Göteborg . Forscher rätseln schon lange über die ähnlichen Megalith-Bauten in ganz Europa. Nun wissen sie, wo die ersten von ihnen gebaut wurden.

Die über weite Teile Europas verbreitete Megalith-Kultur ist einer Studie zufolge wahrscheinlich in Nordwestfrankreich entstanden. Von dort habe sich die Nutzung großer Steinblöcke etwa für Gräber oder Kultstätten entlang der Küsten von Atlantik und Mittelmeer verbreitet, schreibt Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg im Fachblatt „PNAS“.

Die technischen Fähigkeiten der Menschen in der Frühphase dieser Entwicklung vor etwa 7000 Jahren seien wesentlich ausgefeilter gewesen als bisher angenommen, betont sie. In Deutschland kam die Entwicklung erst recht spät an.

Steinkreise, Steinreihen, einzelne Menhire oder Bauwerke aus mehreren Steinblöcken, sogenannte Dolmen: Megalith-Strukturen finden sich in großen Teilen Europas. Man findet sie unter anderem in Italien, Frankreich, auf der Iberischen Halbinsel, den Britischen Inseln und auch in Skandinavien und Deutschland.

Europaweit ähnliche Strukturen

Derzeit seien europaweit noch etwa 35.000 Megalithe erhalten, schreibt die Archäologin. Auffällig seien die ähnlichen Strukturen: So seien etwa die Gräber in ganz Europa nach Osten oder Südosten ausgerichtet – zur aufgehenden Sonne.

Bislang kursieren unter Experten zwei Theorien über den Ursprung der Kultur: Im frühen 20. Jahrhundert dachten Forscher, der Brauch stamme – wie etwa die Landwirtschaft – aus Vorderasien. Zweifel daran kamen in den 1970er-Jahren auf. Datierungen mit der Radiocarbon-Methode (C14) stützten diese Vermutung aber nicht. Stattdessen glaubten Wissenschaftler seitdem eher, die Praxis sei in verschiedenen Regionen separat entstanden.

Schulz Paulsson erstellte nun aus C14-Datierungen von gut 2400 Orten aus jener Epoche und aus archäologischen Funden ein Modell, das den Ursprung und die Ausbreitung der Megalith-Strukturen angeben soll. „Die Daten deuten darauf hin, dass die ersten megalithischen Gräber in Europa kleine, abgeschlossene Strukturen oder Dolmen waren, die überirdisch aus Steinplatten errichtet und von einem Hügel aus Erde oder Stein bedeckt wurden“, schreibt sie.

Zu dieser ersten Phase, die vor etwa 6800 Jahren begann, zählen demnach vor allem Orte in Nordwestfrankreich und auf der Iberischen Halbinsel.

Nordwestfrankreich als Geburtstätte

Nordwestfrankreich betrachtet Schulz Paulsson als Zentrum der Entwicklung. Dort habe es schon vorher monumentale Erdbauten gegeben. So enthalte das Gräberfeld von Passy im Pariser Becken zwar noch keine Steinkammern, aber eine beeindruckende Struktur über eine Länge von bis zu 280 Metern. Das älteste Grab der Nekropole sei fast 7100 Jahre alt.

Kurz danach seien die ersten Monumentalgräber in Form runder Hügelgräber in der Bretagne entstanden – etwa der riesige Grabhügel St. Michel in Carnac, der eine verschlossene steinerne Grabkammer enthält und vor 6800 Jahren entstand. Aus jener Phase stammen auch weitere Bauten der Region, für die ebenfalls abgeschlossene steinerne Grabkammern typisch sind.

Etwas jünger sind demnach ähnliche Stätten im nördlichen Mittelmeer-Raum – in Katalonien, Südfrankreich, auf Korsika, Sardinien und in Norditalien. Ab etwa 4200 vor Christus tauchen solche Gräber im nordspanischen Galicien, im Süden Portugals und in der andalusischen Mittelmeerregion auf.

Verbreitung über den Seeweg

Eine Neuerung entstand demnach vor 6300 Jahren, ebenfalls im Westen von Frankreich: die ersten Dolmen und Ganggräber, die nicht mehr verschlossen waren, sodass Menschen hier über Jahrhunderte beigesetzt werden konnten.

Stonehenge im Februar.
Stonehenge im Februar. © REUTERS | TOBY MELVILLE

In der nächsten Phase, die vor etwa 6000 Jahren begann, verbreiteten sich solche Anlagen dann auf den Britischen Inseln sowie in weiteren Gegenden von Westfrankreich und der Iberischen Halbinsel. Dies deute auf eine Ausbreitung der Neuerung über den Seeweg hin. „Ihre Verbreitung unterstreicht die Verbindung jener Gesellschaften zum Meer und zur Verbreitung der Grabtraditionen über den Seeweg“, schreibt die Autorin.

Stonehenge ist ca. 4500 Jahre alt

Die Anlage von Stonehenge – die weltweit berühmteste Megalith-Struktur – ist deutlich jünger. Sie ist maximal 4500 Jahre alt.

In einer Verbreitungswelle tauchten solche Anlagen dann – vor etwa 5500 Jahren – erstmals in den Niederlanden, Norddeutschland, Dänemark und Südschweden auf. Auch hier sei der Seeweg entscheidend gewesen, so die Expertin.

„Die ältere Archäologen-Generation hatte recht bezüglich der maritimen Verbreitung des Megalith-Konzepts“, bilanziert sie. „Aber sie lag falsch, was die Ursprungsregion und die Verbreitungsrichtung betrifft.“ Die Studie zeige, dass man die Mobilität sowie die technischen und nautischen Fähigkeiten der Menschen vor 7000 Jahren deutlich unterschätzt habe. Sie fordert daher eine Neubewertung jener Epoche.

Auch in Nordafrika gibt es Megalith-Strukturen

Das sieht Martin Bartelheim von der Universität Tübingen allerdings nicht so: Dass Menschen schon vor 7000 Jahren am Atlantik Küstenschifffahrt betrieben, sei bekannt. Die Vermutung zum Ursprung der Megalith-Kultur in Nordwestfrankreich hingegen sei „nicht unwahrscheinlich“. „Man hatte angenommen, dass die Anlagen in jener Region sehr alt sind“, sagt der Forscher. „Das haben C14-Untersuchungen nun bestätigt.“

Allerdings stünden die Resultate unter Vorbehalt, betont Bartelheim. Denn Megalith-Strukturen gebe es auch in Nordafrika – etwa in Ägypten, Libyen, Tunesien und Marokko. Diese seien bislang kaum datiert und in der Analyse nicht berücksichtigt worden.