videos

        Oder Geldspielautomaten: Pro Automat seien 2500 Euro Umsatz in der Woche möglich. Stehen vier illegal davon in einem Laden, kämen gehörige Summen zusammen.

        Was sagen die Ermittler dazu?

        • Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik warnt davor, jetzt nachlässig zu werden. „Wir dürfen nur jetzt, und das ist eine große Gefahr, den Druck nicht verlieren“, sagte sie.
        • Oberstaatsanwalt Kamstra warnt vor dem großen Einfluss der sieben bis acht Berliner Clans, die zahlreiche kriminelle Mitglieder hätten. „Sie vermitteln die Aura, dass ihnen der Staat nichts kann.“ Das führe zu einer „massiven Beeinträchtigung des objektiven und subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“.

        Clans bedrohen und bestechen Zeugen

        Durch Bedrohung oder Bestechung seien die Clans „inzwischen in der Lage, nahezu jeden Zeugen zu manipulieren“. Die Opfer von Clans hätten eben inzwischen sogar Schwierigkeiten, selbst einen Rechtsanwalt zu finden, weil auch manche Anwälte Angst hätten. So groß ist das Ausmaß der Clan-Kriminalität in Deutschland.

        Vermummte Einsatzkräfte stehen vor einem Kiosk im Stadtteil Neukölln. In dem Bezirk sind Clans besonders aktiv.
        Vermummte Einsatzkräfte stehen vor einem Kiosk im Stadtteil Neukölln. In dem Bezirk sind Clans besonders aktiv. © dpa | Paul Zinken

        Kamstra beklagt, dass es der Justiz an Personal fehle. „Wir warten teilweise monate- und jahrelang auf die Auswertung sichergestellter Laptops.“ Die Politik führe „jahrelange Diskussionen“ über das Gesetz zur Vermögensabschöpfung oder eine Ausweitung der Videoüberwachung. Um an die Clanmitglieder heranzukommen, gebe es oft nur die Möglichkeiten des Abhörens.

        Clans fühlen sich inzwischen massiv gestört

        Die Kriminellen würden ihre Vorhaben in Wohnungen, Autos oder Shisha-Bars besprechen. Die Polizei habe hier aber fast keine Möglichkeiten der Überwachung. Nötig seien auch die Videovernehmung von Zeugen und mehr Maßnahmen zum Zeugenschutz.

        Polizeipräsidentin Slowik sagt, dass es jetzt den Rückhalt der Politik gebe, der früher nicht immer da war. Clans fühlten sich massiv gestört. Es habe auch Wirkung auf Kollegen der Polizei Berlin. Man trete selbstbewusster auf. (mit dpa)

        Dieser Text ist zuerst auf morgenpost.de erschienen.