Berlin. Anika Decker hat die Drehbücher für Til Schweigers Zuschauerhits wie „Keinohrhasen“ geschrieben. Jetzt kommt ihr erster Roman heraus.

Anika Decker. Den Namen kennt man. Wem die genaue Zuordnung fehlt, bitte sehr: Drehbuchautorin von „Keinohrhasen“, „Zweiohrküken“, „Rubbeldiekatz“ und „SMS für dich“. Regisseurin und Drehbuchautorin von „Traumfrauen“ und „High Society“. Sie hat mit vielen deutschen Schauspielgrößen zusammengearbeitet. Iris Berben, Jürgen Vogel, Katja Riemann. Ihr Anfang mit Til Schweiger katapultierte sie nach Jahren des „Herumkrepelns“ dahin, wo sie zeitweise nicht mal mehr hingeschielt hatte.

Als sie noch einen Produktionsjob unter der Woche machte und nachts sowie an allen freien Tagen schrieb und schrieb und … am Ende in einem Jahr gerade mal 8000 Euro brutto damit verdiente: „Ich war 80 oder 90 Prozent meines Lebens total pleite.“

All ihre Ideen, das, was da aus ihr rauskam, verkaufte sie damals zu Schleuderpreisen. Dumm. Aber dass ihr geistiges Gut sehr viel mehr wert ist als diese wenigen Scheine, wurde ihr erst viel später bewusst – als der Erfolg mit Til Schweiger kam und damit auch das Selbstbewusstsein.

Drei Dinge, die man über Til Schweiger wissen muss

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    Anika Decker über das „Nackt-auf-dem-Tisch-liegen“

    Das muss eben erst wachsen. Gerade wenn man etwas macht, wo man sich fühlt, „als würde man nackt auf dem Tisch liegen“, wie Decker jetzt so schön das Schreiben und die irgendwann folgende Beurteilung von Außen beschreibt. Ganz früher habe sie gedacht, es gebe 20 Berufe, aus denen man sich einen aussuchen kann.

    „Für Frauen Grundschullehrerin oder Tierärztin, wenn man besonders schlau ist. Vielleicht auch einfach Zahnarztgattin.“ Die 43-Jährige lacht. Jedenfalls wollte sie damals während ihrer Durststrecken aufgeben, manchmal. Aber wie etwas aufgeben, was man so sehr will? Eben – unmöglich. Und dann kam der Durchbruch, unerwartet. Von da an ging es so weiter.

    Mainstream sagen die einen zu ihren Büchern. Die anderen fragen: Was heißt schon Mainstream? Und Decker selbst sagt, tatsächlich habe sie Glück, dass sie schreibt, was Menschen mögen. Genau das sei übrigens das Einzige, woran sie glaubt, dieses Glück. Und das muss was heißen, immerhin war sie auf einer katholischen Schule, ergänzt sie etwas zynisch.

    Komödien zu schreiben, die Millionen in die Kinos locken, die alle zum Lachen bringen – das ist, ob Glück oder nicht, gar nicht mal so simpel. Für die meisten klingt Mainstream aber genau danach. Plump, anspruchslos, schlicht weniger wertvoll als Art House und sowas. Dabei ist ja lustig nicht gleich lustig. „Humor ist spezifisch“, findet Decker.

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    Wer sie also fragt, ob sie mal „was Ernsteres“ machen wolle, kriegt sofort die Antwort, dass es 200.000 Farben von Humor gebe und darin noch wahnsinnig viel zu ergründen. „Die 12-Millionen-Frau“, wie sie 2012 von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genannt wurde (seither kamen weitere vier Millionen Zuschauer dazu), hat wieder ein Buch geschrieben. Diesmal kein Drehbuch, sondern einen Roman. Prosa.

