Berlin. Mit 88 Jahren beschäftigt sich Mario Adorf viel mit dem Sterben. Die Aussicht, weiter zu schauspielern, beflügelt ihn aber noch immer.

Vor der Kamera steht er seit über 60 Jahren – und will es auch weiter tun. Mit seiner letzten Tournee „Zugabe“ verabschiedet sich Altstar Mario Adorf dafür nun von der Bühne. Wir trafen den äußerst eloquenten 88-Jährigen in einem Hotel in Berlin.

Ist das wirklich eine Abschiedstournee?

Mario Adorf: Ja, so sehe ich es. Ich wollte gar nicht mehr, ich wurde aber überredet, es noch einmal zu machen. Ich bin gerade noch bei der Konzeption, was da alles „zugegeben“ werden soll. Aber das soll wirklich meine letzte Bühnendarbietung sein. Das ist keine Werbemasche.

Ist das ein Abschied nur von der Bühne, oder denken Sie auch sonst ans Aufhören?

Adorf: Bei Film und Fernsehen ist es immer noch einfacher, dieses Türchen offen zu halten. Wenn noch eine schöne Rolle kommt, warum soll ich sie nicht spielen, solange es noch geht. Und solange ich noch gehen kann. Wenn ich mir keine Texte mehr merken könnte oder mich vor die Kamera schleppen müsste, würde ich lieber ganz aufhören. Dann lieber ein würdiger Abschied.

Ist Filmen eine Art Lebenselixier, das Sie jung hält?

Adorf: Jung? Nun ja. Aber die Aussicht, dass man noch was leisten kann, ist schon ein gutes Gefühl. Das beflügelt einen. Es zwingt einen aber auch immer zur kritischen Selbstbeobachtung: Kannst du das auch noch?

Sie sind jetzt 88. Denkt man über die eigene Endlichkeit nach?

Adorf: Ja, sicher. Das ist unvermeidlich. Weniger über den Tod. Der ist eine Tatsache, die für mich, der ich ja nicht gläubig bin, auch eine Endgültigkeit hat. Ich glaube nicht, dass da noch was kommt. Aber man macht sich natürlich Gedanken über das Sterben. Wird dir eine schwere Krankheit zuteil werden, wirst du leiden müssen? Darüber denke ich schon nach, nicht täglich, aber doch zunehmend.

Sie sind im Film so oft gestorben. Was wäre für Sie der schönste Tod?

Adorf: Also, wie Molière auf der Bühne sterben, das geht ja schon mal nicht mehr. Natürlich würde ich mir einen schmerzfreien Tod wünschen. Aber ein sanftes Entschlafen ... und meine Frau wacht dann neben einem kalten Körper auf, das wäre nicht mein Wunsch. Ich würde es gerne bewusst miterleben. Das hat vielleicht schon wieder mit dem Beruf zu tun, der ewige Zwang des Schauspielers, sich beobachten zu müssen.

Und was wäre, wenn Sie eine schwere Krankheit befällt?

Adorf: Also ich würde mich nicht wegmogeln, wenn es nicht schön wird. Ich würde nicht in die Schweiz fahren, um mich einschläfern zu lassen. Ich würde auch keine Pille nehmen, um dem zu entfliehen. Ich würde das Sterben schon so akzeptieren, wie es mir widerfährt.

Man sieht Ihnen Ihr Alter nicht an. Wie halten Sie sich fit?

Adorf: Ich mache nichts Besonderes. Kein Fitnessprogramm, kein Seniorenprogramm. Ich hüpfe nicht, ich tanze nicht. Wenn ich am Meer bin, gehe ich immer noch schwimmen. Auch wenn die Zeiten da immer kürzer werden. Ich versuche auch, etwas gesünder zu essen. Aber ich bin kein Kalorienzähler. Ich glaube, ich habe einfach gute Gene.

Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt noch spielen möchten?

Adorf: Eigentlich nicht. Wäre ich ein reiner Theaterschauspieler geblieben, hätte ich mir vielleicht den Shylock oder den Lear gewünscht.

Und gab es die eine große Lieblingsrolle in Ihrem Leben?

Adorf: Eigentlich nicht. Ich hatte eine Rolle, die über Jahrzehnte als große, wichtige Rolle angesehen wurde: den Massenmörder Bruno Lüdke in „Nachts, wenn der Teufel kam“: In den letzten Jahren stellte sich dann plötzlich heraus, dass dieser Mann gar kein Mörder war. Das war alles von den Nazis manipuliert. Er war ein Opfer.

Darauf kann ich nicht stolz sein, ich habe einen Menschen, der wirklich gelebt hat, zu einem ganz schlimmen Bild verholfen. Das geht mir sehr nach. Es treibt mich um, ob der Mann eine Rehabilitation bekommt. Aber weil er von den Nazis umgebracht wurde, ohne Prozess, kann die Justiz den Fall heute nicht mehr aufnehmen. Heute sehe ich nicht mehr, ob ich das toll gespielt habe, ich sehe nur noch diesen armen Kerl.