Lübeck. Die Videos schockieren viele: Auf der A1 bei Lübeck wendeten Autofahrer, fuhren durch die Rettungsgasse. Taten sie es auf Anweisung?

Sie wenden auf der Autobahn – und fahren offenbar als Falschfahrer durch die Rettungsgasse, weil sie nicht weiter im Stau stehen wollen: Dieses Verhalten hat ein Autofahrer nach einem schweren Unfall auf der A1 bei Lübeck dokumentiert – und damit online für viel Aufregung gesorgt. Möglich ist aber auch, dass einige Fahrer auf Anweisung der Polizei handelten – denn tatsächlich führten die Einsatzkräfte so Menschen zurück.

Die Videos, die Norbert Lehmkuhl auf Facebook postete, schockieren und ärgern viele Nutzer. Tausende haben die Videos kommentiert, Zehntausende teilen sie auf Facebook. Darin ist auch zu sehen, wie ein DHL-Fahrer die Rettungsgasse zum Wenden nutzt. Aufnahmen zeigen aber auch, wie Menschen offenbar willkürlich mitten im Stau wenden – ohne Polizei in der Nähe.

So beobachtete es auch Norbert Lehmkuhl, Geschäftsführer einer Hausbaufirma in Lübeck. Nach etwas einer Stunde Stau hätten die ersten Fahrzeuge gewendet. „Dutzende Autos, teils auch mit Anhänger, sind einfach umgedreht und entgegen der Fahrtrichtung gefahren. Das war definitiv nicht von der Polizei freigegeben“, sagte Lehmkuhl unserer Redaktion.

„Die Menschen handelten wie die Lemminge“

Als er einige Autofahrer aus dem offenen Fenster auf die Gefahr hingewiesen haben, sei er beschimpft worden. „Das war eine unwirkliche Situation. Die Menschen handelten wie die Lemminge: Der eine hüpft die Küste herunter und alle anderen hinterher“, so Lehmkuhl.

Besonders brisant: Nach Einschätzung von Lehmkuhl lag die nächstmögliche Ausfahrt rund 850 Meter zurück, die Geisterfahrer mussten also eine relativ lange Strecke zurücklegen, bevor sie die Autobahn verlassen konnten.

„Erst sehr viel später, nach etwa zwei Stunden Stau, wies die Polizei die ersten Fahrer dazu an, vorsichtig zurückzufahren“, sagte Lehmkuhl. Wer vorher fuhr, habe aus seiner Sicht Menschenleben gefährdet.

Die Polizei äußert sich nur vorsichtig zu dem Ablauf. Generell gab es, das bestätigte die Polizei unserer Redaktion, eine Rückführaktion. Nun müsse allerdings geklärt werden, ob die aufgezeichneten Szenen vor oder nach dem Aufruf der Polizei aufgezeichnet wurden. Davon hinge die rechtliche Bewertung maßgeblich ab: Ordnungswidrigkeit – oder eben nicht.

Rettungsgassen-Video: Auf Anweisung – oder nicht?

Wegen eines schweren Unfalls war die A1 am Dienstag zwischen dem Kreuz Lübeck und der Anschlussstelle Lübeck-Moisling mehrere Stunden lang gesperrt. Ein Lkw war auf einen Kastenwagen aufgefahren, ein weiterer Lkw fuhr in die Unfallstelle, der Fahrer wurde eingeklemmt. Ein Notarzt wurde per Hubschrauber zur Unfallstelle gebracht.

Die Videos sind inzwischen längst bei der Polizeidirektion Lübeck gelandet. Sie würden ausgewertet, sagt Sprecher Stefan Muhtz, wegen des großen Interesses habe die Behörde auch ihr Upload-Portal für diese Fälle geöffnet.

Muhtz erklärt, dass die Fahrer laut Straßenverkehrsordnung eine Ordnungswidrigkeit begangen haben, sollten sie ohne Anweisung die Rettungsgasse genutzt haben. Auf der Autobahn zu wenden und entgegen der Fahrtrichtung zu fahren kann mit einem Bußgeld von 200 Euro, zwei Punkten in Flensburg und einem Monat Fahrverbot bestraft werden.

Rettungsgasse – so geht s richtig

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    Rettungsgassen-Blockierer Gefahr für Straßenverkehr

    Neben der Ordnungswidrigkeit könne, wenn nicht auf Anordnung geschehen, in solchen Fällen auch eine Straftat nach Paragraf 315c des Strafgesetzbuchs vorliegen – nämlich eine Gefährdung des Straßenverkehrs. Die müsste aber nachgewiesen werden, im Gegensatz zu der Ordnungswidrigkeit; sie ist auf den Videos klar erkennbar.

    Immer wieder kommt es zu Problemen mit Rettungsgassen. Oder besser: nicht gebildeten Rettungsgassen. Ende April mussten etwa Reisende eigenhändig ein brennendes Auto löschen, weil es keine Rettungsgasse gab und die Feuerwehr kaum durchkam.

    Im März kassierten Autofahrer 23.000 Euro Strafe, weil sie auf der A5 keine Rettungsgasse gebildet hatten. Laut einer Statistik verlieren Helfer fast immer Zeit wegen falscher Rettungsgassen – in 80 Prozent der Fälle. (fmg/moi/les)