    Angst zu scheitern nach all den filmischen Supererfolgen? Sie überlegt. Erstens: „Ich gehe meiner Branche fremd und kann mich wie ein Dorftrottel darin bewegen – bewertende Blicke, die wichtig sein könnten, sehe ich gar nicht, weil ich ja niemanden kenne.“ Sie lacht. Zweitens: „Die Angst zu scheitern ist Normalzustand. Aber ich beruhige mich immer damit, dass es relativ egal ist, was ich so tue, weil ich nur ein Staubkörnchen im Wind bin, so what!“

    Im Roman „Wir von der anderen Seite“ erzählt Decker von einer Frau, deren Leben von einer Krankheit einmal durchgeschüttelt wurde. Die Protagonistin hatte Nierensteine, unentdeckt. Was folgte: Sepsis, Organversagen, künstliches Koma. Der Beginn des Buches ist ihr Aufwachen. Alles ist anders. Es ist aber kein Buch über Krankheit, eher eins, das eine Umbruchphase beschreibt. Es bewegt sich, so wollte es Decker, zwischen Humor und Traurigkeit.

    Und tatsächlich steht man beim Lesen ständig zwischen Lach- und Heulkrampf. Wer ein bisschen googelt, erfährt, dass auch Decker Nierensteine hatte. Das war 2010. Wie bei der Figur im Buch wurde damals auch an ihren Grundfesten gerüttelt. „Tragödien rücken die eigene Perspektive nun mal zurecht“, sagt sie.

    Als Autor nutzt man alles, was einem im Leben passiert

    Ihre Sicht auf die Zeit hat sich jedenfalls seitdem verändert: „Es kann schnell vorbei sein.“ Selbstschutz, Nachsicht, Milde. Solche Dinge. Vom Zen-Modus ist sie aber bis heute weit entfernt, kann sich nach wie vor „tierisch über Dinge aufregen“. Wieder ist da ihr Lachen, so angenehm ungekünstelt, sekundenweise fast unkontrolliert.

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    Was unbedingt festgehalten werden muss: Der Roman ist trotz einiger Parallelen keine Autobiografie. Auch keine, die nur etwas fiktionalisiert wurde. Allenfalls ist ihre eigene Geschichte Impulsgeber. Ihr echter Bruder ist ein anderer im Buch und die Figur Attila, ein unangenehmes Alpha-Männchen, ist einfach einer dieser ekligen Typen der Branche. „Wahrscheinlich ist es eine Autorenkrankheit, durchs Leben zu gehen und irgendwie alles daraus zu benutzen.“ Stets in abgewandelter, völlig durchmischter Form. Am Anfang steht immer man selbst und das eigene Umfeld. Decker erwähnt eine Dokumentation über die legendäre Drehbuchautorin Nora Ephron. „Everything is copy“ – da haben wir’s!

    Anika Decker und die #MeToo-Debatte

    Als Frau – so wie immer und überall – ist das mit der Souveränität natürlich noch dringender. Seit der #MeToo-Debatte sei das Thema Gleichberechtigung zumindest endlich mal auf dem Schirm, sagt Decker. „Von klein auf gelernt, man sei ein Mensch zweiter Klasse, sollte es ab jetzt eigentlich für die nächsten 100 Jahre eine Quote von 100 Prozent geben!“ Die prestigeträchtigen „Tatort“-Drehbücher seien allein zu über 90 Prozent von Männern.

    Gerade die Öffentlich-Rechtlichen haben doch aber einen Bildungsauftrag; der kann nicht nur aus einem Blickwinkel auf die Gesellschaft sein.“ Und auch die Rollen weiblicher Figuren hätten es nicht leicht, von Klischees befreit zu werden, sagt Decker. Also: die toughe Staatsanwältin, die junge Wissenschaftlerin, die erfolgreiche Kommissarin, dafür mit Problemen Zuhause. Und so weiter. Diskriminierend, teilweise pseudo-feministisch.

    Auch bei der Besetzung ihres Films „Traumfrauen“ hieß es damals, „der Zuschauer“ wolle keine ausschließlich weiblichen Hauptrollen sehen. Er würde floppen, der Film. Aha. Die Wahrheit: 1,7 Millionen Zuschauer gingen in ihr Regiedebüt. Zum Vergleich: 500.000 sind absolute Spitzenklasse in Deutschland. Solche Zahlen verändern Stück für Stück die Bedingungen, öffnen Türen, so dass solche „anderen“ Filme selbstverständlicher werden. Decker will sich immer weiter gegen all solche klischeehaften Vorstellungen wehren, sich von keiner Seite reinreden lassen. Wenn sie denn nun „diesen“ Mainstream macht, dann einen, der Einfluss haben will.