Bukarest. Für ein Sozialprogramm wurden auffällige Jugendliche aus Deutschland nach Rumänien geschickt. Dort sollen sie misshandelt worden sein.

Die Region Maramures gehört zu den entlegensten Winkeln der Europäischen Union. Das ländliche Gebiet im äußersten Norden Rumäniens an der Grenze zur Ukraine gilt als besonders ursprünglich. Hier, bei Viseu de Sus, sollten verhaltensauffällige Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren aus Deutschland auf einem Bauernhof von Fachkräften betreut und auf die richtige Spur gebracht werden. „Maramures“ nennt sich das Sozialprogramm, benannt nach der Region.

Doch statt Unterstützung erlebten die Teenager dort die Hölle, ist sich die für organisiertes Verbrechen zuständige Staatsanwaltschaft in Bukarest sicher und hat die Ermittlungen aufgenommen. Die Jugendlichen seien in „erniedrigender und entwürdigender Weise“ behandelt worden. Acht Häuser wurden untersucht. Im Fokus stehe ein deutsches Paar, das für das Projekt tätig war. Festnahmen gab es bisher keine.

Rumänisches Ferienprojekt: Kein Kontakt nach außen

„Ein weitläufiger Bauernhof mit fünf Hektar Land am oberen Ende eines Tales, das die Leute im Dorf Weintal nennen. Dort schlägt das Herz unseres Projektes“, heißt es auf der Website. Die Jugendlichen sollten die Abgeschiedenheit nutzen, um an einen strukturierten Tagesablauf gewöhnt zu werden.

Von Tierpflege, landwirtschaftlichen, hauswirtschaftlichen und handwerklichen Arbeiten ist dort die Rede, auf dem Hof selbst, aber auch im Dorf. „Das Geheimnis unserer Arbeit ist ein stets respektvoller und immer klarer Umgang mit den Jugendlichen“, heißt es weiter.

Das sieht die Staatsanwaltschaft anders. Die Vorwürfe sind massiv: Von „harten und brutalen Methoden einer sogenannten Umerziehung“ und „sklavenähnlichen Umständen“ ist die Rede.

Jugendliche mussten in Haushalten Einheimischer helfen

Die Jugendlichen seien gezwungen worden, in Haushalten Einheimischer zu helfen. Wer sich weigerte, sei in den Regen oder in die Kälte gestellt worden. Die Jugendlichen hätten keine Schule besucht, Kontakt nach außen sei ihnen verweigert worden. Einige wären daran gehindert worden, ihre verschriebenen Medikamente zu nehmen.

Laut Staatsanwaltschaft hätten einige der Jugendlichen nach ihren Bestrafungen Suizidabsichten gehabt. Medienberichten zufolge soll es zu den Ermittlungen gekommen sein, als eines der Kinder floh und sich an die Behörden wandte.

Arbeit in Haushalten Einheimischer

Die mutmaßlichen Misshandlungen sollen zwischen 2014 und August 2019 stattgefunden haben. Wie viele Jugendliche betroffen sind, gab die Staatsanwaltschaft nicht bekannt.

Der Bürgermeister des Ortes, Vasile Coman, nahm die Projektbetreiber gegen die Vorwürfe in Schutz. Sie hätten Rumänisch gelernt und würden sich dort wohlfühlen. Das Projektbüro in Potsdam und die Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter waren am Mittwoch zu keiner Stellungnahme bereit.

Matthias Witte, Professor für Sozialpädagogik an der Uni Mainz, erforscht seit Jahren Auslandsjugendprojekte. „Sie können eine echte Chance sein, weil sie mitunter sehr individuell greifen“, sagt er. „Doch schwarze Schafe haben es immer noch zu leicht, die Sicherung der Qualitätsstandards ist schwierig. Wie soll ein Jugendamtsmitarbeiter überprüfen, was in Nordrumänien passiert?“

„Es bedarf großer Anstrengungen, bei Auslandsmaßnahmen zu prüfen, ob alle rechtlichen Bedingungen, die das Wohl des Jugendlichen schützen sollen, erfüllt sind“, sagt Cordula Lasner-Tietze vom Deutschen Kinderschutzbund.

„So muss der Jugendliche fortwährend medizinisch betreut werden und immer Zugang zu einer Beschwerdestelle haben. Es muss gut begründet werden, dass andere Maßnahmen weniger Erfolg versprechen. Wir plädieren dafür, kindzentriert zu handeln. Wenn das Kind oder der Jugendliche die Entscheidung mitträgt, ist der Erfolg größer.“

Ende 2018 sorgte ein Missbrauchsfall in Deutschland für Aufsehen. Ein Schulleiter in Brandenburg soll 20 Mädchen sexuell belästigt haben. In einer Kölner Kita hatten Kinder andere Kinder misshandelt. Die Einrichtung wollte sie nicht weiter betreuen.