Stockholm. Die Familie von Greta Thunberg berichtet in ihrem Buch über die Geschichte der Klima-Aktivistin – und den Essstörungen ihrer Tochter.

Es gibt Bilder, die haben sich eingebrannt: Wie dieses junge Mädchen auf der Bühne steht – reglos das Gesicht, die Zöpfe brav geflochten – und der Welt ins Gewissen redet. 16 Jahre jung ist Greta Thunberg aus Schweden und längst eine Ikone des Klimaschutzes. Jetzt beschreiben ihre Eltern in einem Buch, das auch in Deutschland auf dem Markt ist, Gretas Lebenskampf abseits des Einsatzes für das Klima: „Szenen aus dem Herzen“ (Fischer Verlag).

Als Grundschülerin schon beginnt Greta sich Sorgen zu machen über den Planeten. Sie lacht nicht mehr, sie redet nicht mehr. Sie isst nicht mehr. Nur der Familienhund Moses kann helfen, wenn das Kind wieder stundenlang weint. Dass sich Weinen in Schreien wandeln kann, beschreibt Malena Thunberg, Gretas Mutter, in einer Momentaufnahme mit eindringlicher Kraft: „Greta nimmt eine Zimtschnecke und riecht daran.

Sie hält sie in der Hand und versucht, den Mund zu öffnen, aber es geht nicht. Wir sehen, dass es nicht gehen wird. ,Iss, bitte‘, sagen Svante (Gretas Vater) und ich im Chor. Zuerst gelassen. Dann mit etwas mehr Nachdruck. Dann mit der ganzen Frustration und Machtlosigkeit, die wir in uns tragen. Und schließlich schreien wir unsere Angst und Verzweiflung heraus: ,Iss endlich!!!!! Du musst essen, verstehst du?! Du musst essen, sonst stirbst du!!‘“

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Doch statt zu essen bekommt Greta ihre erste Angstattacke. „Sie gibt einen Laut von sich, den wir noch nie von ihr gehört haben, niemals. Sie stößt einen abgrundtiefen Schrei aus, der über vierzig Minuten anhält.“ Greta isst nicht, und wenn, dann quälend langsam. Für fünf Mini-Gnocchi braucht sie zwei Stunden. Das hat Folgen, das Kind magert ab und torpediert jeden Plan.

Pünktlich zur Schule zu kommen bleibt eine Illusion. Schafft sie es doch, dann wird sie dort ausgegrenzt und verprügelt. Die Schule leugnet jedes Mobbing, so schreiben die Eltern. Ihr Kind sei eben sonderbar, heißt es. Damit löse sie wohl Reaktionen bei anderen aus. Die Eltern – die Mutter Opernsängerin, der Vater Schauspieler – sehen die Probleme in der Schule. Sie sehen aber auch, wie klug ihr Kind ist.

„Sie besitzt ein fotografisches Gedächtnis und kann zum Beispiel alle Hauptstädte der Welt aufsagen“, schreibt die Mutter. „Wenn ich frage: ‚Kerguelen?‘, antwortet sie: ‚Port-auxFrançais‘. ‚Sri Lanka?‘ ‚Sri Jayawardenapura Kotte‘. Und wenn ich ‚Rückwärts?‚ sage, kommt ihre Antwort genauso schnell, nur rückwärts.“ Der Vater meint noch, dass sie die Cleverness von ihm habe. Dass sie auf eine autistische Störung hinweisen kann, ahnen sie nicht.

Etwas ist anders mit Greta. Aber was? Die Eltern durchforsten das Internet, lesen alles über Esstörungen. „Unser Leben ist Chaos, und jegliche Logik scheint unendlich weit entfernt“, schreibt Malena Thunberg. In der Ehe gibt es viel Zoff. Als Ventil, anders wäre es nicht auszuhalten, heißt es.

Erst später hat eine Psychologin das Asperger-Syndrom ins Spiel gebracht. Tests über Tests. Es dauert ewig, bis die Diagnose steht. „Wir tappen im Dunkeln. Nach zwei Monaten ohne zu essen hat Greta fast zehn Kilo abgenommen, und für jemanden, der von vornherein klein und zierlich war, ist das eine ganze Menge.

Sie hat eine niedrige Körpertemperatur, ihr Puls und Blutdruck zeigen deutliche Anzeichen von Hunger. Sie ist zu schwach, um Treppen zu steigen, und in den Depressionstests, die man mit ihr macht, erreicht sie astronomische Punktzahlen.“ Erst nach langen Monaten in Kinderkrankenhäusern kommt der erlösende Satz: „Ich will wieder essen.“ Die Eltern hoffen wieder.

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Dieses Buch, das vor dem ersten Schulstreik 2018 entstand, wurde stark kritisiert. Doch auch wenn es häufig auf die Lebenslinien der Eltern und deren künstlerische Selbstfindung abschweift, sagt es doch sehr viel über den Menschen Greta – und feiert nicht nur den jungen Klimastar.

Den Vorwurf der Bereicherung räumen die Thunbergs aus: Sie hatten schon vor der Veröffentlichung beschlossen, den Erlös an wohltätige Zwecke zu spenden, an Klima- und Umweltorganisationen und an solche, die sich mit psychischen Erkrankungen von Kindern befassen. Das hat Greta so entschieden, steht im Vorwort. (Petra Koruhn)

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